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Auf dem Weg zur Dritten Republik

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Nichts geht mehr in diesem Land: Regierung, Parteien und Sozialpartnerschaft sind zutiefst verunsichert. Eine fundamentale Erneuerung des Staates ist notwendig.

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Nichts geht mehr in diesem Land: Regierung, Parteien und Sozialpartnerschaft sind zutiefst verunsichert. Eine fundamentale Erneuerung des Staates ist notwendig.

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Es kracht im Gebälk der Zweiten Republik. Der Widerstand formiert sich. Hainburg hat gezeigt, daß Umweltschutz und allgemeiner Protest bereits unun-terscheidbar ineinander verwoben sind. Die Arbeitsplatzkarte als Alibi für phantasieloses Beharren am Status Quo sticht nicht mehr.

Regierung, Parteien und Sozialpartnerschaft sind tief verunsichert. Was ist zu tun?

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als den Aufbruch in die Dritte Republik zu wagen. Was not tut, ist eine fundamentale Erneuerung des Staates. Sie muß naturgemäß bei der Verfassung beginnen.

Österreich ist in schlechter Verfassung.

Der kleine politische Markt von 7 Millionen verträgt es auf die Dauer nicht, daß die eine Hälfte ständig über die andere regiert. Die 13 Jahre Bruno Kreisky können nicht die Regel, sondern nur die Ausnahme sein. Begründet

• durch das Bedürfnis nach einem sozial-liberalen Nachziehverfahren

• und durch die Person des Kanzlers.

Man mag zu Kreisky stehen wie man will- persönlich halte ich die Folgen seiner Politik für katastrophal (totale Auszehrung der Betriebe, politische Kastrierung de Verstaatlichten Industrie, kleine Koalition bei großen Problemen) -, er ist jedenfalls eine singulare politische Erscheinung.

Kreiskys Abgang hat gezeigt, wie sehr das gegenwärtige System von faszinierenden Persönlichkeiten abhängt. Denn seither geht überhaupt nichts mehr. Alles ist auf die lange Bank geschoben: Pensionsreform, Steuerrefcrm, Verstaatlichte Industrie, ÖBB.

Die Regierung rettet sich von Desaster zu Desaster. Die Abstimmung über den Mißtrauensantrag gegen Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager hat mit unüberbietbarer Deutlichkeit gezeigt, worum es der Regierung geht - ums blanke Uberleben ohne Rücksicht auf das Gewissen einzelner Abgeordneter und vor allem ohne Rücksicht darauf, was das Land wirklich braucht.

Aber auch der Opposition geht es nicht besser. Kann es auch nicht besser gehen. Auch sie bedürfte ja eines politischen Super-menschen, der Österreich und vor allem seine Journalisten jeden Tag mit einem Feuerwerk von Ideen in Atem hält.

Wirklich durchsetzen kann auch die Opposition trotz der Hälfte aller Stimmen nichts. Also erschöpft sie sich in taktischen Spielereien.

Mit einem Wort: ein so kleines Land mit so großen Problemen kann sich das aufwendige Modell von Regierung und Opposition nicht leisten. Zwei große Parteien in ständiger Konkurrenz sind ebensowenig möglich wie zwei große konkurrierende Fernsehanstalten, zwei Luftlinien oder zwei österreichische Bundesbahnen.

Ich schlage daher im Interesse des Landes vor:

• Rücktritt der Regierung und Neuwahlen.

(Foto Votava)

• Die Bildung einer großen Koalition mit dem Auftrag, innerhalb von zwei Jahren eine neue Verfassung vorzulegen.

# Da die große Koalition zum gegenwärtigen Zeitpunkt die eminente Gefahr in sich birgt, ein Kartell der überlebenswilligen „Gestrigen” zu werden, sind umfassende Sicherheiten einzubauen:

— Der Koalitionspakt ist in allen Punkten zu veröffentlichen.

-f- Die. Zusammenarbeit der beiden großen Parteien hat sich auf einige wenige Punkte zu beschränken: Verfassungsreform, Reform der Pensionsversicherung, Steuerreform, Neustruktu-rierung der Verstaatlichten Industrie.

- Alles übrige ist koalitionsfreier Raum.

— Darüber hinaus verpflichten sich ÖVP und SPÖ, partei- und politikfreie Räume festzulegen, wie z. B. in der Verstaatlichten Industrie, im Bereich der Schulen und im Bereich des Wohnbaues.

# Die neue Verfassung ist - wie schon unsere Neutralität — nach dem Vorbild der Schweiz zu verfassen. Das heißt vor allem: Zusammenarbeit aller Parteien in der Regierung.

# Diese Zusammenarbeit muß ergänzt werden

— durch eine Stärkung der Rechte des Bundespräsidenten (er muß das langfristige und kontinuierliche Element des Regierens darstellen; seine Funktionsperiode ist auf drei mal sechs Jahre zu erweitern);

-durch die Einführung des Persönlichkeitswahlrechtes für Abgeordnete (wie das beschämende Beispiel des Klubzwangs bei der Frischenschlager-Abstimmung gezeigt hat, muß der einzelne Abgeordnete mehr Autonomie und Selbständigkeit erhalten, andernfalls gerät das parlamentarische System selbst ins „Out”);

— durch den Einbau direkt-demokratischer Rechte nach dem Vorbild der Schweiz und einiger österreichischer Bundesländer (der Staatsbürger muß auch zwischen den Wahlzeiten direkt ins politische Geschehen eingreifen können; darüber hinaus sind ihm aber auch im Bereich der Verwaltung direkte Mitwirkungsrechte einzuräumen).

Diese fünf Punkte stellen einen Mindestkatalog an notwendigen institutionellen Veränderungen dar. Daraus wird freilich nur dann eine neue Dritte Republik werden, wenn sich auch die handelnden Personen ändern. Wenn sie nicht in erster Linie an ihre Partei und die Erhaltung ihrer Macht denken, sondern an den Staat und seine Bürger; wenn sie sich nicht hinter Funktionen, Gremien und Verbänden verstecken, sondern bereit sind, als Person Verantwortung zu übernehmen — und gegebenenfalls auch wirklich zurückzutreten.

Und vor allem: Wenn sie Mut und Zivilcourage zeigen. Denn Feigheit und persönlicher Opportunismus sind die sicherste Garantie des Untergangs.

Der Autor ist Professor für Privatrecht an der Universität Graz und Klubobmann der ÖVP im steirischen Landtag.

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