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Auch fur Osterreich wichtig

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Am 25. Juli wurde in Chätillon/St. Vincent in der Autonomen Region Aostatal durch den Kongreß der Association Internationale pour la Defense des Langues et Cultures Menacees (A. I. D. L. C. M. — Internationale Vereinigung zum Schutz bedrohter Sprachen und Kulturen) eine schon seit fast vier Jahren vorbereitete Charta der minoritären Volksgruppen und Sprachminderheiten verabschiedet.

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Am 25. Juli wurde in Chätillon/St. Vincent in der Autonomen Region Aostatal durch den Kongreß der Association Internationale pour la Defense des Langues et Cultures Menacees (A. I. D. L. C. M. — Internationale Vereinigung zum Schutz bedrohter Sprachen und Kulturen) eine schon seit fast vier Jahren vorbereitete Charta der minoritären Volksgruppen und Sprachminderheiten verabschiedet.

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Der Entwurf stammt ursprünglich vom Generalsekretär der Vereinigung, Jördi Costa, Perpignan, wurde dann durch Prof. Guy Heraud (Straßburg und Pau), der bei den letzten französischen Präsidentschaftswah-len für die Sprachgnuppen kandidierte (er ist Okzitander), umgearbeitet. An der Endfassung habe ich selbst mitgewirkt sowie der in Zürich lebende Nortdikatalane Guiu Sobiela-Caanitz. Durch diese Mitwirkung ist es gelungen, dieser Chart der Namen „Volksgruppencharta“ statt früher „Minderheitencharta“ zu geben. Das war ein großer Fortschritt, denn überall, auch in Österreich, wird „nationale Minderheit“ von gewissen Kreisen des Mehrheitsvolkes mit Minderwertigkeit in Zusammenhang gebracht.

Österreich ist in der A. I. D. L. C. M. durch den Kärntner Landesregierungsrat Dr. Apovnik (vom Zentralverband slowenischer Organisationen) vertreten, der als ein sehr sachlicher Arbeiter gilt. Die christlichen Slowenen (Volksrat) arbeiten in der Föderalistischen Union europäischer Volksgruppen (PUEU), Sitz Kopenhagen, mit, deren Bedeutung erheblich größer ist als jene der A. I. D. L. C. M. Dennoch sollte man die A. I. D. L. C. M. nicht unterschätzen. Sie umfaßt „progressive“ Volksgruppenorganisationen in gleicher Weise wie konservative (so die gemäßigten Elsässer des Rene-Schickele-Kreises).

Die Volksgruppencharta der A. I. D. L. C. M. geht zunächst von dem wohl selbstverständlichen Grundsatz aus, idaß die Volksgruppen (und die sprachlichen und religiösen Gemeinschaften ethnischer oder zelne Mitglieder dieselben Rechte genießen müssen wie alle anderen Gemeinschaften ethischer oder sprachlicher Kennzeichnung und ihre Angehörigen, dies im Rahmen des Staatsgefüiges. Jede Aufreizung zu Rassenhaß und Völkerhaß ist verboten,

Nach Art. 2 hat jeder Staat seinen bodenständigen ethnischen und sprachlichen Gruppen Rechtspersönlichkeit zu verlleihen. Das wäre zwar eine sehr schöne, moderne Forderung, aber schon in Österreich ist sie sicher nicht durchzusetzen. Verschiedene Staaten haben aber eine solche Regelung.

Territorialautonomie verlangt die Charta in allen jenen Fällen, wo eine Volksgruppe geschlossen auf einem bestimmten Staats-Gebietsteil siedelt. Das ist etwa für Südtirol von Bedeutung, wo es ja eine Territoria!-autonomie 'gibt. Diese Form der Autonomie ist nicht selten, auch in der Praxis (Aliandsinseln, Färöer). Die Charta unterscheidet ausdrücklich zwischen dieser territorialen Autonomie und regelt auch Form und Inihalt einer solchen, wenn die Volksränder nicht genau bestimmbar sind cder Überlappungen auftreten.

Entscheidend ist Art. 4. demzufolge jede Volksgruppe (also nicht auch die bloße Spracbminderheit, die ja auf einer etwas niedrigeren Stufe steht) das Recht hat, sich in Freiheit ihr öffentlichrechtliches Statut im Rahmen der Staatsverfassung zu geben. Das Statut wird unter richterliche Kontrolle gestellt. Österreich kennt so etwas auch nach dem neuen Valksgruppengesetz nicht, sondern diktiert, was der Minderheit frommt.

Nach Art. 5 organisiert die Volksgruppe in Freiheit Erziehung, kulturelle und berufliche Weiterbildung ihrer Mitglieder. Dazu erhält sie ein ausreichendes Budget, über dessen Verwendung sie selbst entscheidet. Sie verfügt über eigene Minderhei-tenschulen der verschiedenen Stufen und eine eigene Lehrerbildung. Das ist eine Bestimmung, die manche Volksgruppen anstrebten, jene in Österreich aber nicht, weil sie die Mittel nicht haben, eigene Minderheitenschulen zu führen.

Im übrigen wird festgelegt, daß im Kimdengarten und der Vorschule nur die Minderheitensprache gebraucht werden darf, sodann auf der ersten und zweiten Stufe der Pflichtschule mindestens die Hälfte der Unterrichtsstunden in der Minderheitssprache abzuhalten ist. (In Kärnten wind dem bisher nicht entsprochen.) Es scheint dies eine sinnvolle Regelung zu sein, denn die Kinder müssen ja auch die Staatssprache erlernen.

Umfassende Bestimmunigen sind für die Gerichts- und Amtssprache vorgesehen, die es in Österreich in zweisprachiger Form entweder gar nicht gibt (Bungenland) oder so unzureichend, daß man kaum von einer Berücksichtigung der Minderheitssprache sprechen kann (Kärnten). Dabei nimmt die Charta aber auch auf den Gebrauch der Sprache der Mehrheit Badacht, ist also keineswegs intransigent. Ein ethnischer Proporz wird festgelegt (bisher gibt es in Kärnten mit der einen Ausnahme keine volksbewußten Slowenen in der Landesverwaltung, doch scheint es, dafl der Landeshauptmann hierin eine Besserung der Lage herbeizuführen beabsichtigt).

Nach Art. 9 sollen die Volksgruppen in allen öffentlichen Vertretungskörpern proportional, mindestens aber durch eine Virilstimme vertreten sein, und zwar als Volksgruppe, also nicht etwa auf der Liste einer der Mehrheitsparteien. Diesen Vorschlag hat schon der FPÖ-Ahge-ondnete Scrinzi für den Kärntner Landtag gemacht, erntete damit aber totale Ablehnung, obwohl dieses System im Landtag von Schleswig-Holstein sich bestens bewährt. Es hat sich auch im alten Österreich in einzelnen Vertretungskörpern bewährt. Es wäre auch nicht abwegig, im Nationalrat eine Minderheiten-Viril-stirmme wenigstens für alle Volksgruppen zusammen (allenfalls turnusweise) einzurichten.

Eine Reihe weiterer Bestimmungen sind sehr beachtlich, so über die Zulässigkeit kultureller Beziehungen zu co-ethnisehen Nachbarstaaten oder darüber, daß Volksgruppenangehörige Militärdienst zur Ausbildung nur auf ihrem Heimatboden abzuleisten halben (auf den Färöern ist die Volksgruppe vom Militärdienst überhaupt befreit).

In Art. 13 wind ein problematisches Programm entwickelt, das Selbstbestimmungsrecht für solche Volksgruppen, die kompakt an/ der Grenze eines co-ethnischen Nachbarstaates wohnen (ius secessionis). Abgesehen davon, daß die moderne Lehre vom Selbstbestimmungsrecht gar nicht mehr auf Gebietsübergang ausschließlich gerichtet ist und nach der Schlußakte der KSZE Grenzen gar nicht mehr verändert wenden dürfen (was freilich nur eine Empfehlung, kein zwingendes Völkerrecht ist), vielmehr auch volle Autonomie dem Selbstbestimmungsrecht entspricht, wird nur in sehr wenigen Fällen die kompakte Siedlung vorhanden sein, jedenfalls scheidet so •etwas für Kärnten völlig aus. Ich selbst war in Ohätilton selbst nicht anwesend, wunde zwar wiederum teum Völkerrechtlichen Vizageneral-sekretär der A. I. D. L. C. M. gewählt, hatte aber und habe weiter-•hin Bedenken gegen die hier beschlossene Auslegung des Selbstbestimmungsrechts, so wichtig dieses ist. Es wäre aber gut, würde man sich im offiziellen Österreich den Inhalt dieser Charta genau ansehen. Vieles wäre sehr brauchbar.

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