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Auch die Mütter brauchen Anerkennung

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Im heurigen Sommer haben sich Berichte über menschliche Tragödien, in denen Mütter mit ihren Kindern im Mittelpunkt standen, gehäuft. Immer ging es um Mütter, die sich mit ihren Kindern im Leben nicht mehr zurechtfanden, und die, verzweifelt und alleingelassen, dieses Leben verlassen haben. Äußerlich schien vieles für die Frauen in Ordnung: Sie führten das Alltagsleben von Ehefrauen und Müttern, die ihre Hauptaufgabe in der Betreuung von Mann und Kindern gesehen haben, an dieser Aufgabe jedoch zugrunde gingen.

Von schweren Depressionen und dem Abbau sozialer Kontakte war die Rede. Ebenso von Äußerungen, daß die Last und die Lebenssituation als unerträglich empfunden wurde, und daß die Isolation der Frauen und ein Gefühl der Sinnlosigkeit als sehr belastend erlebt wurde. Was aber führt zu solcher Tristesse der Gefühle, zu so massiven Störungen des Selbstwertgefühls?

Hat unsere Gesellschaft die Alarmglocken im Gefüge menschlichen Zusammenlebens eigentlich gehört? Haben die Berichte über die grauenvolle Ausrottung der eigenen Nachkommenschaft und die Selbstzerstörung dieser Frauen irgend etwas in Frage gestellt? Ich fürchte nein.

Die Ereignisse dieses Sommers lassen uns kalt. Frauen, die so etwas tun, werden als „psychisch krank" abgetan. Und damit „basta". Man kann wieder zur Tagesordnung übergehen. Ginge man einmal offenen Auges durch Wien, könnte man vielen kleinen Indizien fürdie Vernachlässigung von Müttern mit Kindern begegnen.

Man begegnet Müttern auf den vielen Rolltreppen der Wiener Innenstadt, sie müssen ihre Kinderwägen wegen fehlender Rampen über diese jonglieren oder tragen. Hat eine Frau zusätzlich zum Kinderwagen noch ein oder zwei kleine Kinder an der Hand, so ist es für sie fast unmöglich, alles im Griff zu behalten. Ist sie dann - mit fremder Hilfe - in eine Straßenbahn gelangt, ist es keine Selbstverständlichkeit, daß ihr der für sie bestimmte Platz auch überlassen wird.

Wie fühlt man sich aber, wenn keiner von der eigenen schwierigen Situation Notiz nimmt? Man fühlt sich alleingelassen. Frauen, die Kinder haben, sind an dieses Gefühl bereits gewöhnt. Sie haben gelernt, mit niedrigem Sozialprestige zu leben.

Die kinderlose Karrierefrau kann sie überall und jederzeit leichtfüßig überholen. Sie schleppt keine - freiwillig aufgehalste - Bürde in Form von Bauch, Kindern oder Kinderwägen mit sich herum. Sie hat - ebenfalls freiwillig-auf all das verzichtet, sie kann einen Urlaub ohne Verpflichtungen wie Kochen und Kinderbetreuung planen und genießen. Mütter mit Kindern fliegen seltener zu Traumstränden in Traumhotels, - sie bleiben entweder zu Hause oder verbringen Billigsturlaube in erschwinglichen Quartieren.

Erholung? Die brauchen scheinbar nur jene, die etwas in der Gesellschaft „leisten", - die sichtbar in den Produktionsprozeß (gegen Bezahlung) eingebunden sind. Dieses Gefühl wird vermittelt, und dieses Gefühl ist grundfalsch. Denn niemand braucht Anerkennung, Erholung und Sozialprestige mehr als Frauen, die sich entschlossen haben, ihre Arbeit „an der Basis'', das heißt in den Familien zu leisten. Sie haben - freiwillig und gerne -vieles aufgegeben, was für viele heute unentbehrlich ist:

□ die Selbständigkeit, die ein Beruf nun einmal bietet;

□ die Kontakte, die sich aus einer Berufstätigkeit ergeben; (Kinder sind eben nicht immer die geeigneten Gesprächspartner!)

□ die Möglichkeit, sich immer wieder verändern zu können, sei es nun örtlich - durch Reisen, oder beruflich - durch einen Wechsel der Beschäftigung.

Frauen mit Kindern können nicht mobil sein, - sie werden tagtäglich am gleichen Ort von den gleichen Aufgaben gefordert. Sie erfüllen diese Aufgaben gerne. Das aber sollte man auch anerkennen.

Wir sollten aufhören, selbstverständlich Geleistetes als Selbstverständlichkeit hinzunehmen. Wir sollten unser soziales Gewissen nicht nur für zeitlich begrenzte Aktionen mobilisieren. Es ist täglich gefragt und könnte täglich aktiviert werden. Allerdings oft dort, wo es ganz unspektakulär zugeht, wie zum Beispiel auf einer Rolltreppe oder in der Straßenbahn, einfach überall dort wo Menschen Menschen begegnen...

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