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Auf dem Rücken der Schwarzen

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Rund 66 Prozent von zwei Millionen wahlberechtigten weißen Südafrikanern stimmten Anfang November einer Verfassungsänderung zu, die Mischlingen und Asiaten politische Mitspracherechte einräumt. Was bringt die Reform?

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Rund 66 Prozent von zwei Millionen wahlberechtigten weißen Südafrikanern stimmten Anfang November einer Verfassungsänderung zu, die Mischlingen und Asiaten politische Mitspracherechte einräumt. Was bringt die Reform?

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Der von Ministerpräsident Pieter Willem Botha initiierte Verfassungsentwurf sieht die Schaffung von Parlamentskammern mit 80 und 40 Sitzen für Vertreter der 2,7 Millionen Mischlinge und der 800.000 Asiaten — vorwiegend Inder — vor. Die Vertreter der 4,5 Millionen Weißen behalten mit 166 Sitzen in der Nationalversammlung die Mehrheit. Die 21 Millionen Schwarzen, die 72 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, bleiben weiterhin vom politischen Leben ausgeschlossen.

Die Reaktionen auf diese Verfassungsänderung waren sowohl in Südafrika, wie auch weltweit unterschiedlich, allerdings zumeist negativ. Das Ausland, allen voran die schwarzafrikanischen Länder, fordern unmißverständlich eine Beteiligung der Schwarzen an der Macht und prophezeien Südafrika in naher Zukunft ein „Blutbad“, falls die Politik der Rassentrennung weitergeführt wird. 1

In der übrigen Welt wurde der Verfassungsentwurf eher skeptisch aufgenommen. Man sieht in ihm entweder einen klugen Schachzug des Ministerpräsidenten, um Mischlinge und Asiaten gegen die Schwarzen auszuspielen oder einfach eine politische Uberlebensfrage.

Der angestrebten Verfassungsreform waren in Südafrika heftige Parteiendiskussionen vorangegangen. Die seit 1948 regierende „Nationale Partei“ von Regierungschef Botha hatte nur zwei

Möglichkeiten: Entweder sich gegen die Fortsetzung des bisherigen Systems der gesetzlichen Rassentrennung und damit für die Verfassungsänderung auszusprechen oder die Zukunft des Landes dem Nationalismus des Burentums alter Prägung zu überlassen, was zu einer weiteren Radikalisierung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit geführt hätte.

Wie man die künftige Verfassung auch drehen und wenden mag: Die von der protestantischen Burenbevölkerung nach dem Wahlsieg der „Nationalpartei“ 1948 gesellschaftspolitisch verankerte Apartheid bleibt — von kleinen Erleichterungen abgesehen — bestehen. Auch weiterhin werden an privaten und fast allen öffentlichen Einrichtungen wie Verkehrsmitteln, Wartesälen oder Toiletten Schilder mit den Aufschriften „Whites“ und „Blacks“ prangen.

Wenn Weiße und Schwarze inzwischen auch prinzipiell in Supermärkten gemeinsam einkaufen oder im gleichen Park Spazierengehen können, ihre Wohngebiete bleiben getrennt. Für die Schwarzen wurden im Norden und Osten des Landes die soge nannten „Homelands“ eingerichtet.

Die Regierung versucht, Tausende schwarzer Familien aus den Ghettos der Großstädte in den Homelands anzusiedeln, wodurch sie automatisch die Staatsbürgerschaft verlieren.

Diese Vorgangsweise stößt aber auf den erbitterten Widerstand der Schwarzen, die in den Homelands oft nur ein Hungerdasein fristen und deshalb ihre Wohngebiete schon aus existentieller Not verlassen müssen. Die Homelands sind total überbevölkert, die Nahrungsmittelversorgung katastrophal. Jährlich sterben rund 30.000 Kinder an Unterernährung. In manchen Homelands beträgt die Arbeitslosenquote 50 Prozent.

Einer kürzlich von der Universität in Johannesburg veröffentlichten Studie zufolge lebt in Südafrika ein Weißer im Durchschnitt um 20 Jahre länger als ein Schwarzer. Während die Weißen eine mittlere Lebenserwartung von 65 Jahren haben, beträgt sie für Schwarze lediglich 45 Jahre.

Die „getrennte Entwicklung“ der Rassen, ihre unterschiedlichen Wohnungs-, Ernährungsund Arbeitsbedingungen, haben zu einer medizinischen Unterver sorgung der schwarzen Bevölkerung geführt. Mehr als 60.000 schwarze Ärzte wären nach offiziellen Schätzungen erforderlich, um einen befriedigenden Gesundheitsdienst ihrer Bevölkerungsgruppe zu gewährleisten. Südafrika hat jedoch in 25 Jahren lediglich 300 hervorgebracht.

Am unmenschlichsten ist die Situation für die Schwarzen im Johannesburger Vorort Soweto, wo 1,5 Millionen Menschen in Elendsquartieren zusammengepfercht sind.

Während die radikalen Apartheid-Vertreter um jeden Preis ihr politisches und damit auch wirtschaftliches Monopol behalten wollen, die regierende „Nationalpartei“ als Ganzes die Schwarzen noch nicht für „reif“ genug hält, um politische Verantwortung zu tragen und — eigenen Angaben zufolge - eine Volksvertretung von Mischlingen und Asiaten als ersten Schritt einer liberaleren Politik sieht, ist allen Weißen doch eine Angst gemein: Kommt erst einmal eine Machtbeteiligung der Schwarzen, folgt früher oder später die reale politische Machtübernahme und Unterdrückung oder Ausweisung der „verhaßten Weißen“.

Diese Politik ist allerdings nicht auf ewig durchzustehen, das wissen auch die Regierenden Südafrikas. Der seit 1960 verbotene „Afrikanische Nationalkongreß“, der sich jahrelang friedlich um die Anerkennung der menschlichen Würde der Schwarzen bemühte, hat sich inzwischen den seit den 70er Jahren gängigen Extremismus zu eigen gemacht und scheut nicht mehr vor Terrorakten wie Bombenanschlägen und Entführungen zurück. Die Regierung in Pretoria reagierte und reagiert trotz weltweiter Proteste mit Verhaftungen und Hinrichtungen.

Wie es weitergeht, sagte unmittelbar nach dem Referendum Nta- tho Motlana, schwarzer Arzt und prominenter Bürgerrechtler, in Soweto: „Die neue Verfassung ist auf der Apartheid aufgebaut und zielt darauf, die Apartheid zu erhalten. Mit der Verfassung erweitern die Weißen ihre Machtbasis, indem sie die Mischlinge und Asiaten in ihr System einbeziehen. Wir werden nun auch diese für die Unterdrückung verantwortlich machen, der wir in Zukunft ausgesetzt sein werden. Wir Schwarze sind jetzt schlechter dran als zuvor.“

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