6873279-1978_33_16.jpg
Digital In Arbeit

Auch UN-Moralisten foltern und morden

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Drittel der Bewohner der Erde leben in politischer Unterdrückung. Fast 1,8 Milliarden, die in 64 verschiedenen Staaten wohnen, können sich überhaupt keiner politischen Freiheit erfreuen, weitere 875 Millionen in 47 Ländern einer nur sehr bescheidenen. Zu den politisch freien Völkern sind nur knappe 1,5 Milliarden Menschen oder 35 Prozent der Erdbevölkerung zu zählen. Österreich ist einer der 44 Staaten, in denen die Privilegierten leben.

Das vielbelächelte Papstwort von der „Insel der Seligen” nimmt sich etwas weniger lächerlich aus, wenn man sich einmal die Mühe nimmt, den Blick über den eigenen Bauch und die eigenen Grenzen zu heben.

Die Kategorisierung in „brave” und „schlimme” Völker, der die angeführte Statistik entnommen ist, wird jährlich von Freedom House, einer angesehenen amerikanischen Organisation mit Sitz in New York, erstellt. Im Detail mag man mit ihrer „Freiheitskarte”, wie sie auf dieser Seite widergegeben ist, wohl rechten. Leichtfertig zusammengestellt ist sie nicht. Politische Kriterien wie freie Wahlen, Gewaltenteilung und unabhängige Justiz werden zur Bewertung herangezogen, aber auch individuelle Rechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit.

Gewiß: Andere Zivilisationskreise definieren, was sie unter politischer Freiheit verstehen, oft anders als westliche Völker. Dieses Problem anerkannte auch der Weltkirchenrat, als er eine Begriffsklärung versuchte. Dennoch erwies sich dort eine Einigung auf folgende Grundsätze als möglich: Jeder Mensch hat Anspruch auf Schutz seines Lebens, seiner kulturellen Identität und auf Mitgestaltung der Entscheidungen seiner Gemeinschaft. Jeder hat ein Recht auf freie Meinungsund Glaubenswahl sowie auf persönliche Würde, was Folter und Zwangsfestsetzung ohne Gerichtsverfahren ausschließen sollte.

Tatsache aber bleibt, daß in vielen Staaten der Erde trotz Folterverbots durch feierliche UN-Resolution noch immer gefoltert wird. Tatsache bleibt, daß in der UNO Delegierte aus Staaten, die foltern, mißhandeln und morden, über andere zu Gericht sitzen - fast immer über dieselben. Südafrika, Chile, oft auch Israel sind die traditionellen Bösewichte der UN-Moralisten.

In der Tat verdient jedes Bemühen um Herbeiführung menschenwürdiger Zustände in Chile und Südafrika, aber auch um die Verwirklichung des Heimatrechtes palästinensischer Araber ebenso wie das sicherheitsbedürftiger Israelis jede moralische Unterstützung.

Aber es ist ein Skandal erster Ordnung, daß der politisch deutbare Tod eines, schwarzen Südafrikaners - zu Recht! - einen Proteststurm in aller Welt, die Hinschlachtung und Vertreibung von weit über 100.000 schwarzen und asiatischen Afrikanern aus Ghana aber nicht einmal ein mildes Protestlüftchen erzeugt!

Seit Wochen werden gemäßigte Schwarze und Weiße in Rhodesien, die an einer versöhnlichen Zukunftslösung arbeiten, systematisch bedrängt, verfolgt, umgelegt. Niemand protestiert, niemand schreit um Hilfe - im Gegenteil: die UN-Spitzenvertreter der USA und Großbritanniens verhandeln mit den schwarzen Radikalenführern, deren Handlanger im Busch Mord und Totschlag verbreiten, während die gemäßigten Schwarzen- führer nicht einmal ein amerikanisches Einreisevisum, geschweige denn Rederlaubnis in der UNO erhalten.

Konsequenz: Vielfach wird für die nächsten Monate ein Zusammenbruch der gemäßigten Rhodesien-Regierung und ein Blutbad apokalyptischen Ausmaßes prophezeit.

Bis zu einer Million Menschen dürften im kommunistischen Kaputschea (früher Kambodscha) in den letzten Jahren umgebracht worden sein. Wo bleiben die Proteste derer, die amerikanische Militäroperationen in Kambodscha vor wenigen Jahren nicht lautstark genug verdammen konnten?

Nach Schätzungen der angesehenen Organisation Amnesty International werden in der Sowjetunion an die 10.000 politischer Gefangener gehalten. Tausende in anderen Ländern Osteuropas kommen dazu. 4000 bis 5000 politische Gefangene leben in Kuba und sechsmal so viele wie dort noch in Chile, Argentinien, Brasilien und Uruguay, wo rechte Diktatoren das Handwerk der linken eilfertig zu kopieren verstehen.

Todesurteile gegen politische Gegner werden in Zaire und Algerien, Benin und im Zentralafrika des schwarzen Hochstapler-„Kaisers” Bokassa gefällt, aber ebenso in Tunesien und Niger, in Sierra Leone und Marokko. In Ghana ebenso wie im Sambia des weltum als Demokratiehelden gefeierten Kenneth Kaunda, werden politische Gefangene gequält und mißhandelt, genau so wie in Moęambique, Angola und Äquatorial-Guinea.

In Äthiopien wurden Hunderte, wenn nicht Tausende Gegner des marxistischen Generalsregimes auf Laternenpfählen aufgeknüpft. Und dieses Afrika sitzt selbstgefällig über die Brutalitäten der „weißen Kolonialisten” zu Gericht?

Bis zu 100.000 politische Gegner hat das Regime Indonesiens, das die dortige Kommunistenherrschaft beendete, eingesperrt. Ebenso wie die autoritären Regime von Taiwan und Südkorea haben die Herrscher Indonesiens die Zügel unter amerikanischem Druck jüngst ein wenig gelockert - in Bangladesch und Afghanistan dagegen scheinen sie fester gezurrt zu werden.

13 Millionen heimatlose Menschen bevölkern die Flüchtlingslager der Welt: zweieinhalb Millionen im Nahen Osten, dreieinhalb Millionen in Afrika, sechseinhalb Millionen in Asien. Uber 100.000 Chinastämmlinge haben Vietnam verlassen und in Rotchina Unterschlupf gesucht - selber eines der totalitärsten Regime der Erde.

Das ist die Wirklichkeit, in der wir leben. Kein Ringtausch von ein paar Personen, die ihre Freiheit wiedererlangen (noch dazu unter entwürdigender Gleichsetzung von Dissidenten und Spionen!), verlagert die Gewichte um mehr als eine kleine Unze.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung