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Attacken auf den Wahlmonarchen

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Im Mittelpunkt des inzwischen voll angelaufenen Präsidentenwahlkampfes in Frankreich steht eine Frage, die keineswegs sensationell wirkt. Sie lautet schlicht und einfach: Was ist Frankreich eigentlich: ein Parteienstaat oder ein Präsidialregime?

Ausgelöst hat die in einem harten Wahlkampf doch recht theoretisch anmutende Diskussion Staatspräsident Giscard d’Estaing selber - oder besser: der Stil, mit dem er das Land in den letzten sieben Jahren regiert hat. Und gewiß: Autoritäre, oder jedenfalls sehr eigenwillige Züge sind in Giscard’s Führungsstil nicht zu übersehen.

Ein kurzer Rückblick in die jüngere französische Geschichte erhellt den Hintergrund dieser Auseinandersetzung, die die Bewerber um die französische Präsidentschaft, ihre Helfer und die Medien mehr als viele andere Themen in Anspruch nimmt:

In der Vierten Republik (1944-58) gaben eindeutig die Parteien den Ton an, obwohl der Befreier des Landes, General de Gaulle, ganz andere Vorstellungen von der Art gehabt hatte, wie Frankreich zu regieren sei. Seine Popularität half dem General jedoch wenig: Es waren die Volksvertretungen, die relativ schnell die Machtinstrumente des Staates in ihre Hände bekamen.

Mit den zwei großen Problemen des Landes wurde der Parteienstaat jedoch nicht fertig: Mit den ohne viele Überlegungen entfesselten Kolonialkriegen in Indochina und Algerien sowie mit dem leidigen Schulproblem.

Zu alledem ließen es die Parteien an politischer Verantwortung und Kompromißbereitschaft vermissen, groteske Situationen und Szenen waren keine Seltenheit: eine Regierung etwa, die sich in der Früh gebildet hatte, wurde in der Nacht darauf im Palais Bourbon gestürzt.

Am Rande eines Bürgerkriegs stehend, waren die Parteien geradezu gezwungen, General de Gaulle zur Übernahme der Regierungsgeschäfte einzuladen. Der aber ließ in den äußerst delikaten Geheimverhandlungen keinen Zweifel aufkommen, daß er im Falle seiner Regentschaft die durch ein Referendum abgesicherte Verfassung außer Kraft setzen würde.

1958 legte der General dann eine neue, von seinem treuen Leutnant Michel Debrė im wesentlichen ausgearbeitete Verfassung vor.

Dieses Grundgesetz, das auch heute noch in Kraft ist, erlaubte es dem Präsidenten, den Staat zu lenken, ohne die Parteien anhören zu müssen. Die durf

ten im Parlament zwar weiterhin schöne Reden halten, das Sagen hatte jedoch eindeutig das neue Staatsoberhaupt.

Es war klar: diese Verfassung war eindeutig auf die Person de Gaulles zugeschnitten. Und klassifiziert wurde dieses Regime ja auch als eine Art Wahlmonarchie. Tatsächlich kommt diese Definition der Wirklichkeit sehr nahe.

De Gaulles unmittelbarer Nachfolger, George Pompidou, beschäftigte sich im wesentlichen mit der Außenpolitik. Und die Parteien konnten - selbst gegen den Willen des Staatschefs - das eine oder andere Mal gewisse Gesetzesvorschläge im Parlament durchbringen.

Hingegen griff der jetzige Staatschef Giscard d’Estaing in seiner Amtszeit unverfroren auf die Praktiken des Gründers der Fünften Republik zurück: Er personalisierte die Macht, besetzte die Schaltstellen in Legislative und Exekutive, in Wirtschaft, Verwaltung und im Medienwesen mit ihm treu ergebenen Technokraten, kümmerte sich nur wenig um das, was die Parteien (auch wenn es die ihm nahestehenden bürgerlichen waren) an ihn herangetragen.

Umnurein Beispiel zu nennen, sei an das Eingreifen französischer Fallschirmjägereinheiten in Zaire und Tschad erinnert: Giscard hatte weder die Gesamtregierung noch das Parlament befragt, als er diese Interventionen anordnete.

Die immer wieder auftauchenden Hinweise auf die monarchistischen Züge des gegenwärtigen Regimes, die aus allen politischen Lagern kommenden Attacken gegen die Macht der Kabinette, gegen die Herrschaft der Giscard-Technokraten - Vorwürfe, die sich in erster Linie gegen den Regierungsstil des sich um seine Wiederwahl bewerbenden Präsidenten insgesamt richten: all dies kommt also nicht aus heiterem Himmel.

So steht denn der französische Wähler tatsächlich vor der Frage, ob die Art des Regierens in Form eines Präsidialregimes Für das Land richtig ist oder ob Frankreich inzwischen wieder reif für einen Parteienstaat geworden ist. In wenigen Wochen wird er darüber entscheiden.

Im Hintergrund geht es aber um noch vielmehr, nämlich um die Grundorientierung des französischen Staates überhaupt: um ein bürgerliches oder um ein sozialistisches Frankreich.

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