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Atomrüstung: Am Rand des Abgrunds

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Ein Atomkrieg ist moralisch verwerflich: Darin sind sich alle Bischöfe einig. Über das Wie einer Verhinderung gibt es Differenzen. Es gilt eben auch für Bischöfe der Verweis von „Gaudium et spes“ (43) auf unterschiedliche Konkretisierungsmöglichkeiten von Prinzipien. Katholiken sollten bedenken, daß wechselseitige Gruppenvorwürfe unzulässig sind. Wir zitieren aus „Hirtenworte zu Krieg und Frieden“ (erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1983, öS 127,-).

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Ein Atomkrieg ist moralisch verwerflich: Darin sind sich alle Bischöfe einig. Über das Wie einer Verhinderung gibt es Differenzen. Es gilt eben auch für Bischöfe der Verweis von „Gaudium et spes“ (43) auf unterschiedliche Konkretisierungsmöglichkeiten von Prinzipien. Katholiken sollten bedenken, daß wechselseitige Gruppenvorwürfe unzulässig sind. Wir zitieren aus „Hirtenworte zu Krieg und Frieden“ (erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1983, öS 127,-).

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Die Bischöfe Österreichs

1. Alle Staatsmänner und alle Regierungen, alle politischen Kräfte und alle Menschen müssen endlich begreifen, daß die gewaltsame Austragung von Konflikten unmenschlich ist. Krieg kann nicht mehr als Mittel zur Erreichung politischer Ziele gelten.

2. Vor allem sind Massenvernichtungsmittel — namentlich atomare, bakteriologische und chemische — zu verwerfen. Alles muß getan werden, um ihre Anwendung zu verhindern, ihre Benützung zu politischen Drohungen auszuschalten und ihre Abschaffung voranzutreiben.

3. Dies wird nicht auf einmal erreicht werden können. Aber es ist nötig, daß die Gefahren Schritt für Schritt vermindert, die Chancen des Friedens Schritt für Schritt gefördert werden.

4. In diesem Sinne appellieren wir an die politisch Verantwortlichen, alle Anstrengungen zu unternehmen, damit Ost und West auf alle sogenannten Mittelstrek- kenraketen — seien sie geplant oder bereits stationiert — verzichten. Es ist offenkundig, daß gerade diese Raketen zur Verschärfung und Verunsicherung der Lage beitragen.

5. Wir appellieren an die Verhandlungspartner der Wiener Truppenabbaukonferenz, endlich einen „konventionellen“ Rüstungsabbau im europäischen Raum zu vereinbaren und dadurch auch die Chancen für einen Verzicht auf sogenannte taktische Atomwaffen zu verbessern.

6. Wir appellieren an die Großmächte, auch auf allen anderen Ebenen wenigstens die Beschränkung und den schrittweisen Abbau der Vernichtungspotentiale in die Wege zu leiten.

7. Wir rufen dazu auf, sich der Einsicht nicht länger zu verschließen, daß die Vermeidung einer nuklearen Menschheitskatastrophe ein vorrangiges Interesse aller Völker und Staaten ist, ungeachtet gesellschaftlicher Unterschiede, gegensätzlicher Interessen und geistiger Auseinandersetzungen. y

Die Bischöfe der BRD

Bisher wird versucht, durch nukleare Abschreckung Krieg zu verhüten: Man droht einander für den Fall eines gegnerischen Angriffs in letzter Konsequenz etwas an, das niemand wollen kann, nämlich gegenseitige Vernichtung.

Die Wirksamkeit dieser Strategie ist umstritten. Einerseits wird gesagt, daß die nukleare Abschreckung bisher einen kriegerischen Konflikt zwischen den Blöcken verhindert habe. Es gebe vorerst zu dieser Strategie keine machbare Alternative. Dagegen wird eingewandt, die Tatsache, daß es bisher zwischen Ost und West keinen Krieg gegeben habe, beweise nicht, daß dies wegen der Abschreckung geschehen sei.

Jedenfalls stellt sich die Frage: Kann sich unter den Bedingungen wechselseitiger Abschreckung die eine Seite der Absichten des Gegners wirklich sicher sein? Außerdem ist es — wie Papst Paul VI.

in seiner Botschaft zur Ersten Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen für Abrüstung 1978 erklärt hat — „eine tragische Illusion, zu meinen, der Rüstungswettlauf könnte bis ins Unendliche so weitergehen, ohne eine Katastrophe heraufzubeschwören“.

Diese Gefahren, die mit der Eigendynamik des Wettrüstens verbunden sind, drängen in der Tat zu der Folgerung: Nukleare Abschreckung ist auf Dauer kein verläßliches Instrument der Kriegsverhütung ...

Aus den genannten Gesichtspunkten ergeben sich Kriterien, denen die Abschreckung genügen muß, wenn sie ethisch noch annehmbar sein soll:

• Bereits bestehende oder geplante militärische Mittel dürfen Krieg weder führbarer noch wahrscheinlicher machen.

Eine Massenvernichtung anzudrohen, die man nie vollziehen darf — eine moralisch unerträgliche Vorstellung wird zum Zweck der Kriegsverhütung als besonders wirksam angesehen. Diese ungeheuerliche Spannung ist nur hinzunehmen, wenn die gesamte Sicherheitspolitik auf das Ziel der Kriegsverhütung ausgerichtet ist und die militärischen Maßnahmen dem vorrangigen Konzept der Friedenssicherung durch politische Mittel eingefügt bleiben.

• Nur solche und so viele militärische Mittel dürfen bereitgestellt werden, wie zum Zweck der an Kriegsverhütung orientierten Abschreckung gerade noch erforderlich sind. Insbesondere dürfen die militärischen Mittel nicht Uberlegenheitsstreben vermuten lassen. Sie müssen sich vielmehr an dem Ziel der Stabilität orientieren, die dann besteht, wenn keine Seite aus ihren Waffensystemen einen politischen oder militärischen Nutzen ziehen kann.

Aber auch eine solche Beschränkung der Abschreckungsmittel kann nicht das letzte Wort zur Sache sein.

Wir dürfen uns auf Dauer auch mit einem „Minimum“ an Zerstörungspotential nicht zufriedengeben, „das immer von einer wirklichen Explosionsgefahr belastet ist“ (Johannes Paul II.). Deshalb haben alle Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft die dringende Pflicht, mit aller Anstrengung nach Alternativen zur Androhung von Massenvernichtung zu suchen.

Die Bischöfe der DDR

1. Wir Bischöfe machen uns die eindringliche Forderung des Heiligen Vaters nach einer fortschreitenden beiderseitigen und kontrollierbaren Abrüstung der Machtblöcke zu eigen.

Der Rüstungswettlauf zwischen Ost und West ist „ein unerträgliches Ärgernis“. Er macht aus dem Gleichgewicht der Kräfte ein Gleichgewicht des Schreckens, er zerstört das Vertrauen zwischen den Völkern und Staaten und steigert das Elend der hungernden Menschen in der Dritten Welt. Es muß gelingen, die innere Logik des Wettrüstens, den Drang zur Überlegenheit über den möglichen Gegner, aufzubrechen.

In Übereinstimmung mit den Aussagen der Päpste verwerfen wir jede Kriegsplanung, die — mit welchen Waffen auch immer — auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete samt ihrer Bevölkerung gerichtet ist. Ein Krieg mit modernen Massenvernichtungswaffen ist in jedem Fall in sich unmoralisch und daher zu verwerfen.

In keinem Krieg, aus welchem Grund er auch geführt werden mag, ist der Einsatz von ABC- Waffen zu rechtfertigen. Aber auch die konventionellen Waffen erreichen eine immer größere tödliche Perfektion. Sie bedrohen im Konfliktfall ebenfalls die Zivilbevölkerung eines Kampfgebietes.

2. Es ist offenkundig, daß die moderne Kriegstechnik die überkommene Auffassung von „gerechten Kriegen“ in eine Krise führt.

Die Lehre vom „gerechten Krieg“ meinte ja nicht, daß der Krieg an sich eine gerechte Angelegenheit sei. Sie wollte vielmehr sagen, daß ein Krieg, wenn er schon nicht vermieden werden kann, wenigstens gerecht geführt werden muß, also aus einem gerechten Grund und mit angemessenen Mitteln. Bei begrenzten Konflikten mag dieser Grundsatz durchaus stimmen. Aber kann er auch dort gelten, wo Gewalt unterschiedslos zuschlägt, wie etwa in einem Krieg mit dem Einsatz vqn Kernwaffen? Gewinnt hier nicht das häufig belächelte Ideal der Gewaltlosigkeit, wie es uns Jesus Christus in der Bergpredigt verkündigt, eine bisher ungeahnte rationale Aussagekraft?

Die Bischöfe Frankreichs

Die Drohung mit der Atombombe bedeutet nicht deren Gebrauch. Sie ist nur die Basis der Abschreckung. Das vergißt man sehr oft, indem man der Drohung dieselbe moralische Qualifikation zumißt wie dem Gebrauch der Atombombe. Eine einseitige Abrüstung aber kann die Aggressivität des Nachbarn geradezu herausfordern, indem man bei ihm die Versuchung nährt, sich einer allzu leichten Beute zu bemächtigen ...

Gewaltlosigkeit, wie sie das

Evangelium fordert, kann nicht von Staaten für sich in Anspruch genommen werden, die die Pflicht haben, ihre Bürger zu verteidigen. Durch eine einseitige Abrüstung würden sich die Länder Westeuropas der Erpressung durch die Sowjetunion aussetzen ...

Hat ein Land, das sich in Leben, Freiheit und Identität bedroht sieht, in den augenblicklichen Gegebenheiten Europas nicht das moralische Recht, dieser radikalen Bedrohung durch eine wirksame Gegendrohung, und sei sie nuklearer Natur, entgegenzutreten?. . ..Es heißt, dem Frieden zu dienen, wenn man den Gegner dazu zwingt, Vernunft anzunehmen und von einem Angriff abzulassen ... Man dient dem Frieden, wenn man den Angreifer entmutigt ...

Die Bischöfe der USA

Jedes Volk hat das Recht und die Pflicht, sich gegen einen ungerechten Angriff zu verteidigen. Angriffskriege jedweder Art sind moralisch nicht zu rechtfertigen.

Auch Verteidigung gegen einen ungerechtfertigten Angriff kann Zerstörungen verursachen, die das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verletzen und weit über die Grenzen legitimer Verteidigung hinausgehen. Dieses Kriterium ist besonders wichtig, wenn man den geplanten Einsatz von Nuklearwaffen beurteilen soll. Keine Defensivstrategie, sei sie nuklear oder konventionell, die das Gebot der Proportionalität verletzt, ist moralisch erlaubt...

In einer Abschreckungsstrategie darf kein Einsatz von Kernwaffen intendiert werden, der die Grundsätze der Unterscheidung von Kombattanten und Nicht- Kombattanten oder der Verhältnismäßigkeit verletzt. Die Forderungen der katholischen Morallehre verlangen den entschlossenen Willen, moralisch Böses weder zu intendieren noch zu tun, auch nicht um das eigene Leben oder das Leben derer, die wir lieben, zu retten.

Abschreckung ist keine geeignete Strategie, den Frieden langfristig zu sichern; sie ist eine Ubergangsstrategie, die nur zu rechtfertigen ist ih Verbindung mit der unbedingten Entschlos-senheit, für Rüstungskontrolle und Abrüstung zu arbeiten.

Der Rüstungswettlauf ist eine der schrecklichsten Wunden der Menschheit; er muß verurteilt werden als eine Gefahr, als ein Akt der Aggression gegen die Armen und als ein Wahnsinn, der nicht die Sicherheit geschaffen hat, die er verspricht.

Verhandlungen müssen in jeder möglichen vernünftigen Form angestrebt werden.

Wir können uns keine Situation vorstellen, in der die vorbedachte Einleitung nuklearer Kriegsführung, und sei sie noch so begrenzt, moralisch gerechtfertigt werden könnte. Nicht-nuklearen Angriffen anderer Staaten muß mit anderen als nuklearen Mitteln begegnet werden. Daher besteht eine ernste moralische Verpflichtung, so schnell wie möglich nicht-nukleare Verteidigungsstrategien zu entwickeln.

Bischöfe der Niederlande

Wegen dieser Folgen ist darum nach unserer Überzeugung die Übernahme des Risikos eines tatsächlichen Einsatzes von Kernwaffen, die die Zerstörung ganzer Städte und großer Gebiete mit ihren Bewohnern mit sich bringen, nicht zu rechtfertigen.

Aus dieser Ablehnung des Einsatzes von Kernwaffen ergibt sich, daß Kernwaffen nicht derart in ein Verteidigungssystem aufgenommen werden dürften, daß ihr Einsatz im Kriegsfälle unvermeidlich wird und zum totalen Krieg führt...

Folgt aus der Ablehnung der Kriegsführung mit Atomwaffen, daß wir sie auch nicht besitzen dürfen?

Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Abschreckung bisher in dem Sinne funktioniert hat, daß der Ausbruch eines Krieges zwischen den Supermächten und ihren Verbündeten verhindert wurde, muß man sich mit dem Konzil und dem Papst Johannes Paul II. fragen, ob das so bleiben wird. Das Abschreckungssystem ist ein Balancieren am Rande des Abgrundes.

Die Existenz des Abschrek- kungssystems stellt die Menschen vor eine ethisch paradoxe Situation. Die Völker müssen die Abschreckung abschaffen, aber das kann nicht plötzlich oder einseitig geschehen, weil eine so schnelle Demontage Gefahren mit sich bringt. Auch ein abrupter Eingriff in das Abschreckungsgleichgewicht muß auf seine moralische Zulässigkeit geprüft werden.

Abrüstung, Abtakelung des Abschreckungssystems wird ein vorsichtig geführter Prozeß sein müssen und erfordert, daß bewaffneten Konflikten auf andere Weise, durch wirkliches internationales gegenseitiges Verständnis und durch Gerechtigkeit vorgebeugt wird. Dieser Prozeß muß von der tiefen Überzeugung getragen sein, daß die Existenz des Abschreckungssystems etwas ist, mit dem sich kein Mensch mehr abfinden darf.

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