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Auch eine von denen ?

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Das ursprünglich klare Blau dieses kühlen Frühlingsmorgens ist inzwischen von weißen und hellgrauen Wolkenstreifen durchzogen. Ein scharfer Wind heult in den Kaminen. Holzfeuer prasselt wohltuend im Herd. Vor dem Fenster lassen sich die noch kahlen, aber doch Grün, Blüten und Früchte versprechenden alten Obstbäume ihre Kronen zausen.

Zwischen dem Schauen immer wieder die Frage, die mir gestellt ist: „Auch eine von denen...?“ So hatte auch die Frage an Petrus gelautet, mit deren Verneinung er dreimal den Herrn verraten hatte, bevor der Hahn krähte. „Anmaßung“ - denke ich und erschrecke vor dem Vergleich.

Aber war er, der Fischer Simon Petrus, nicht auch plötzlich zum Genossen eines Verfemten, eines, in den Augen des Volkes und seiner Führer todeswürdigen Verbrechers geworden?

Nein, es liegt mir fern, die Politiker von heute mit dem Verleumdeten von Golgotha auch nur in einem Atemzug nennen zu wollen. Da sind ihrer zu viele, die sich die Taschen gefüllt haben auf Kosten anderer, zu viele, die ihre Macht mißbrauchen und nur an ihren Sessel, an ihr Amt, an ihre Partei oder was immer denken und die längst vergessen haben, daß die Höchsten die Diener aller sein sollen.

Aber ist das denn wirklich auf die heute so viel und durchaus zu Recht geschmähte Kaste der Politiker beschränkt? Wie ist denn das mit den Industriellen, den Wirtschaftstreibenden, den Technikern, den Wissenschaftlern, den Militärs? Gibt es denn überhaupt einen Stand, der sich nicht „angepatzt“ hat?

Sind denn die unten, die an der Basis, frei von Schuld? Sind es nicht die Bauern, die ganz erheblich zur Vergiftung der Umwelt, zur Zerstörung des Bodens beitragen? Und doch gibt es unter ihnen auch einige, die noch etwas wissen vom Hegen und Pflegen.

Sind nicht auch die Arbeiter dort, wo vielfacher Tod produziert wird? Aber es gibt auch solche, die sich verweigern, Opfer auf sich nehmen und vielleicht für geringeren Lohn Arbeit für das Leben leisten.

Und die Ärzte, sind sie nicht auch zu Technokraten geworden, die sich zu Herren über Leben und Tod aufspielen? Aber es gibt auch Ärzte, die dem Menschen, die dem Leben dienen. In allen Bereichen gibt es die einen und die anderen. Auch in der Politik.

Vielleicht ist in diesem Bereich tatsächlich die Versuchung stärker und die Möglichkeit größer, das

Falsche zu tun, je höher man auf der öffentlichen Leiter steht, ja näher den Zentren der Macht kommt.

Ist das ein Ausschließungsgrund? Kann ich nicht mehr Arzt werden, nur weil es einen Mengele gegeben hat? Kann ich nicht mehr Journalist sein, nur weil es da so-viele gibt, die käuflich sind? Darf ich es mit der Politik nicht versuchen, nur weil es Skandale gibt, landesübliche Wadelbeißereien, Verleumdungs- ebenso wie Beschwichtigungskampagnen übelster Sorte? t

Darf ich nicht daran glauben, daß es eine andere Art von Politik gibt? Darf ich nicht versuchen, etwas anders zu machen, hinzuhorchen, da und dort die Stimme derer zu sein, die keine Stimme haben, da und dort das Recht derer zu vertreten, die um ihr Recht geprellt werden, da und dort Mut zu machen, wo sich Mutlosigkeit, Abscheu und Ohnmacht breitmachen — nicht einmal versuchen?

Mein Blick fällt auf den Brief eines Kollegen und die Zeilen von Bert Brecht, die er mir zum Abschied zitierte:

Könntest du die Welt endlich verändern, wofür wärest du dir zu gut?

Wer bist du?

Versinke im Schmutz, umarme den Schlächter, aber

ändere die Welt: Sie braucht es!

Das Merkwürdige ist, daß ich gerade draufkomme, daß ich mir diese Frage, ob ich dann „zu denen“, also zur Kaste der Politiker gehören würde, gar nicht gestellt habe, als ich darüber nachdachte, ob ich dem Ruf folgen solle oder nicht. Diese Frage wurde mir erst hinterher, von anderen gestellt.

Wenn ich es jetzt bedenke, so glaube ich nicht, daß es mir darum geht oder je darum gegangen ist, zu irgendeiner Gruppe zu gehören, vielleicht sogar irgendwo Heimatgefühle entwickeln zu wollen, weder in einer Kaste noch in einer Partei oder sonst einer Institution. Also werde ich mir auch in Hinkunft Nestbauaktivitäten, Einwachsprozesse ebenso ersparen wie die Enttäuschungen, die solches begleiten können.

Meine menschliche, ganz und gar personale und also auch meine politische Heimat ist und soll dort bleiben, wo ich die Frage vor dem Hahnenschrei freudig und aus tiefstem Herzen mit JA beantworten möchte, immer wieder aufs neue.

Und ist es dann nicht eigentlich gleichgültig, auf welchem Platz man tätig ist, auf dem eines Journalisten, eines Bauern, eines Technikers, eines Lehrers oder eben eines Politikers?

Und so wie diesem Karfreitag der Ostermorgen folgen wird, so ist hinter dem Kreuz jedes Lebens und jedes Berufes die Möglichkeit, nein, die Sicherheit der Auferstehung. Also, was soll da schon passieren....

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