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Attacke mit Schönheitsfehlern

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Das Buch „Gesunde Geschäfte" deckt die Pharma-Industrie mit einer Flut konkreter Vorwürfe ein. Der Pharma-Referent der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Norbert Hammer, wurde von uns ausdrücklich gebeten, in seiner Besprechung diesen Angriffen konkret entgegenzutreten, beschränkte sich aber zu unserer Überraschung in erster Linie auf eine gesellschaftspolitische Kritik dieses umstrittenen Buches.

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Das Buch „Gesunde Geschäfte" deckt die Pharma-Industrie mit einer Flut konkreter Vorwürfe ein. Der Pharma-Referent der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Norbert Hammer, wurde von uns ausdrücklich gebeten, in seiner Besprechung diesen Angriffen konkret entgegenzutreten, beschränkte sich aber zu unserer Überraschung in erster Linie auf eine gesellschaftspolitische Kritik dieses umstrittenen Buches.

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Wie sehr in der Pharmaindustrie geschäftliche Interessen vor der Entwicklung neuer und wirkungsvoller Heilmittel den Vorrang haben, glaubt das Autorenteam Kurt Langbein, Hans-Peter Martin, Hans Weiß und Roland Werner in seinem Buch „Gesunde Geschäfte“ beweisen zu können.

Zu diesem Zweck haben die Journalisten Langbein und Martin bei Pharmakonzernen in Österreich recherchiert, sich der Mitarbeit eines Ärzteberaters (Pseudonym: „Werner“) versichert, und Hans Weiß hat sich gleich von zwei der Größten, Sandoz und Bayer, als Ärzteberater anheuern lassen.

Das Ergebnis sind „mehr als 40.000 Blatt Dokumentation“ - so die Autoren -, die Schlußfolgerungen gipfeln in massiven Vorwürfen an die Adresse sowohl der Konzerne als auch der Ärzte, Spitäler und der öffentlichen Verwaltung.

Daß seit Mitte der sechziger Jahre immer mehr Gelder in die medizinisch unbedeutende Erforschung bekannter Arzneimittelsubstanzen flössen, führen die Verfasser auf die konzernüblichen Vertriebsmethoden zurück, die sich an der Umsatzsteigerung der Konsumgüterindustrie orientieren:

„Statt medizinisch geschulter Fachleute planen heute Marketingexperten, wo und wann welche Produkte gegen welche Krankheit verkauft werden sollen.“ Das hat schon auf die Produktentwicklung einen fatalen Einfluß.

„In der BRD“, behaupten die Autoren, „bestehen 8Ö bis 90 Prozent aller Medikamente aus Arzneikombinationen, die medizinisch, bis auf wenige Ausnahmen, unzweckmäßig sind .. . Unter den 18.625 zwischen 1965 und 1973 beim Bundesgesundheitsamt in Berlin registrierten .neuen’ Arzneimitteln befanden sich lediglich 309 Produkte mit neuem Wirkstoff. Das sind ganze 1,7 Prozent. Identische Stoffe werden immer wieder mit unterschiedlichen Namen verkauft.

Die Unternehmensstrategien der Firmen, mit denen auch in Österreich die größten Umsatzsteigerungsraten erzielt werden, betreffen vor allem Antibiotika Beta-Blocker (Herzmittel), Psy

chopharmaka, Cytostatika (Krebsbehandlung), Kortikoid-Präparate (gegen Allergien) und Fermenthemmer.

Während der Forschungsaufwand bei den führenden Konzernen nur rund 10 Prozent des Umsatzes ausmacht, beträgt der Werbekostenanteil 25 bis 40 Prozent.

Ähnlichen Zwecken dienen von den Firmen veranstaltete Kongresse und Tagungen im Ausland. Der Erfolg einer Tagung in Dubrovnik (Jugoslawien), zu der Bayer einlud, um das Herzmittel Adalat zu forcieren, blieb nicht aus:

„Drei Monate nach Einführung des Präparates kam Adalat schon auf einen Monatsumsatz von 1,1 Millionen DM (7,2 Millionen Schilling), inzwischen gehört es zu den drei führenden Bayer- Produkten.

Die Konzerne haben bestimmenden Einfluß auf die klinische Forschung. So erhielt ein führender Kardiologe von Bayer.j976 für die Verwendung und kli-

nische Testung des bereits eingeführten Mittels Acebutolol 84.000 Schilling überwiesen.

Für die Anwendung des Fermentblockers Trasylol erhielt der Vorstand der Innsbrucker Frauen- und Geburtshilfeklinik 1974 Gratismuster des Präparates im Wert von fast 100.000 Schilling. Das Ergebnis:

„1976 wurde Bilanz gezogen. 13 Prozent der Säuglinge, deren Mütter Trasylol erhalten hatten, waren gestorben … Bei der Vergleichsgruppe, die kein Trasylol erhalten hatte, gab es doppelt so viele Todesfälle - 29 Prozent. Ein Ergebnis, das nach dem ärztlichen Grundsatz, niemandem Schaden zuzufügen, zu einem sofortigen Abbruch des Versuches hätte führen müssen.“

Sollten nicht beim Druck des Buches Zahlen verwechselt worden sein, wurde damit die Nützlichkeit von Trasylol bewiesen. So erscheint es wenigstens dem Nicht-Arzt und Nicht-Pharmazeuten. Die Buchautoren werfen den Ärzten aber vor:

„Die Prüfer schlagen vor, die Studie sollte forciert werden, um eine höhere Fallzahl zu erreichen. Mußten weitere Säuglinge sterben?“

Da muß sich wohl ein Unsinn eingeschlichen haben. Solcher Stellen gibt es in diesem Buch leider mehr, und damit wird dessen Glaubwürdigkeit untergraben. Sie legen die Frage nahe, wieviele Fehlschlüsse von den Autoren gezogen wurden, die für den Leser nicht ohne weiteres erkennbar sind. Auch die Literatur- und Quellenhinweise helfen oft nicht weiter.

Dies ist um so bedauerlicher, als das Grundanliegen der Autoren zweifellos starke Resonanz in der Öffentlichkeit findet und ihr Frontalangriff gegen Mißstände im Zusammenwirken von Medizin und Pharmazie in vielen Punkten glaubwürdig - und notwendig! - wirkt. Ein weiterer Vorwurf (einer von vielen):

Trotz der Contergan- und Mexa- formprozesse in Schweden und in Japan sind nach wie vor Medikamente auf dem Markt, die zu schweren Schäden führen können, weil Risiken verschwiegen werden. So sind Antirheumatika oft für Hautschäden und Magengeschwüre verantwortlich, und das Herzmittel „Prent“, ein Beta-Blocker, steht im dringenden Verdacht, ebenso wie sein Vorläufer zum Beispiel Durchlöcherungen der Hornhaut am Auge, Bauchfellentzündungen und Taubheit zu verursachen. Dennoch wird das Präparat weiter verkauft!

Die Buchautoren fordern eine wirksame Kontrolle der Medikamentenverbreitung, die nicht mehr dem Gewinnstreben der Konzerne überlassen werden sollte, und eine Preisreduktion bei den wenigen wirksamen f’^dikamen- ten. Als Beispiel für den Erfolg solchen Vorgehens führen sie Sri Lanka an, wo die Pharma-Industrie 1972 verstaatlicht wurde und lediglich die Grundsubstanzen auf dem internationalen Markt eingekauft werden.

Die Autorin ist Naturwissenschaftlerin (Biologin) und Wissenschaftspublizistin.

„GESUNDE GESCHÄFTE Die Praktiken der Pharma-Industrie“ von Kurt Langbein. Hans-Peter Martin, Hans Weiss und Roland Werner. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 300 Seiten, öS 152.50.

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