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Auf dem Weg zum „Friedenskonzir i

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Weltweit ist die Bedrohung durch die Geißeln der Gegenwart. Weltweit sorgt sich die Jugend um ihre Zukunft. Haben die christlichen Kirchen dazu etwas zu sagen?

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Weltweit ist die Bedrohung durch die Geißeln der Gegenwart. Weltweit sorgt sich die Jugend um ihre Zukunft. Haben die christlichen Kirchen dazu etwas zu sagen?

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Drei Jahre sind vergangen, seit der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker anläßlich des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Düsseldorf die Kirchen zu einem „Friedenskon-zil“ aufgerufen hat. Sie - die Kirchen — sollten angesichts einer globalen Krise, „deren katastrophaler Höhepunkt wahrscheinlich noch vor uns liegt“ (Weizsäk-ker), ein gemeinsames Wort finden, „sodaß die Welt es nicht überhören kann“.

Die Zielrichtung eines solchen Konzils selbst schlüsselte der Philosoph nach drei Perspektiven hin auf: Gerechtigkeit-Frieden-Bewahrung der Schöpfung. Mittlerweile sind „Gerechtigkeit — Frieden — Bewahrung der Schöpfung“ zu den Schlüsselbegriffen eines weltweiten ökumenischen Prozesses geworden, den gemeinsam in Europa vorantreiben zu wollen, sich der Rat der Europäischen Bischof skonferenzen (CCEE) und die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) einigen konnten.

Die erste große Station dieses „Konziliaren Prozesses“ wird für Europa die Baseler Konferenz Pfingsten kommenden Jahres sein, ein weiterer Höhepunkt die erste für 1990 ins Auge gefaßte Weltkonferenz der Kirchen zum gleichen Thema. Auch in Österreich beginnt sich der konziliare Prozeß zu regen.

Worum geht es im konziliaren Prozeß? Waldsterben, Gewässerverschmutzung — von Bächen, Flüssen und Seen über die Meere bis hin zum Grundwasser —, Vergiftung der Böden, Luftverschmutzung, exponentiell steigender Artentod bei Tieren und Pflanzen, Landschaftszerstörung und mit alledem eine bedrohliche Beeinträchtigung auch der menschlichen Lebensqualität:

Das sind die erschütternden und noch immer vielfach verdrängten Grunddaten allein aus dem Bereich „Bewahrung der Schöpfung“. Die Zerstörung von Gottes „guter Schöpfung“ ist weltweit zum Normalzustand geworden.

Darüber hinaus: eine extrem ungerechte Verteilung der Güter und Ressourcen zwischen armen und reichen Ländern, Uberfluß hier, Hunger und Mangel am Lebensnotwendigsten dort; aber bedrückende und vielfach neu aufkeimende soziale Ungerechtigkeit auch in den industrialisierten Ländern der Erde.

Allenthalben paktieren multinationale Konzerne des reichen Drittels weiterhin mit korrupten Regimen der — wie es neuerdings zutreffend heißt - armen Länder der „Zweidrittelwelt“ zum Nachteil für Mensch und Mitschöpfung.

Daß all dies kein guter Nährboden für tragfähigen Frieden ist, leuchtet wohl ein. Verteilungskämpfe zwischen Nord und Süd sind zu erwarten, Spannungen zwischen West und Ost ohnedies an der Tagesordnung: Auf einer begrenzten Erde müssen zwei Systeme, die die materielle Expansion auf ihre Fahnen geschrieben haben, zu Kontrahenten auf Leben und Tod werden.

Die Rüstungsausgaben steigen weiter, und die Gefahr eines atomaren Konflikts wird gerade da nicht kleiner, wo die politischökonomische Instabilität der Giganten wächst.

Nur äußerst zaghaft entwickelt sich die Bereitschaft zum Umdenken.

Der Konziliare Prozeß geht von diesem Szenario aus. Er erkennt die umfassende Unheilssituation, in der wir gegenwärtig leben, und anerkennt, daß sie von Menschen verschuldet ist. Im konziliaren Geschehen um „Gerechtigkeit — Frieden — Bewahrung der Schöpfung“ lassen Christen sich auf jene Nöte von nahezu unvorstellbarem Ausmaß ein, die der unmäßige und rücksichtslose technisch-industrielle Fortschritt seit ungefähr zwei Jahrhunderten über die Erde gebracht hat.

Dabei werden allererst drei gewichtige Umstände sichtbar:

• Die drei Problemfelder „Gerechtigkeit — Frieden - Bewahrung der Schöpfung“ sind eng miteinander verknüpft; im Grunde wird in ihnen ein einziges Problem evident.

• Dieses eine Problem ist das von Gott, Seinem Wort und Christi Erlösungstat abgelöste Denken und Handeln von Menschen; in ihrer Eigenmächtigkeit können sie gar nicht anders, als die Schöpfung (und mit ihr sich selbst) zerstören.

Kurz: Es geht einmal mehr um die Realität dessen, was biblisch Sünde heißt. Unser „moderner“ Lebensstil, orientiert an Macht und Machbarkeit, Wohlstand, Bequemlichkeit, Konsum und Sicherheit, ist durch und durch von der Sünde geprägt.

• Es gehört zu den bestürzenden Wahrheiten für uns Christen, daß wir—vielfach unbewußt — mit unserem eigenen Denken und Tun zutiefst hineinverstrickt sind in das Unheil der Zeit.

Insofern erweist sich der Konziliare Prozeß als ungeheure Chance: Er bietet, so' wir bereit sind, diesen schmalen und dornigen Weg zu gehen, die Möglichkeit, unseren je persönlichen Anteil an der Krise unserer Zeit wahrzunehmen und die Verantwortung vor Gott dafür zu übernehmen.

Er bietet die Möglichkeit, jum-zukehren und gemeinsam neue und tragfähige Verbundenheit mit Gott in Jesus Christus zu suchen und so zur notwendigen Verantwortung für Mitmenschen und Mitschöpfung befähigt zu werden.

So zielt das konziliare Geschehen letztendlich auf eine umfassende Erneuerung des christlichen Glaubens selbst. In ihm kann sich unvermutet die Realitätsnähe der christlichen Botschaft angesichts der Nöte unserer Zeit konkretisieren: daß nämlich fünf, sechs, sieben oder gar noch mehr Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde nur menschenwürdig und sinnerfüllt werden leben können, wenn sie ihre Herzen und Gemüter zu Liebe und Verbundenheit erwecken lassen.

Diesen Prozeß der Umkehr und Erneuerung allererst unter Christen zu stärken und so einen anderen Umgang von Menschen mit Menschen, von Menschen mit der nichtmenschlichen Mitschöpfung sichtbar zu machen, ist die vornehmste Aufgabe des konziliaren Geschehens; freilich — eine schwierige und langwierige Aufgabe.

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