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Auch der Ton macht die Musik

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Reporter, BBC London: ,JDu bist das einzige jüdische Kind in Deiner Klasse. Hast Du persönlich Antisemitismus zu spüren bekommen? Hast Du in Deiner Umgebung — bei Lehrern oder Schülern — etwas bemerkt?“

Ester H., 16 Jahre, Schülerin einer 5. Klasse AHS: ,JDirekte antisemitische Angriffe hat es keine gegeben. Aber gespürt habe ich

schon etwas. Die Beziehungen der anderen zu mir waren plötzlich kälter. Ich habe zum ersten Mal gemerkt, daß zwischen mir und den anderen ein großer A bstand war. Irgendwie war ich allein.“

Viele Juden in Österreich haben ähnliches erlebt, manche weitaus ärgeres. Was war geschehen? Was hat (manche) Schüler einer 5. Klasse AHS dazu bewogen, zu ihrer Mitschülerin auf Distanz zu gehen? Was hat — ganz allgemein — in Österreich diese neue Welle des Antisemitismus ausgelöst?

Man muß nicht lange nachdenken, um auf die Antwort zu kommen: Es war die „Affäre Waldheim“, so wie sie sich in den Medien gespiegelt hat.

Entscheidend waren dabei die Berichterstattung und die Kommentierung. Die Auswahl der Informationen, die Wahl der Worte, der Stil und der Ton der begleitenden Glossen undjtommentare hatten prägenden Einfluß auf das Bild, das sich im Leser, Hörer oder Zuschauer formte.

Im Falle des ORF war es nicht das Medium, sondern manche der auftretenden Politiker, die für das Erstarken des Antisemitismus in Österreich sorgten.

Anders war die Situation bei den Printmedien. Einige haben sich verantwortungsbewußt gezeigt und auf Objektivität und Besonnenheit geachtet. Sie haben immer in Rechnung gestellt, daß der Antisemitismus in Österreich einen besonderen Stellenwert hat. Die FURCHE, das „Profil“ sind da ebenso zu nennen wie die „Salzburger Nachrichten“ oder der „Falter“.

Ziemlich danebengegriffen haben hingegen „Kronen-Zeitung“, die auflagenstärkste Zeitung Österreichs, und die „Presse“. Diese beiden Tageszeitungen haben den Antisemitismus in Österreich auf mehreren Ebenen gefördert. Erstens durch die Auswahl der Informationen. Wer „Kronen-Zeitung“ oder „Presse“ las, mußte zu dem Schluß kommen, daß außer Israel, dem World Jewish Congress und einigen (vom World Jewish Congress gesteuerten) amerikanischen Blättern niemand etwas gegen Kurt Waldheim einzuwenden hatte. Wochen- und monatelang gab es kein Wort über französische, italienische, englische oder deutsche Stellungnahmen.

Der Leser wurde zu der Schlußfolgerung geradezu gezwungen, daß es nur Juden („die Juden“ oder „einige Juden“) waren, die Waldheim angriffen.

Bei der „Kronen-Zeitung“ kamen zur Desinformation noch die Wahl der Worte und der Stil hinzu. Hier einige Beispiele: „Israels Außenminister dreht nun total durch: JKriegserklärung' an Waldheim!“, „Waldheim wird bei Reagan ,vernadert'!“, „Großoffensive gegen Rufmord an Österreich im Ausland!“.

Man beachte, daß diese Balkenüberschriften Nachrichten sein sollten und nicht zu den Kommentaren zählten. Neben solchen schweren Geschützen sind die

Manipulationen des „Kurier“, die lediglich den Zweck verfolgten, einige Juden in Wien gegeneinander auszuspielen, geradezu zu vernachlässigen.

Einen wesentlich ernsteren Fehler hatte sich die „Wochenpresse“ geleistet. Die schlecht recherchierte Sensationsmeldung, der World Jewish Congress habe einen ehemaligen griechischen Partisanen bestechen wollen, um ihn zu einer falschen Zeugenaussage zu bewegen, hat sich zwar am Ende als falsch erwiesen, fand aber großes Echo.

Aber in den Nachrichtenteilen von „Presse“ und „Kronen-Zeitung“ wurde die Stimmung nur vorbereitet, die dann in Leitartikeln, Kommentaren und Glossen voll zum Tragen kam.

Für die „Presse“ war es klar, daß die Juden am Antisemitismus selber schuld seien. Ilse Leiten-berger erinnerte sich, daß es ein „Weltjudentum“ gab, und Thomas Chorherr hielt Trauerarbeit für ein unsinniges Modewort.

In der „Kronen-Zeitung“ wetteiferten Cato (alias Hans Di-chand), Staberl (alias Richard Nimmerrichter) und Viktor Reimann um die Ehre, das meiste für den Antisemitismus getan zu haben. Cato verglich - eine ganze Glosse lang - die Gegner Waldheims mit Menschenfressern: „... In ganz besonderen Fällen, wie bei Waldheim, treten Endo- und Exokannibalismus gemeinsam auf — sozusagen unter der Parole Menschenfresser. aller Länder* vereinigt euch!' Auf diese Weise kam es zwischen New York, Wien und Tel Aviv zu erstaunlichen Erscheinungen ...“

Staberl verbat sich nicht nur jede Einmischung des Auslandes, er stellte auch (bedauernd? erleichtert?) fest: ,JDie Juden sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.“

Viktor Reimann aber hatte seit Beginn des Wahlkampfes mit seinen Kommentaren das meiste zum Erstarken des Antisemitismus in Österreich beigetragen. Daß jemand wie Viktor Reimann der politische Hauptkommentator der auflagenstärksten Zeitung des Landes ist, ist kein Ruhmesblatt.

Es mag nun der Einwand kommen, das alles sei zwar sehr bedauerlich, aber letztlich sei es doch nur ein Problem der Juden. Sieht man einmal von ihnen ab, so bleibe doch höchstens ein fremdenverkehrsrelevantes Imagedefizit, das man mit Werbemaßnahmen schon hinkriegen werde.

So eine Argumentation ist nicht nur inhuman, sie ist auch in gefährlicher Weise falsch. Bei der großen Bedeutung, die gerade die Medien in unserer modernen demokratischen Gesellschaft spielen, stellt mangelnde Ethik, die sich iri Intoleranz, Fremdenhaß und speziell in Antisemitismus ausdrückt, eine große Gefahr dar - für alle Mitglieder dieser Gesellschaft.

Wir Juden sind - wenn es um in-humane Gesinnungen geht — sicher besonders sensibel, denn wir waren schon allzuoft die ersten Opfer - allerdings selten die letzten.

Der Autor ist Kommunikationswissenschafter und ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift „Die Gemeinde“.

Anmerkung: Die ..Kronen-Zeitung“ erreicht mit jeder Ausgabe mehr als fünf Mal so viele Leser wie „Profil“, „Wochenpresse“ und FURCHE zusammen. Zwei Drittel aller Österreicher zählen zum weitesten Leserkreis der „Kronen-Zeitung“. Selbst unter Akademikern erreicht sie 28 Prozent, während die „Presse“ nur auf 18 Prozent kommt.

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