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Auf dem Weg der Verödung

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Wiens von Baumaschinen zerwühlte Innenstadt versteppt: Durch Umleitungszirkus und Einbahnen, über Schlaglöcher und Straßen, die an Teststrecken von Autofirmen gemahnen, über Stock und Stein — manchmal direkt in einen (soeben) trockengelegten Verkehrsarm — quält sich Tag für Tag Wiens Verkehr. Endlose Kolonnen verqualmen im. Stehen (da diese Art des Verkehrs die häufigste ist) die Luft. Wiener Blut wird mit Kohlenmonoxyd angereichert. Schwefeldioxyd zerfrißt die Lungen, quälendes Warten in Kolonnen und an Kreuzungen nagt an den Nerven. Die Selbstvergiftung und -Zerstörung feiert Triumphe.

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Wiens von Baumaschinen zerwühlte Innenstadt versteppt: Durch Umleitungszirkus und Einbahnen, über Schlaglöcher und Straßen, die an Teststrecken von Autofirmen gemahnen, über Stock und Stein — manchmal direkt in einen (soeben) trockengelegten Verkehrsarm — quält sich Tag für Tag Wiens Verkehr. Endlose Kolonnen verqualmen im. Stehen (da diese Art des Verkehrs die häufigste ist) die Luft. Wiener Blut wird mit Kohlenmonoxyd angereichert. Schwefeldioxyd zerfrißt die Lungen, quälendes Warten in Kolonnen und an Kreuzungen nagt an den Nerven. Die Selbstvergiftung und -Zerstörung feiert Triumphe.

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Bürgermeister Slavik und seine Subabonnenten der Macht verplanen offensichtlich eine Stadt, die sie „liebenswert zu erhalten und modern zu gestalten“ wahlkämpften. Doch diese Fehleinschätzung der Verkehrsrealität einer (immerhin) Millionenstadt hat Tradition. Erinnern tut gut: Am 25. Jänner 1956 meldete das „Amtsblatt der Stadt Wien“ erleichtert, daß „der Höhepunkt der Motorisierungswelle erreicht oder sogar überschritten ist“. Und Gemeinderat Bock lehnte auch 1961 den Bau einer U-Bahn, der heute zusammen mit einer beachtlichen Verkehrsdichte für das tägliche Chaos auf Wiens Straßen verantwortlich ist, ab: „Man soll es späteren Generationen überlassen, zu entscheiden, ob Unterpflasterbahnen in der Innenstadt notwendig sind oder nicht, denn heute ist die Situation noch nicht so dringend.“ Der sozialistische Baustadtrat Heller verriet am 16. Februar 1962 im Wiener Gemeinderat, Zukunftsprobleme des Verkehrs wertend, überhaupt Todessehnsucht: „Wenn man aber der

Meinung ist, daß der Verkehr eines Tages so stark sein wird, daß auch der Individualverkehr kreuzungsfrei vor sich gehen muß, so hoffe ich, daß wir zu diesem Zeitpunkt alle nicht mehr am Leben sind.“

An Kritik an dieser Art von Problemschau fehlte es nicht. 1968 stellte der Rechnungshof in seinem (bisher letzten) Bericht fest: „In weitblik- kender Schau hätte bereits vor mindestens zehn Jahren, zweckmäßigerweise sogar noch mehrere Jahre vorher, damit begonnen werden müssen, eine U-Bahn zu planen, zumal schon vor Jahrzehnten zum Teil ziemlich weitgehende U-Bahn-Pla- nungen vorlagen und in der Folge auch verschiedene ernstzunehmende diesbezügliche Vorschläge gemacht wurden.“ Inzwischen haben nun ja auch magistratische Planer mit dem Bau der U-Bahn begonnen, nachdem noch Mitte der sechziger Jahre der jetzige Bürgermeister Felix Slavik mit einer Allwegbahn — vielleicht von deren Erfolg auf

Weltausstellungsgeländen und in Disneyland angetan — spekulierte. Nur scheint man die sich aus einem derartigen Mammutprojekt ergebenden Schwierigkeiten unterschätzt zu haben oder von der Fülle der Probleme überfordert zu sein. Es mangelt an einem Generalverkehrskonzept, das genau Prioritäten absteckt und den Massen- und Individualverkehr einander ergänzend plant. Viele Baustellen werden überhaupt, so muß man den Eindruck haben, bloß als Nachweis reger Bautätigkeit geschaffen. Hinter solcherart nutz- und sinnlosen Absperrungen gähnt nicht nur an Wochenenden Öde.

Aushungerung der City

Überhaupt scheint Koordination im Rathaus nicht wohlgelitten zu sein. Während früher ein Stadtrat Wiener Bautätigkeit verantwortete, gibt es heute deren drei: Einen für Hoch-, einen für Tiefbau und einen für Planung. Jeder dieser großen Drei informiert in Pressekonferenzen über Projekte und Aktivität seiner Abteilung, dies alles aber ohne entsprechende Koordination. So kam es zu dem eher köstlich zu nennenden Vorfall, daß ein Stadtrat einen Baubeginn bekanntgab, während sein Kollege, einige Zeit später, für eben dieses Projekt die öffentliche Ausschreibung ankündigte.

Daneben aber wird die Aushungerung der City konsequent weiter betrieben: Massen Verkehrsmittel, die einst die Innenstadt mit den umliegenden Bezirken verbanden, wurden mutwillig gekappt. So muß man heute (ob Einheimischer oder als Tourist), um vom Westbahnhof zum Stephansplatz zu gelangen, nicht nur von der Straßenbahn in den Autobus umsteigen, sondern auch zwei Fahrscheine lösen. Innerstädtische Autobuslinien sind vom Einheitstarif ausgenommen. Die Sünden, die jahrzehntelang an der Infrastruktur Wiens begangen wurden, rächen sich bitter. Ob Verkehr oder Wasserleitung, Wohnungsbau oder Erholungszentren, fehlende Planung oder Fehlplanung: Die Sünden der Väter erben die Kinder. Dabei haben Wiens Stadtväter, so makaber das klingt, Glück mit der Bevölkerungsstruktur. Kaum Bevölkerungszuwachs, ganz im Gegenteil: Wien ist eine überalterte, sterbende Stadt. Nicht auszudenken die Konfusion, wenn Wien wüchse wie etwa München.

Parkplatzsteuer

Pläne, um den Status quo zu verändern, die Verödung der Innenstadt aufzuhalten, gibt es genug: Namhafte Architekten, wie etwa der Stadtplaner Victor Gruen, fordern ganz energisch die Schaffung von Fußgängerzonen innerhalb des Ringes, die Verbannung des Individualverkehrs in Randgebiete der Stadt. Von dort, von in großer Zahl zu planenden Parkplätzen, mögen funktionierende Massenverkehrsmittel, möglichst zum Nulltarif, die Innenstadt erschließen. Abgesehen .von Einsatzfahrzeugen und dem für die Geschäfte nötigen Zustelldienste sind nach diesem Plan ausnahmslos alle Fahrzeuge von der City ausgesperrt. Die Innenstadt würde sich dann wieder zum echten Zentrum, zum Konsumparadies, wenn man so will, entwickeln.

Doch Bürgermeister Felix Slavik hat andere Pläne: Er entriert nunmehr den Entwurf eines Parkometer-Gesetzes, das ihm die Möglichkeit gibt, Geld aus den raren Parkplätzen zu schlagen. Er meint das „im Interesse jener zahllosen Autofahrer, die auch die Möglichkeit haben wollen, für eine halbe oder ganze Stunde einen Parkplatz zu Anden, um etwas einzukaufen oder kurzfristig etwas zu erledigen", tun zu müssen. Und Wiens Bürgermeister wird, dessen können wir sicher sein, wenn auch innerparteilich der Widerstand gegen ihn wächst und von eifrigen Nachfolgekandidaten kanalisiert wird, seine Pläne verwirklichen. Auch gegen den Willen vieler, wenn es sein muß.

So wie zum Beispiel bei der Sperre des Rathausplatzes für den Verkehr: Dieses Denkmal selbstgewollter Pro- vinzialisierung dokumentiert nun allezeit mit seiner Asphaltöde Rathauspräsenz.

Eine Öde, die auf dem Weg ist, ganz Wien zu ergreifen.

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