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Auch im Tode getrennt

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„Im Tode vereint" — dieser tröstliche Spruch gilt wohl nur für junge Liebes- und alte Ehepaare, die der letzte Ruf gleichzeitig erreicht hat.

Wäre es so vermessen, ihn auch für Tote gelten zu lassen, die ein gemeinsames unbarmherziges Schicksal in den Tod geschickt hat? Ein Schicksal, das ihnen auftrug, aufeinander zu schießen?

Seit 50 Jahren liegen die Opfer der Februarkämpfe 1934 auf dem Wiener Zentralfriedhof. Seit 40 Jahren erstrecken sich die Gräber der Toten des Zweiten Weltkriegs unweit davon, Kreuz an Kreuz.

An ihre Vorgänger von 1914— 1918 mahnt Anton Hanaks Monument am Nordrand der großen Anlage — eine trauernde Frau als Stellvertreterin für alle Frauen und Mütter, die ihre Männer und Söhne damals und später verloren haben.

Es ist der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung zu danken, daß das Mahnmal der „Gefallenen", nicht den „Helden" des Weltkriegs gewidmet ist; daß die Rückseite das Gebet trägt: „Herr, gib uns den Frieden!".

Der Prospekt der Ehrengräber auf Wiener Friedhöfen, herausgegeben vom Pressedienst der Gemeinde Wien, weist auf die Gedenkstätten der Opfer von 1927 und 1934. Er verschweigt jedoch, daß es ebenso würdig gestaltete Grabanlagen auch für die Angehörigen der Exekutive gibt, die in den Kämpfen von 1934 ihr Leben ließen.

Sie liegen streng getrennt — die Toten des Schutzbundes und der Zivilbevölkerung gleich links der Hallen am Zweiten Tor, jene der Exekutive fast einen Kilometer weiter, an der Mittelallee, gleich hinter den Gefallenen der Sowjetarmee.

Apropos Sowjetarmee. Wie hoch ihre Verluste im Kampf um Wien waren, kann man ahnen, wenn man die Allee hinter der Lueger-Gedächtniskirche entlang geht, , links, Gruppe auf Gruppe, jeweils zwanzig Gräber in einem Block.

Erschütternd viele unter ihnen, auf denen nur markige Sprüche von „ewigem Ruhm" und „heldenhaftem Kampf" anzeigen, daß niemand mehr feststellen konnte, wer da begraben wurde.

Ob sich diese Russen, Ukrainer, Armenier, Georgier, Tadschiken

— man erkennt sie an ihren Namen

— als Befreier Österreichs, als „Helden der Sowjetunion" — es liegen mehrere Träger dieses höchsten Ordens unter ihnen- gefühlt haben, als sie von der deutschen MG-Garbe durchsiebt, von der deutschen Granate zerrissen wurden?

Wohl ebensowenig, wie jene mehr als 7000 Toten der Deutschen Wehrmacht, deren Gräber sich einen Kilometer weiter nördlich aneinanderreihen, mit Begeisterung für „Führer, Volk und Vaterland" in den Tod gegangen sind. Auch wenn die Todesanzeige dies vorgab.

Auf dem Weg von der einen Anlage zur andern liegt eine dritte: polnischer Adler, polnische Namen, Tafeln mit französischer Aufschrift, dem Hinweis „Enfant francais inconnu" - ein unbekanntes französisches Kind. Wenigstens die Nationalität wußte man noch ...

In Wien ist man längst vom verlogenen Pathos romantischer Heldenmystik abgerückt, hat die Tragik des Kriegs, die Mahnung „Nie wieder!" in den Vordergrund gerückt. Anderswo ist man noch nicht so weit.

Die Kluft zwischen den verschiedenen Uniformen, den gegnerischen Parteien im Tod zu überwinden, scheint jedoch nach wie vor unmöglich zu sein. Nicht nur auf dem Wiener Zentralfried-hof.

Bei Toblach liegen die Toten der Dolomitenkämpfe des ersten Weltkriegs - jene der k. u. k. Armee, Männer aus Galizien, der Bukowina, aus Siebenbürgen. Die Italiener ruhen in Rovereto.. Sie starben denselben Tod an derselben Front.

Ist es bei Verdun, bei Montecas-sino anders? Ich glaube nicht.

Bei Völkermarkt erinnert ein Denkmal an die Opfer des Abwehrkampfes von 1920, in den Karawanken ein anderes an die Toten der Partisanen von 1945. Sie kämpften um dieselbe Heimat — nur auf verschiedenen Seiten.

Nicht anders als die Männer vom Februar - und vom Juli -1934. Um dieselbe Heimat — auf verschiedenen Seiten... Deswegen müssen sie auch heute noch getrennt sein im Tod, getrennt im Gedenken.

Francois Mitterrand und Helmut Kohl haben kürzlich vor Verdun mit ihrem Händedruck einen Anstoß zum Umdenken gesetzt. Er sollte auch anderswo zum Tragen kommen.

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