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Auf den Spuren der „Roten Khmers”

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Es gibt Autoren, die Bücher schreiben, von deren Bedeutung sie nur eine schwache Ahnung haben. Wir sprechen hier von einer historisch fundierten Reportage, Fritz Sittes „Die roten Khmer”, in der dieser tüchtige Journalist sich tapfer die Materialien selbst verschaffte.

In welchem Zeitalter moralisch unlösbarer Entscheidungen wir leben, zeigt ja schon der Umstand, daß die UNO standhaft das massenmörderische Pol Pot Regime als die einzig legitime „Demokratische Republik Kamputschea” betrachtet und in der von der „Demokratischen Republik Vietnam” eingesetzten und militärisch unterstützten Regierung ein Stück aggressorischer Usurpation sieht. Faktisch haben die „Vereinten Nationen” recht, doch wissen wir alle, daß Adolf Hitler und Josef Stalin im Vergleich zu Pol Pot liberale Humanisten reinsten Wassers waren.

Man muß sich aber auch daran erinnern, daß die sowjetisch orientierten Viets in Kambodscha stets so verhaßt waren und sind, daß die Dschungelarmeen des „Demokratischen Kamputschea” mit massiver chinesischer Unterstützung trotz ihrer himmelschreienden Missetaten, sie rotteten bekanntlich fast ein Drittel der Bevölkerung aus — vom Volk großen Zulauf erhalten.

Tatsächlich kontrollieren sie den größeren Teil des Landes, während die Viet-Quislinge nur die Herren der großen Städte und Durchgangsstraßen sind. Zwischen ihnen und den Soldaten der „Demokratischen Republik Vietnam” gibt es unaufhörlich Kämpfe, die mit unerhört grausamen Mitteln ausgefochten werden. Hier erinnert man sich unwillkürlich an die Worte, die der Sowjetgeneral Korotajew an Milovan Djilas gerichtet hatte: „Wenn einmal die ganze Welt kommunistisch ist, werden die Kriege ganz furchtbar sein.”

Sitte gelang es, zu den „Roten Khmers”, also den patriotischen Untergrund- und Urwaldkämpfern von Thailand her Kontakt aufzunehmen, zuerst auf Elefanten, dann aber mit Löwenmut auf Dschungelpfaden in das Landesinnere vorzudringen. In steter, sehr kluger Abwechslung gibt er uns hier zweifache Kost: seine eigenen, persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen, und die Vorgeschichte dieser schauerlichen Auseinandersetzungen.

Der große Wert dieses Buches liegt aber doch eher auf dem historischen Aspekt. Man sieht hier in magischer Beleuchtung sowohl die asiatische, von einem christlichen Hintergrund völlig ferne Mentalität, als auch die fürchterlichen Auswirkungen von Ideologien, wenn sie auf falschen Ansätzen ruhen.

Wir haben auch bei uns Entsetzliches erlebt, aber doch nicht mitansehen müssen, wie ein verhaßter General, von einer Volksmenge erkannt, niedergeschlagen wird, wie man ihm die Leber bei lebendigem Leib herausschneidet, diese im Restaurant brät und dann gierig auffrißt. (Die Kambodschaner? Ein uraltes Kulturvolk!)

Was geschieht aber, wenn das Nichtchristliche mit dem Marxismus eine enge Synthese eingeht? Das erfahren wir hier: nicht nur Ho-Chi-Minh erhielt seine intellektuelle Ausbildung in Frankreich, sondern auch, wie uns Sitte anschaulich schildert, sieben kambodschanische Studenten, die dank eines Stipendiums nach Paris kamen und in der Rue de Commerce hausten. Sie gebaren die Idee des radikalen, wahrhaft logischen, kompromißlosen Kommunismus. Einer dieser jungen Männer war Pol Pot.

Die städtische, verwestlichte, internationale Zivilisation betrachteten Pol Pot und seine Freunde als degeneriert, Intellektuelle als überflüssig und gefährlich; nur der ländliche Proletarier war ihnen existenzberechtigt. Daher die fast totale Ausrottung der Gebildeten, die radikale Räumung der Häuptstadt Phnom-Penh, wobei die Kranken in den Spitälern einfach ihrem Schicksal überlassen wurden, die Ermordung ganzer Familien, um der Rache überlebender Familienmitglieder zu entgehen.

Von zwei Dutzend kambodschanischen Studenten in Frankreich, die begeistert nach dem

Sieg der Roten Khmers zurückflogen, überlebten mit Sicherheit nur zwei. Für Gottlose gibt es eben keine moralischen Grenzen.

„Wenn es Gott nicht gibt”, hat Dostojewski gesagt, „dann ist alles erlaubt.” Heute aber ist Pol Pot „nur” Oberbefehlshaber der Dschungelarmeen und Sitte glaubt, es bestünde die Möglichkeit einer Vermenschlichung der Roten Khmer. Auch der schillernde Prinz Sihanouk figuriert wieder in ihrem Programm,

Als die Südvietnamesen am Ende des Vietnamkriegs in Kambodscha einige Grenzbezirke besetzten, um die Lager der „Roten Khmer” am Ausgang des Ho-Chi-Minh-Pfades zu säubern, kam es in Universitäten der USA zu gewaltigen Demonstrationen gegen die „Ausweitung des Krieges”.

Am Campus der Staatsuniversität in Kent (Ohio) griffen Studenten die Nationalgarde so heftig an, daß diese in ihrer Not sich mit der Waffe wehrte. Es gab vier Tote unter den von Massenmedien verhetzten jungen Amerikanern. Sie waren tatsächlich für Pol Pot und seinen Kommunismus „gefallen”.

Amerika und der Vietnam-Krieg? Hier teile ich als alter Vietnamkriegskorrespondent die Meinung unseres Autors nicht. Auch hätte er sich hüten müssen, das amerikanische Wort billions mit Billionen (anstatt mit Milliarden) zu übersetzen. Seine Photos aber sind ausgezeichnet.

DIE ROTEN KHMER. Völkermord im Fernen Osten. Von Fritz Sitte. Styria-Verlag, Graz-Köln-Wien 1982.223 Seiten, Ln., öS 220,-

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