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Auf dem Weg zur Freiheit

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Die jugoslawischen Schriftsteller richteten auf ihrem Kongreß im April 1985 eine Botschaft an die Öffentlichkeit und die Politiker, in der sie unter anderem forderten, den Artikel des Strafgesetzbuches zu streichen, aufgrund dessen sogenannte „verbale Delikte“ strafbar waren. Die Antwort des Staates lautete damals, die Dichter könnten gerne beschließen, was sie wollten,

doch habe das keinen Einfluß auf die Juristische Regulative“, dafür seien andere „Institutionen des Systems“ zuständig.

Da die Schriftstellerorganisa-’ tion böse Erfahrungen einiger Mitglieder registrieren mußte - im Ausland am bekanntesten war der Fall des Dichters Gojko Djo- go, der wegen angeblicher Verunglimpfung des verstorbenen Staatspräsidenten Tito zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt war, und vordem die Bestrafung des Publizisten und Wissenschaftlers Mihajlo Mihajlov -, blieb sie weiterhin wachsam und tätig. Immer wieder erinnerte sie an ihren Beschluß. Nun, nach dreieinhalb Jahren, stellte sich der erste große Erfolg ein.

Zuerst wurde ein unabhängiges .Jugoslawisches Forum für den

Schutz der Menschenrechte und der Rechtssicherheit der Bürger“ gegründet. Mitglied ist unter anderen der derzeitige Präsident des Schriftstellerverbandes, der Romancier Slobodan Selenič. Dieses Forum forderte das Staatspräsidium auf, anläßlich des Jubiläums der Deklaration der Menschenrechte alle wegen „verbalem Delikt“ einsitzende Jugoslawen zu begnadigen.

Kurz vor Neujahr kam das Staatspräsidium diesem Wunsch entgegen. Siebenundzwanzig

Bürger wurden begnadigt. Offiziell wurde mitgeteilt, im neuen Jahr gäbe es keinen einzigen Verurteilten aufgrund des Artikels 133 des Strafgesetzbuches mehr im Lande.

Der Paragraph 133 ist allerdings noch nicht gestrichen. Es ist ein richtiger Gummiparagraph.

Wörtlich heißt es, wer „böswillig und unwahr die gesellschaftspolitische Lage im Lande“ darstelle, werde „mit Gefängnis zwischen einem und zehn Jahren“ bestraft. Weiter heißt es, die Straftat könne durch „Schrift, Flugblatt, Zeichnung, Rede odęr auf andere Wei se“ begangen werden. So war es Auftrag der Gerichte, zu bestimmen, wann ein Artikel oder gar eine Karikatur „böswillig“ oder mindestens „unwahr“ sei, und nie wurde geklärt, was man alles „auf andere Weise“ anstellen könne.

Alles unterlag dem subjektiven Urteil der Gerichte, die dazu — was kein großes Geheimnis ist — dem Druck der Politik und manchmal auch einer hetzerischen Presse ausgesetzt waren. Im Lande entstand eine Ungleichheit, weil in den verschiedenen Landesteilen unterschiedlich geurteilt wurde: für dasselbe sogenannte Delikt wurde man entweder freigesprochen oder zu mehrjähriger Gefängnisstrafe verurteilt.

Um nur ein Beispiel zu nennen: für diese in der FURCHE veröffentlichten Behauptungen könnte ich theoretisch zu mindestens einem Jahr Gefängnis verurteilt werden—käme ein Gericht auf die Idee, das Behauptete sei unwahr oder gar böswillig. Die Verteidigung müßte dann für den Angeklagten in Anspruch nehmen, er habe nur eine „gutgemeinte Kri tik“ vorgetragen. Aber das Urteil wäre reine Ermessenssache der Gerichte. Wie die Dinge heute stehen, nehme ich allerdings an, man könnte mir schlimmstenfalls vorwerfen, ich hätte unrecht - und dies in einer Zeitung veröffentlicht.

Einige Kommentare in der jugoslawischen Presse meinten, der Akt der Begnadigung ginge der Streichung des Artikels 133 aus dem Strafgesetzbuch voraus. Das wäre gut so. Denn selbstverständlich muß die Veränderung eines Gesetzes auf dem normalen parlamentarischen Weg geschehen. In der Zwischenzeit kann das,.Forum für den Schutz der Menschenrechte“ darauf achten, daß der noch existente Paragraph nicht länger mißbraucht wird.

Interessant ist es, einen Blick auf die Liste mit den Namen der siebenundzwanzig Begnadigten zu werfen. Keiner ist international bekannt. Ein Slowene unter ihnen, Torna Bogataj, wurde als Rekrut verurteilt, weil er in Uniform über die Armee „unwahr“ und „böswillig“ gesprochen hatte. Dieser Fall hatte in Jugoslawien viel Wirbel verursacht. Weiterhin klingen siebzehn Namen albanisch. Das ist deshalb bemerkenswert, weil ja das Problem der Konflikte mit den Albanern ein besonders heikler Punkt ist.

Man sollte den Begnadigungsakt nicht als eine Geste des guten Willens seitens des Staatspräsidiums begrüßen. Es geht nicht um Gnade, sondern um Menschenrechte. Es darf einfach keine theoretische Möglichkeit existieren, mit Gefängnis bestraft zu werden, nicht weil man etwas getan, sondern weil man etwas geschrieben oder gesagt hat, natürlich auch dann nicht, wenn es tatsächlich „unwahr“ sein sollte. Freilich stellt das, auf andere Länder übertragen, auch vor die Frage, ob man etwa in Deutschland die sogenannte „Auschwitzlüge“ — also die Behauptung, Berichte über die Mordmaschinerie von Ausch- .j witz wären unwahr - als Strafde- likt verfolgen sollte. Die Antwort lautet: Nein. Es geht um demokratische Prinzipien.

Erfreulich ist, daß die Begnadigungen in Jugoslawien als Zeichen der allgemeinen Demokratisierung gewertet werden dürfen. Der Vorgang ist stürmisch, eine Umkehr nicht möglich, aber das Ziel liegt noch ziemlich weit.

Der Autor ist einer der namhaftesten Autoren Serbiens, sein Roman „Kaiser Diokletian“ ist im Paul List Verlag, München, in deutscher Sprache erschienen.

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