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Auch die Schule braucht eine Antwort auf die Sinnfrage

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Der Mensch in der pluralistischen Gesellschaft unterliegt oft der Tendenz, tradierte Werte und liebgewordene Wertvorstellungen, geschichtlich gewachsene Institutionen, insbesondere aber das Gedanken- und Glaubensgut der Religionen und Konfessionen, in Frage zu stellen, zu relativieren und für unbrauchbar zu erklären. Gewiß lebt die freie, demokratische Gesellschaft von der Kritik, wenn sie, sachbezogen und um objektive Darstellung bemüht, die Grundabsicht und das Grundprinzip eines Wertes wieder deutlich werden läßt. So hat die Kritik auch nicht vor den Aufgaben der weltanschaulich neutralen Schule, vor den von vielen Menschen nur als Institution erfahrenen Kirchen, aber auch nicht vor dem „Weltanschauungsfach“ Religion Halt gemacht.

Wenn wir Religion heute als Gundbefindlichkeit des Menschen verstehen, indem er nach dem Sinngrund seiner menschlichen Existenz (Woher komme ich? Wozu lebe ich? Wohin gehe ich?) fragt, und als „das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“ (Paul Tillich), so ist klar, daß auch der pluralistische — Weltanschauungen gegenüber neutrale — Staat ein Interesse haben muß, junge Menschen mit Hilfe der Schule auf die konkrete Gesellschaft hin, in der die Religion einen Wert darstellt, zu erziehen. Im Zielparagraphen des Schulorganisationsge-setzes umschreibt der Gesetzgeber deutlich die Ziele und Aufgaben der österreichischen Schule, „an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen; religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken“!

Darum machte .der Gesetzgeber das Fach Religion im Kanon der SChülfächer auch -zium'gleichwertigen und partnerschaftlichen Pflichtgegenstand. Damit soll nicht so sehr der Zwang dem Schüler gegenüber zum Ausdruck gebracht werden, sondern vielmehr die Bedeutung des Religionsunterrichtes für den jungen Menschen als essentieller Bestandteil des Lehrprogrammes der Schule. Die große Mehrheit der österreichischen Katholiken wünscht den Religionsunterricht und bejaht sein heutiges Selbstverständnis als Angebot von und Auseinandersetzung mit Antworten auf die existentiellen Grundfragen des jungen Menschen. Religion ist daher zentrale Materie wie Deutsch, Englisch und Mathematik und der Religionsunterricht integriertes Unterrichtsfach unter den Bedingungen der Schule, seiner Zielsetzung, Thematik, Form und Arbeitsweise nach.

Der Religionsunterricht erschließt die gesamte Wirklichkeit in ihrem letzten Sinngrund und leistet damit einen wesentlichen Teil des Gesamtauftrages der Schule, dem Schüler zu helfen, im Dialog mit der Welt sein Menschsein zu verwirklichen. Der christliche Religionsunterricht — von Staat und Gesellschaft bejaht, von den Kirchen verantwortet —. will dem jungen Menschen durch kritische Wertung eine Orientierungshilfe im heutigen Pluralismus weltanschaulicher, ideologischer und religiöser Meinungen ermöglichen. Seine Eigenart ist es, den Sinngrund menschlichen Lebens letztlich im Geiste Jesu und aus der Sicht der glaubenden Gemeinde zu erhellen. Aus diesem Grunde ist auch eine weltanschaulich neutrale, von der Sache distanzierte, objektivierte „Re-ligionskunde“ nicht denkbar. Vom Schüler wird im Gegensatz dazu gerade neben dem vielfältigen Angebot von Antworten auf seine Fragen eine klare engagierte Stellungnahme der Kirche und des Religionslehrers als Träger des schulischen Religionsunterrichtes erwartet und gefordert.

Jedem Schüler bleibt natürlich das Recht auf Abmeldung in den ersten zehn Tagen des Schuljahres unbenommen. Allerdings machen nur ein Prozent der Eltern und der Schüler über dem 14. Lebensjahr an Pflichtschulen, fünf Prozent an höheren Schulen, von der Abmeldemöglichkeit Gebrauch.

Der demokratische Staat bezahlt als Schulerhalter alle Lehrer, daher auch die Religionslehrer. Die Kirchen sind für die Beistellung der Lehrpläne und Lehrbücher zuständig, um die Sache des Religionsunterrichtes an sich außer Streit zu stellen. Weder will der Deutschlehrer Propaganda für Literatur oder Kunstbetriebe machen, noch will die Kirche die Schüler für sich vereinnahmen, sondern beide wollen sachlich zum jeweiligen Unterrichtsthema und als Lehrer persönlich 1 für das Fach engagiert informieren, Stellung beziehen, zu Kritik befähigen und Auseinandersetzung ermuntern.

Die pädagogische Führung des Schülers durch den Religionslehrer beginnt zunächst bei der Einübung menschlicher Grundfähigkeiten (einander zuhören, aufeinander eingehen, ein Gespräch führen), führt hin zu religiösen Grundhaltungen, wie Dankbarkeit, Dienst am Mitmenschen, und bereitet damit auf die Einübung liturgischer Vollzüge (sakramentales Leben der christlichen Gemeinde) vor. Pie.MeU&oden jm Religionsunterricht sind einerseits von der individuellen Situation und den sozialen Voraussetzungen des Schülers und den Möglichkeiten des Lehrers bestimmt, anderseits vom Ziel und dem jeweils zu behandelnden Thema. Seine Sprache entspricht dem Alter des Schülers, die Unterrichtsinhalte werden jugendgemäß vermittelt, in den Kontext der Welt gestellt, in der der Schüler lebt. Aufgabe und Ziel religiöser Erziehung ist es letztlich, den jungen Menschen zu befähigen, das Leben und seine Probleme verantwortlich und selbständig zu meistern. Pädagogisch wertvolle und auf den neuesten Stand der Wissenschaft gebrachte Arbeits- und Lesebücher für die Hand des Schülers sollen dieses Bemühen wesentlich unterstützen.

Die Notengebung kann nur kontrollierbare Prüfungsinhalte wie religiöses und profanes Wort- und Sachwissen und die Mitarbeit des Schülers in vielfältiger Weise umfassen, keinesfalls aber religiöses Verhalten, religiöse Intentionen und religiöse Einstellungen. Auch ist die Religionsnote nicht identisch mit dem Betragen des Schülers.

Der Religionsunterricht heute versteht sich zusammenfassend als Ermöglichung einer fruchtbaren und engagierten Begegnung zwischen dem Christentum und den Fragen und Problemen des suchenden Menschen und leistet daher, so verstanden, einen nicht wegzudenkenden und wegzudiskutierenden ernsthaften Beitrag zur Humanisierung der pluralistischen Gesellschaft.

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