6948265-1984_01_12.jpg
Digital In Arbeit

Auch für heutige Genetiker genial

Werbung
Werbung
Werbung

In den frühen Morgenstunden des Dreikönigstages 1884 starb Johann Gregor Mendel, Gründer der Vererbungswissenschaften und Abt des Augustinerklosters St. Thomas in Altbrünn, nach erbittertem Kampf gegen die Behörden, die dem Kloster harte finanzielle Abgaben nach dem Religionsfondsgesetz von 1873 vorschrieben. Schon damals war von Mendel als Naturforscher lange nicht mehr die Rede; 20 Jahre waren seit dem Abschluß seiner Kreuzungsexperimente vergangen, mit welchen er die wissenschaftlichen Grundlagen der Vererbung erarbeitet hatte.

Was hatte den jungen Augustinermönch und Lehrer der Physik an der Oberrealschule in Brünn bewogen, über Vererbung nachzudenken und zu experimentieren?

Mendel wurde 1822 als Sohn armer Bauersleute im mährisch-schlesischen Grenzgebiet geboren. Ihm war von Jugend an bewußt, daß ungünstige Wetterverhältnisse oder Schädlingsbefall für die Landbevölkerung harte Einbußen bringen, ebenso aber auch, daß man Ertragsverbesserungen durch Veredelung und Kreuzung erzielen kann.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er aus Dankbarkeit zu seinen Eltern und zu seiner Schwester Theresia, von denen er in der Schulausbildung in Troppau und Olmütz so liebevoll unterstützt wurde, sich der Klärung der „Vererbungsfrage" zuwandte. Die Frage nach der Vererbung, das „Was und wie vererbt wird", wie es Mendels Abt C. F. Napp einmal formulierte, war • in Brünn — wahrscheinlich aber nicht nur dort — eine bei Züchtern viel diskutierte.

Mendel wurde 1843 zum Priester geweiht. Von 1849 bis zu seiner Wahl zum Abt im Jahr 1868 war er supplierender Gymnasiallehrer, zuerst in Znaim und dann in Brünn. Sein Studium in Wien, das wegen des Nachweises der Lehrbefähigung notwendig wurde, um ihn als definitiven Lehrer beschäftigen zu können, war bevorzugt auf „Naturlehre" ausgerichtet. Mendel wurde durch die Physiker Doppler und von Ettingshausen mit den Methoden der präzisen Planung und Durchführung, der mathematischen Analyse und Interpretation von Experimenten vertraut gemacht. Sein Versagen bei der Lehramtsprüfung mag Ansporn für seine ungewöhnlich ausdauernden Versuche gewesen sein.

Nach zweijährigen Vorversuchen, in welchen Merkmale verschiedener Pflanzen, vor allem von Erbsen, auf ihre Erblichkeit geprüft wurden, hat Mendel sieben Jahre lang „reine" Erbsenrassen gekreuzt, weil sie letztlich unter den für ihn zugänglichen Versuchsobjekten die geeignetsten fyr die Klärung der Frage, was und wie vererbt wird, waren.

Seine Ergebnisse und Schlußfolgerungen sind auch für den heutigen Genetiker genial: Mendel fand, daß die von ihm untersuchten Merkmale durch diö freie Kombination von zwei Elementen — eines vom väterlichen, eines vom mütterlichen Organismus stammend — wir nennen sie seit langem Gene, bedingt sind. Er erkannte ferner, wie z. B. die rote Blütenfarbe durch ein dominierendes Element vererbt wird (symbolisiert durch einen Großbuchstaben, z. B. „A"), welches das rezessive (z. B. „a") verdek-ken kann, und daß nur dann, wenn „a" ohne „A" vorliegt, die dadurch bestimmte Eigenschaft (z. B. die weiße Blütenfarbe) manifest wird.

Mendels Ergebnisse wurden bekanntlich um 1900, wie wir heute wissen ganz vereinzelt auch schon früher, „wiederentdeckt". Aber die Wiederentdecker können ge-, genüber seiner genialen Leistung nur als Epigonen bezeichnet werden.

T. H. Morgan, selbst ein berühmter Genetiker der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, sagte über Mendels Arbeit: „In den zehn Jahren seiner Arbeit mit Erbsen in einem Klostergarten machte Gregor Mendel die größte biologische Entdeckung der letzten 500 Jahre."

Und Bachmann, ein Biologe unserer Tage, sagt darüber: „Wenn eines Tages die Geschichte der Naturwissenschaften in ihrer Gesamtheit ausgewertet wird, dann wird sich herausstellen, daß selten eine Arbeit so nahe an wissenschaftliche Perfektion herangekommen ist, wie diese."

Es ist eine noch immer ungeklärte Frage, warum die Biologen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Münchener Botaniker Nägeli, an den sich Mendel, um Verstehen bittend, wandte, seine Ergebnisse nicht verstehen konnten. Keiner seiner Zeitgenossen und Fachkollegen wußte, daß Mendel eine neue Epoche exakter Naturforschung in der Biologie begründet hatte, die heute noch die größten Triumphe feiert.

Ob man Schweine mit oder ohne Speck haben möchte, Rinder für höheren Milch- oder Fleisch-ertrag,oder Mais und Weizen, die noch unter, bestimmten, nicht sehr günstigen Klimabedingungen Erträge bringen, wird heute nach Mendels Gesetzen „herausgezüchtet". Bei Genetikern kann man, dank der Grundlagenforschung Mendels, Sorten und Rassen mit bestimmten Eigenschaften „bestellen".

Wir wissen heute, wie sehr viele gesunde und krankhafte Merkmale des Menschen vererbt werden. McKusicks berühmtes Buch über „Mendelsche Vererbung beim Menschen" wird mit jeder Auflage beträchtlich umfangreicher, weil wir mehr und mehr dominante und rezessive Gene auch beim Menschen kennenlernen. 1958 kannte man 374 dominante und rezessive Gene des Menschen, 1978 waren es bereits 1257.

Wenn man den Wert der Men-delschen Forschungen abschätzen will, kann man ohne Übertreibung sagen, daß seine Ergebnisse von der gleichen Bedeutung wie etwa die des Atombaues sind.

Der Autor ist ordentlicher Professor für Genetik und Entwicklungsbiologie an der Universität Salzburg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung