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Auch im 21. Jahrhundert?

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Der Wohnungsmarkt scheint ein Faß ohne Boden zu sein: soviel man auch nachfüllt, es rinnt immer wieder aus. Tatsächlich hält der Verfall von Wohnraum nahezu mit dem Neubau Schritt. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.

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Der Wohnungsmarkt scheint ein Faß ohne Boden zu sein: soviel man auch nachfüllt, es rinnt immer wieder aus. Tatsächlich hält der Verfall von Wohnraum nahezu mit dem Neubau Schritt. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.

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Der Fehler liegt im grundlegenden Konzept unserer Wohnraumpolitik, die nach wie vor von der Doktrin der Totalerneuerung des gesamten Hausbestandes beherrscht wird. Das heute so sehr forcierte Assanierungsgesetz entspricht ganz diesem Prinzip: soll es doch in erster Linie die Möglichkeit schaffen, „abgewohnte“ Wohnviertel zu demolieren und durch neue Stadtviertel zu ersetzen.

Es sind die Ideen der radikalen Architektengeneration der ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts, von Adolf Loos bis Le Corbusier, die an Stelle der gewachsenen Städte und Siedlungen „funktionsgerechte“, nach den modernsten Gesichtspunkten geplante und dem modernen Stilgefühl entsprechende Bebauung setzen wollte. Vor allem die Sozialisten können sich von diesen längst dubios gewordenen Forderungen nicht trennen, bieten sie doch die Chance, unter dem Deckmantel scheinbarer Sachlichkeit Gesellschaftspolitik zu treiben: das Prinzip der Totalerneuerung wird von ihnen nach Möglichkeit so angewandt, daß es zugleich eine Überführung privaten Boden- und Gebäudebesitzes in den der öffentlichen Hand und ihrer Vorfeldorganisationen mit sich bringt.

Dieser politische Hintergedanke hat zweifellos zur Petrifizierung der Wohnraumpolitik, zur Fixierung auf den Neubau als einziges Mittel zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses geführt.

Daß es auch noch eine zweite Möglichkeit gibt, ist dabei völlig in Vergessenheit geraten: die Modernisierung des vorhandenen Wohnraumes, seine Ausstattung mit modernem Komfort. Die bisherige Politik hat diese Möglichkeit nicht nur vernachlässigt, sondern die derzeitige Gesetzeslage verhindert sie nachgerade: sie gestattet bestenfalls eine Aufrechterhaltung des bisherigen Standards, unterbindet aber jede Verbesserung.

Natürlich wäre das andere Extrem, das den Neubau völlig abschriebe und sich auf die Erneuerung des Altbaues um jeden Preis versteifte, ebenso verfehlt. Dort, wo es sich nicht um wertvolle historische Bausubstanz handelt, sollte die Frage Totalerneuerung oder Revitalisierung allein vom Wirtschaftlichkeitsprinzip her entschieden werden.

Die einzig richtige Lösung bestünde in einer Kombination zwischen einer Neubautätigkeit, die ohne inflationäre Überhitzung durchgeführt werden kann und von Landschafts- und Stadtbildgestaltung her nicht allzu große Probleme aufwirft, und einer Revitalisierung des erhaltungswürdigen Althausbestandes. Denn nur, wenn die Wohnungsnot von beiden Seiten her bekämpft wird, bestehen realistische Chancen, ihrer in absehbarer Zeit Herr zu werden.

Dieses Rezept mag nicht überall passen, wohl aber trifft es für Österreich zu: wir besitzen einen im internationalen Vergleich durchaus soliden und auch den modernen Erfordernissen von der Anlage her noch entsprechenden Althausbestand, dem es häufig nur an zeitgemäßer Ausstattung fehlt; wir haben keinen quantitativen, sondern nur einen qualitativen Wohnungsmangel; und wir verzeichnen nur ein langsames Bevölkerungswachstum.

Wie sehr die heutige Wohnungsnot eine Qualitätsfrage ist, zeigen die Zahlen aus der davon besonders betroffenen Bundeshauptstadt: den rund 700.000 Haushalten stehen heute bereits 770.000 Wohnungen gegenüber. Wenn trotzdem Wohnungsnot herrsoht, so wohl einerseits deshalb, weil ein gewisser Prozentsatz der Wohnungen nicht mehr dem Mindeststandard entspricht, anderseits aber auch, weil momentan gar nicht benötigter Wohnraum von manchen Mietern angesichts der niedrigen Zinse für einen ungewissen künftigen Bedarf gehortet wird.

Durch qualitative Verbesserung der vorhandenen Wohnungen könnte der Bedarf an Neubauwohnungen radikal vermindert werden oder zumindest an Dringlichkeit verlieren. Das aber läge insbesondere im Interesse der Wohnungsuohenden selbst, da sie sonst entweder noch lange auf eine Kommunalwohnung warten — trotz gleichfalls relativ langer Wartefristen — oder hohe Preise für Neubauwohnungen zahlen müssen.

Im März 1970 gab es nämlich in ganz Österreich 1,24 Millionen Wohnungen, von denen nur ungefähr ein Drittel im Viertel] ahrhundert seit 1945 erbaut wurde. Unter diesen befinden sich zahlreiche Zweitwohnungen, die vom Landschaftsschutz her problematisch sied und der vordringlichen Aufgabe der Deckung des echten Wohnbedarfs nicht dienen. Auch wenn wir das überhitzte Bautempo der letzten Jahre (das schon heute nicht mehr ganz erreicht werden dürfte) beibehalten könnten, wird es mindestens noch ein weiteres Vierteljahrhundert brauchen, bis der gesamte primäre Wohnbedarf einigermaßen mit Neubauwohnungen gedeckt werden kann. Bis dahin werden viele nach 1945 gebaute Häuser wahrscheinlich schon baufälliger sein als so manche Altbauten; Österreich hat daher gute Aussichten, das Wohnungsproblem bis ins 21. Jahrhundert mitzuschleppen.

Eine zusätzliche Modernisierung des Altbaus, die den Druck auf den

Neubaumarkt fühlbar mildern und dort eine sorgfältigere, großzügigere Bauweise gestatten würde, ist daher der bei weitem realistischere Weg. Diese Erkenntnis lag der für österreichische Verhältnisse wahrhaft bahnbrechenden Initiative des seinerzeitigen ÖVP-Bautenministers Kozina, dem Wohnungsverbesserungsgesetz, zugrunde. Hiermit sollte vor allem die Initiative des einzelnen Mieters oder Hausbesitzers zur Adaptierung älterer Wohnungen an die modernen Erfordernisse gefördert werden. Daß als Entgegenkommen an die damalige Opposition ein Teil der Mittel auch für Wohnhäuser im öffentlichen Besitz abgezweigt und diese Tendenz infolge der Novellierung des Gesetzes durch die derzeitige Regierung noch verstärkt wurde, ist zweifellos eine Systemwidrigkeit, war aber der Preis für einen breiten Konsens.

Gewiß kann das Wohnungsverbesserungsgesetz allein weder in seiner ursprünglichen noch in seiner novellierten Fassung das Althausproblem zur Gänze lösen. Dazu ist es zu sehr auf die Modernisierung der Einzelwohnung zugeschnitten; in vielen Fällen wären aber größere Gemeinschaftsinvestitionen wie Lifts und neue Leitungen oder Abfallstränge notwendig — Aufgaben, für deren

Bewältigung das Wohnungsverbesserungsgesetz in der Praxis kaum ausreicht. Aber es ist ein erster wichtiger Schritt auf dem richtigen Weg.

Daß es unter der heutigen Regierung bei diesem einzigen Schritt zu bleiben scheint, ist nicht Schuld des seinerzeitigen Initiators. Dazu kommt noch, daß das völlig divergierenden Intentionen entsprungene Assanierungsgesetz die Wohnungs-verbesserungsinitiative weitgehend paralysiert: das ihm zugrundeliegende Prinzip der Totalerneuerung „abgewohnter“ Stadtviertel, das auf die Erhaltungswürdigkeit des individuellen Hauses keine Rücksicht nimmt, wird die Bevölkerung weiter Gebiete verunsichern und die Wohnungsverbesserung zu einem schwer kalkulierenden Risiko machen.

Es ist eben unmöglich, zwei kontradiktorische Prinzipien — Totaler-neuerung und Revitalisierung des Althausbestandes — gleichzeitig zu realisieren. Solange an der reaktionären und zugleich größenwahnsinnigen Idee der Totalerneuerung festgehalten wird, dürfte die Revitalisierung ein Schlag ins Wasser sein — was freilich manchen linken Gesellschaftsreformern nicht unrecht sein dürfte.

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