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Auf dem Weg zum Zeugungskollektiv?

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Die Sozialisten, die gegen ihre Absicht, die Institution Ehe in einen fünfjährig kündbaren Werkvertrag umzuwandeln, keinen Widerspruch dulden, führen sich so auf, wie sie es immer tun, wenn sie auf Sachargumente gar nicht erst eingehen wollen: Alle, die sich der Broda-Ehe nicht vorbehaltlos unterwerfen wollen, werden in Bausch und Bogen als unverbesserliche Reaktionäre, ewig Gestrige oder Fortschrittsbremser denunziert.

„Papierehe“ ist das Zauberwort des Ministers, das die Österreicher ähnlich emotionalisieren sollte wie einst die Kampfparole: „Mein Bauch gehört mir.“ Die Zauberformel - oder besser: Märchenformel - von den „Papierehen“ sollte suggerieren, wie unmenschlich das Los ungezählter Frauen und Männer ist, deren ferneres Lebensglück einzig und allein durch ein Stück Papier, durch den Trauschein, behindert wird.

Mir kommen die Tränen.

Doch Tränen beiseite: Hauptzweck der Zauberformel von den Papierehen ist natürlich, die Tatsache zu verschleiern, daß den Sozialisten die Ehe überhaupt nicht mehr das Papier wert ist, auf dem die unauflösliche Lebensgemeinschaft amtlich verbrieft ist. Unter diesem Aspekt ist das Wort „Papierehe“ zu sehen.

Wenn es um das Verhältnis Parteien/Kirche geht, heißt es immer, die drei „P's“ (Programme, Praxis und Personen) seien ausschlaggebend für die Beurteilung. Was das Verhältnis Parteien/Familie oder Sozialismus/Familie betrifft, könnte man es eigentlich genauso halten. Dann würde man ein recht klares Bild bekommen.

Wenn wir das derzeit in Diskussion stehende Programm ansehen, finden wir zwar ein eigenes Familienkapitel. Von Ehe ist darin nicht die Rede.

Deutlicher wird die Richtung erkennbar, in die marschiert werden soll, wenn man die Randbemerkungen von Ernst Federn zum neuen Parteiprogramm in der März-Nummer der „Zukunft“ liest. Er schreibt darin, „daß die Sozialistische Partei Österreichs es als ihre besondere Aufgabe ansieht, unseren Kindern jede mögliche Entfaltung ihrer Entwicklung zum reifen Menschen zu gewährleisten...“ Nicht den Familien wird es ermöglicht, ihren Kindern jede mögliche Entfaltung zu gewährleisten, nein: Die fürsorgliche Mutter Partei springt ein und wirft auf alle Kinder gleichzeitig das liebevolle Mutterauge.

Der zumindest bis zu Olof Palmes Sturz stark propagierte „Schwedische Weg“ führt in der Familienpolitik bereits durch eine deutlich geänderte Landschaft: Im neuen Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens, das 1975 beschlossen wurde, ist von der Familie überhaupt nicht mehr die Rede. Es kommen nur Männer und Frauen vor, die offenbar in irgendeiner Beziehung zueinander stehen, weil sie Kinder erziehen. Aber für den Ausdruck „Familie“ hat's bei den Redaktoren des Programms nicht mehr gereicht: Zeugungs- und Erziehungskollektiv statt Familie?

Die österreichische Regierung behauptet von sich immer wieder, auch in der politischen Praxis Familienpolitik zu betreiben. Stimmt: Sie betreibt Politik auch für die Familien, aber nicht anders, als sie Politik betreibt für jeden anderen Österreicher, der keinem Familienverband angehört. Praktisch alle „familienpolitischen“ Leistungen des Staates werden auch dann gewährt, wenn von einer Familie im ursprünglichen Sinne nicht gesprochen werden kann: Die Schülerfreifahrt, das Gratisschulbuch, die Geburtenbeihilfe oder die Kinderbeihilfe. Welche Leistung des Staates, bitte schön, gibt es denn, die ausschließlich für die Familie konzipiert ist?

Und hier sind wir wieder bei der Scheidungsreform. Die Kirche, alle ihr nahestehenden Organisationen und auch die Volkspartei haben dies immer wieder ganz deutlich ausgesprochen: Es geht nicht darum, eine Reform des alten Ehegesetzes zu verhindern. Die Funktion der Ehe hat sich sicherlich gewandelt.

Für eine gewisse Liberalisierung, aber für eine äußerst behutsame Liberalisierung, gibt es sicherlich für den staatlichen Gesetzgeber auch zutiefst menschliche Argumente.

Das Ehe-Modell Christian Brodas hat aber ganz entschiedene Schönheitsfehler: Jede Ehe soll nach seinem Wunsch nach spätestens fünf Jahren aufgehoben werden können. Widerspruch des schuldlosen Teiles wird nicht mehr geduldet

Damit wird jedem Eheteil gleich vor dem Standesbeamten das Gefühl gegeben, jederzeit aus der Gemeinschaft flüchten zu können. Aus der Ehe ein Durchhaus zu machen. Die Ehe wird vermutlich leichter lösbar als ein durchschnittlicher Mietvertrag. Nur Schlagworte? Sie vermögen aber, die Szene genau zu charakterisieren.

ÖVP-Justizsprecher Walter Hauser hat auf einer ÖAAB-Enquete zur Scheidungsreform am Wochenende ganz richtig bemerkt: Die Öffentlichkeit und auch die Medien befassen sich primär mit materiellen und versicherungstechnischen Problemen der Scheidung. Das ethische Moment der geplanten Reform werde völlig außer acht gelassen. Außer acht gelassen wird auch, daß es nicht immer darum geht, möglichst viele Verbote zu erlassen. Fallen aber Verbote weg, wird ehedem Verbotenes erlaubi Ist etwas einmal erlaubt, wird es nur zu leicht zur Gewohnheit, ja zur Selbstverständlichkeit. Und das sollte mit der Scheidungsreform nicht erreicht werden.

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