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Auch Forscher brauchen Muskeln

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Salzburg wird vom 15. bis 18. September Schauplatz eines internationalen Kongresses über Muskel- und Zell-motilität sein, zu dem sich rund 300 Wissenschaftler in der Salzachstadt versammeln wollen. Gastgeber ist das Salzburger Institut für Molekularbiologie, mit seinem ISköpfigen Fachpersonal in den zugehörigen Abteilungen Physik, Chemie und Biologie die zweitgrößte Forschungsstätte der österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Dieser Kongreß führt nicht nur erstmals Molekularbiologen aus aller Welt nach Österreich, sondern soll auch die mittlerweile schon international maßgebliche Rolle des seit 1976 im Aufbau begriffenen Instituts auf dem Gebiet der Erforschung des molekularen Mechanismus der Muskelbewegung und der Bewegung nichtmuskulärer Zellen in den Blickpunkt rücken.

Mit solchen Problemen befaßt sich besonders die physikalische Abteilung des Salzburger Instituts (Leitung: John V. Small), außerdem sich in Österreich nur noch das Wiener Universitätsinstitut für Molekularbiologie diesem verhältnismäßig jungen Forschungszweig widmet. Zum Hauptthema erkor man molekulare Bewegungsvorgänge im sogenannten glatten Muskel, dem Muskelgewebe der inneren Körperorgane.

Diese Aufgabenstellung erwuchs geradezu organisch aus dem bisherigen Stand der etwa drei Jahrzehnte umspannenden molekularbiologischen Forschung: hatte sie nämlich zu Anfang noch ganz allgemein die molekulare Form und die Übertragung genetischer Informationen eines jeden Organismus sowie deren Informationsabwicklung innerhalb der Zelle aufzuspüren, so sieht sie sich nun vor der bis dato weitgehend ungelösten Frage, wie die in Proteinen festgelegten Gene die Eigenschaften und Funktion von Zellen, ja sogar von ganzen Organismen bestimmen.

Bei mehrzelligen Organismen gilt es darüber hinaus, die Ursachen für eine selektive Verwertung gleichlautender genetischer Informationen bei unterschiedlichen Zelltypen oder in verschiedenen Entwicklungsstadien desselben Zelltyps zu erkunden.

Hauptbeteiligt sind die kontraktilen, d. h. bewegungsauslösenden oder -hemmenden Proteine Aktin und Myosin, die alles in allem bis zu 50 Prozent sämtlicher Zellproteine betragen. Laut neueren Einsichten stehen sie noch mit rund zehn weiteren, vorläufig freilich nur ansatzweise analysierten Sonderproteinen in Wechselbeziehung. Deren molekulare Struktur, gegenseitige Durchdringung und örtliche Anordnung in der Zelle , wird in Salzburg am Beispiel des glatten Muskels untersucht. Ähnliche kontraktile Proteine kommen auch in anderen Körperzellen vor, daher können die Ergebnisse aus den Studien über glatte Muskelmotili-tät auch zum Verständnis von Zellbewegungen in diversen anderen Körpergeweben herangezogen werden.

Die im Salzburger Institut durchgeführten Versuchsreihen zur Identifizierung der erwähnten Sonderproteine reichen von Tests im „normalen" molekularbiologischen Arbeitsfeld (Größenordnungen von 10 hoch - 6 mm) bis zu Minimaldimensionen, die sich nur noch durch Licht- und Elektronenmikroskopie aufhellen lassen.

Zur Gewinnung laborgerechten Versuchsmaterials injiziert man beispielsweise Kaninchen im Laufe eines Vierteljahres vier Milligramm gereinigtes Aktin. Die Tiere bilden gegen dieses Protein Antikörper, die wieder aus ihrem Blut gefiltert und entnommen werden können. Derartige Antikörper lassen besondere Eigenschaften eben jenes Proteins erkennen, gegen das sie entwickelt wurden.

Sind einmal Eigenschaften, Wirkungsweise und die „Interaktion" der Proteine bis in alle Einzelheiten untersucht, dürfte es laut John V. Small „nur noch eine Zeitfrage" sein, wann die Immunologie, die Virologie oder die Krebsforschung die unter dem Vorzeichen reiner Grundlagenforschung ermittelten Tatsachen praktisch nützen können - resultieren doch beispielsweise mit hoher Wahrscheinlichkeit Störungen des genetischen Codes bei Tumorbildungen aus einem Unteroder Überangebot bzw. einer örtlichen Verschiebung der Sonderproteine in den Zellen.

Demnächst anwendbar auf medizinischer Ebene erscheint auch die Analyse der Kontraktion glatter Muskulatur für die Blutforschung, denn mit dem Muskelgewebe „verwandte" Proteine in den Blutplättchen sorgen für Kontraktion während der Gerinnung eines abgerissenen Blutgefäßes.

Die ärztliche Diagnostik dürfte sich schon bald erheblich auf Erkenntnisse der Proteinforschung stützen. So wies man bei gewissen Virusinfektionen, aber auch bei alkoholbedingter Leberzirrhose ein massives Aktin-Antikörpervorkommen nach, das jeweils mit der Ausheilung automatisch verschwand. Vergleichbare Antikörper-Bildungen gegen Proteine wurden bei Krebspatienten festgestellt: Ob dies dereinst auch für therapeutische Zwecke verwertbar ist, muß die Zukunft zeigen.

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