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Atomtechnologie ist gefährlich

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Von Beginn ihres Bestehens an hatte die US-Atomenergiekommission die Gefahren von Strahlung verharmlost. Im Bestreben, reibungslos Bombentests betreiben zu können, sind Berichte unterdrückt worden, die einen Zusammenhang zwischen Abfallstrahlung und der Leukämiehäufigkeit in betroffenen Gebieten aufzeigten und man hat Wissenschafter diffamiert, die auf diese Gefahren aufmerksam gemacht haben.

Diese Praktiken wurden (von der gleichen Kommission) auch in den zivilen Sektor der Atomenergieanwendung übernommen und von den meisten zuständigen offiziellen Stellen - auch in anderen Ländern - nachvollzogen.

Mittlerweile sind manche der geheimgehaltenen Berichte bekanntgeworden. Unter den Soldaten, die in „sicherer" Entfernung den H-Bomben-Tests zusehen mußten, ist eine erhöhte Krebs- und Leukämierate aufgetreten, ebenso unter den Beschäftigten in Werften von Atom-Unterseebooten und großer kerntechnischer Anlagen, die man einer „sicheren" Strahlendosis ausgesetzt hatte.

In der Umgebung der Plutoniumfabrik Rocky Fiats, aus der bei einigen Bränden Plutonium entwichen ist, ist eine erhöhte Leukämiehäufigkeit festgestellt worden.

Diese Befunde werden von experi-mentiellen, strahlenbiologischen Untersuchungen unterstützt, welche ergeben, daß - bis in den niedrigsten Dosisbereich - Strahlenspätschäden wie Krebs, Leukämie, angeborene Mißbildungen und Erbkrankheiten (unter der Nachkommenschaft der bestrahlten Individuen) auftreten. Es gibt daher keine unschädliche Dosis.

Werden größere Bevölkerungsgruppen mit auch nur niedrigen, zusätzlichen Dosen bestrahlt, treten mit Sicherheit vereinzelt Spätschäden auf. Kein ernst zu nehmender Fachmann bestreitet heute mehr diese Tatsachen.

Es vergeht aber zwischen Bestrahlung und Eintritt von Gesundheitsschä-

den eine lange Zeit. Diese Tatsache und der Umstand, daß die Strahlenspätschäden im Einzelfall nicht einfach auf ihre Ursache zurückgeführt werden können, erfordert zu ihrem Nachweis aufwendige statistische Methoden. Das üblicherweise vorliegende gesundheitsstatistische Datenmaterial reicht dafür in den seltensten Fällen aus.

Diese Umstände machen sich die Sprecher der Atomindustrie zunutze: Jedesmal, wenn sie eine Freisetzung größerer Mengen radioaktiver Stoffe aus einer kerntechnischen Anlage zugeben müssen, erklären sie, es sei niemand aus der Bevölkerung zu Schaden gekommen. Das erleben wir derzeit im Zusammenhang mit dem Unfall des Atomkraftwerkes „Three Mile Island" bei Harrisburg.

Gordon MacLeod, zur Zeit des Un-

t

falls Chef der zuständigen Gesundheitsbehörde in Pennsylvanien, hat zu den Folgen des Unfalls mehrmals öffentlich Stellung genommen. Er legt Wert auf die Feststellung, kein „Atomenergiegegner" zu sein.

Mit Nachdruck verweist er aber auf die statistisch hoch signifikante Zunahme der Säuglingssterblichkeit in der5-undl0-Meilen-ZoneumdasAtom-kraftwerk in den sechs auf den Unfall folgenden Monaten sowie auf eine örtliche Häufung von Fällen von Schilddrüsendefekten bei Neugeborenen auf das 12-fache des Erwartungswertes unmittelbar windabwärts von Three Mile Island.

Für Gesundheitsschäden dieser Art kommen als Ursache Stoffe wie Radiojod in Frage, die, im Embryo angereichert, empfindliche Organsysteme schädigen.

Die Verfechter der Behauptung: „Niemand ist zu Schaden gekommen" haben keine andere Erklärung für diesen Anstieg der Sterblichkeit liefern können.

In einem 1000-MW-Atomkraftwerk entstehen jährlich Spaltprodukte in einer Menge wie bei der Explosion von 23

Megatonnen Atombomben, das sind mehr als 1000 vom Typ der Hiroshimabombe.

Könnten diese radioaktiven Gifte verläßlich, hundertprozentig und für immer von der Biosphäre ferngehalten werden, gäbe es keine umwelthygienischen Bedenken gegen Atomkraftwerke (wohl aber gesellschaftspolitische und ökologische).

Um längerfristig katastrophale Gesundheitsschäden zu vermeiden, müßte ein voll entwickeltes Atomenergieprogramm 99,999 % der produzierten Radioaktivität fortwährend unter Kontrolle haben. In der bisherigen Praxis war die Rückhaltung weit schlechter als 99,9 %.

In der Diskussion der Abfallproblematik wird von den Kernenergie-Experten fast immer nur vom hochaktiven Müll gesprochen und seine permanente Lagerung als demnächst gelöst dargestellt. So wichtig diese Frage auch ist, noch bedeutsamer ist das Problem, was mit den Spaltprodukten und Transuranen (z. B. Plutonium), die irgendwo aus dem sogenannten Brennstoffkreislauf freigesetzt werden, geschieht.

Die Gewissenlosigkeit, mit der niedrigaktive aber hochtoxische radioaktive Abfälle notdürftig verscharrt, fein verteilt oder ins Meer gekippt wurden und werden, kennzeichnet die Praxis der industriellen Kerntechnik. Es dauert oft nur wenige Jahre, bis gefährliche Umweltverseuchungen auftreten, wie gerade jetzt an der kalifornischen Küste, wo Plutonium aus Abfallfässern entweicht und in Meeresorganismen angereichert wird.

Die Verantwortlichen für die Deponie haben selbstverständlich gewußt, daß diese gefährliche Substanz Jahrhunderttausende braucht, um abzuklingen. Es sind wohl zum Teil die gleichen „Experten", die uns heute „technische Lösungen" der atomaren Abfallprobleme versprechen.

Dr. Peter Weish ist Biologe am Institut für Umweltwissenschaften und Naturschutz der österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.

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