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Auf den Spuren der Slawen

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Die bei uns heute allgemein unter der Bezeichnung Karner bekannten sakralen Zentralbauten des Mittelalters, welche sich ausschließlich in der südöstlichen Hälfte unseres Landes in übergroßer Zahl erhalten haben, werden von vielen als eine österreichische Besonderheit angesehen.

Unsere Karner sind turmartige, zweigeschossige Bauten von rundem oder mehreckigem Grundriß, welche unter dem Hauptraum mit apsi-dialem Ausbau für den Altar eine Krypta oder Gruft besitzen, in der die Toten der Gemeinde (aus exhumierten Gräbern) verwahrt werden. Jeder dieser Räume besitzt einen gesonderten Eingang von außen. Ist die Krypta (Gruftraum) besonders groß, wird das Gewölbe von einer Mittelsäule getragen. Unsere Karner stehen frei, in unmittelbarer Nachbarschaft der Pfarrkirche; und sie stammen aus der Zeit zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert.

Eine Verordnung Kaiser Josephs II. aus der zweiten Hälfte des 18. Jhs., welche die Friedhöfe aus hygienischen Gründen aus den Orten verbannte, führte in der Folge zu Verfall und Vernichtung vieler dieser originellen und künstlerisch oft sehr wertvollen Bauten. In protestantischen Gegenden mußte sogar ein restloser Abbruch dieser Anlagen erfolgen, da die Reformation den Fürbittgedanken für die Verstorbenen aufgab.

Die Kernländer unserer Karner sind Niederösterreich und Kärnten, dazu kommen noch die Steiermark mit.dem Lungau und Teile von Oberösterreich. Außerhalb dieses Siedlungsgebietes finden wir diesen Bäutypus nur noch vereinzelt in Mähren, der Slowakei, in Slowenien und Friaul.

Bei näherer Untersuchung dieser Karner können wir unschwer feststellen, daß die wenigsten von ihnen von Anfang an als Beinhäuser oder Totenkapellen dienten. Zwar waren Beinhäuser (Karner) im späten Mittelalter in ganz Mittel- und Westeuropa weit verbreitet, doch nirgends besaßen sie die Form unserer auf kreisrundem Grundriß basierenden Zentralbauten. Beinhäuser oder Karner wurden auch in Deutschland (Mittelrhein, Bayern), in Frankreich (in der Bretagne werden sie als Os-suarien bezeichnet), in Spanien, Italien und England gebaut. Viele Synoden, darunter die von Münster (1279) und Köln (1280) machten die Errichtung von Beinhäusern vielfach zur Pflicht, um dem Aufriefen von verheerenden Krankheiten infolge des Anwachsens der Städte und Pfarren, und der daraus resultierenden Uberfüllung der Friedhöfe, entgegenzuwirken.

Österreich besitzt nicht weniger als zweihundert Karner und ist damit führend in Europa. „Die Frage nach der Ursache drängt sich auf, doch ist eine klare Antwort noch nicht gefunden. Ganz allgemein dürften die Gründe im Totenkult zu suchen sein ...“, meint Professor Rupert Feuchtmüller. Der verstorbene Kunsthistoriker Richard Donin vermutete indessen Einflüsse aus dem Osten.

Wie kam es aber zu der großen Zahl solcher sakraler Bauten gerade nur im östlichen und südlichen Teil unseres Landes? Wie wir wissen, wanderten in der Völkerwanderungszeit, aus dem Osten kommend, auch slawische Stämme nach Mitteleuropa ein. Im Norden erreichten sie die Elbe, im Süden überschritten sie die Donau und besiedelten seit dem 6. Jahrhundert nach Chr. Pannonien und drangen weit in die Täler der Ostalpen vor. Hier wurden sie anfangs von bayrischen und italienischen Missionaren (von Salzburg und Aquileia aus) christianisiert, weil diese Gebiete damals unter politischem Einfluß des karolingischen Frankenreiches standen.

Im Jahre 862 begann aber auch die Missionierung der slawischen Völker von Byzanz aus, welche • mit Cyrillus und Methodius von Mähren aus ihren Anfang genommen hat. Methodius wurde bald danach zum Bischof des damaligen Großmährischen Reiches und von Pannonien erhoben. Die Missionierung der Ostkirche war so erfolgreich, daß das Vordringen des Christentums aus dem Westen in allen damals von Slawen bewohnten Gebieten einfach zum Stillstand gekommen ist. (Ausschlaggebend für die Annahme des Christentums von der Ostkirche war für die slawischen Völker die Erlaubnis der Ostkirche zur Abhaltung der Gottesdienste in ihrer Muttersprache.) Mit dem Christentum aus dem Osten kam gleichzeitig aus Byzanz nach Mitteleuropa auch die byzantinische Kunst und Kultur, die auch einen beträchtlichen Teil unseres Landes überflutete.

Byzantinische Bauformen, insbesondere der ausgebildete . Zentralbau (Rundgebäude), welcher schon bedeutend früher in Dalmatien (Za-dar) und Oberitalien (Ravenna, Gra-do, Pisa, Mantua) Fuß fassen konnte, begann sich jetzt nun auch in allen damals von Slawen bewohnten Gebieten auszubreiten. Ähnlich wie in Italien waren die ersten auf unserem Gebiet erreichteten Zentralbauten auch Tauf kapellen (Baptisterien): in Salzburg beim Virgil-Dom (Mitte des 8. Jhs.), auf dem Hemmaberg in Kärnten (6. Jh.), in Innichen (9. Jh.) usw. Als später die Erwachsenentaufe aufhörte, dürften viele der nicht mehr benötigten Baptisterien einfach anderen Zwecken zugeführt oder abgebrochen worden sein.

Unter dem starken Einfluß der Ostkirche und der byzantinischen Baukunst entsteht im 9. und 10. Jahrhundert in Böhmen, Mähren und Polen eine Reihe von Kirchen mit kreisrundem Grundriß, dort „Rotunden“ genannt: in Prag, Mikulcice, Znaim, Plzenec, Teschen, Krakau, Gniezno, Strzelno usw. Diese Kirchen, groß genug für die damals noch spärlich besiedelten Gebiete, waren noch jeweils mit Wällen und Palisaden umgeben.

Der Typus der runden Turmkirche dürfte sich von dort auch auf das heutige Niederösterreich, die Steiermark und Kärnten ausgebreitet haben (damals vorwiegend von slawischen Stämmen bewohnt): Deutsch-Altenburg, Petronell, Hainburg, Tulln, Scheiblingkirchen, Möd-ling, Hadersdorf, Hartberg, St. Lambrecht, St. Veit a. d. Glan usw. Letzte Forschungen ergaben, daß beispielsweise der „Karner“ von Mödling auf die Zeit Heinrichs von Mödling, eines Jasomirgott-Sohnes, zurückgeht, der unter dem Einfluß seiner Mutter Theodora 1177 byzantinische Künstler zum Bau dieser Kirche geholt haben soll. (Drei Babenberger waren mit byzantinischen Prinzessinnen verheiratet.)

Dafür, daß diese runden Zentralbauten ursprünglich Kirchen und keine Karner (Beinhäuser) waren, spricht allein schon ihr oft sehr aufwendiger architektonischer Schmuck (schöne Portale“ und Gliederung der Außenwände), der Reichtum an

Wandmalereien im Kapellenraum (noch erhalten in Hartberg, Pisweg, Tulln, Feistritz ob Grades, Berg a. d. Drau), und nicht zuletzt die oft beträchtliche Dimensionierüng dieser alten Bauten. Dazu kommt noch die Tatsache, daß sie in der Regel älter sind als die daneben stehenden Gotteshäuser. Bei einigen der ältesten dieser Rundkirchen dürfte es sich mit Sicherheit sogar noch um Taufkirchen (Baptisterien) handeln: Petronell, Maria-Saal, Tigring (diese vom Erzbischof Konrad aus Salzburg 1136 als ecclesia baptismalis gestiftet), Jäk u. a.

In kleinen Siedlungen baute man, der Zahl der Einwohner entsprechend, kleinere, bescheidenere Rundkirchen, die im Laufe der Zeit, nach Errichtung einer größeren Kirche, dann eben zu Totenkapellen und Beinhäusern, oder, wie wir sagen: Karnern umfunktioniert wurden. Unter westlichem Einfluß übernahmen die später erbauten oder später umgebauten Zentralkirchen viele architektonische Formen und Details aus der Romanik und Gotik. Manchmal zeigt ihre Ornamentik sogar gewisse Zusammenhänge mit der normannischen Kunst, die auf eine Verbindung mit den Kreuzzügen hinweist.

Mag sein, daß die noch später (also im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts) erbauten, doch wohl eher nur umgebauten Karner, eben nur ausschließlich als Totenkapellen zur Aufbewahrung von Gebeinen nach der Wiederbelegung von Gräbern aus inzwischen zu eng gewordenen Friedhöfen dienten. Die dort nachbestatteten Gebeine und Schädel wurden manchenorts kunstvoll geschlichtet und die Schädel mit Namen, Todesdatum und Ornamenten verziert. — Grufträume mit Gebeinen aus aufgelassenen Gräbern finden wir vielfach auch im Kellerraum, unter dem Presbyterium vieler unserer Kirchen.

Gegen Ende des Mittelalters gewinnen wieder und endgültig die abendländische Kultur und die Westkirche die Herrschaft über ganz Mitteleuropa, was auch zum raschen Erlöschen der byzantinischen Traditionen führt. Die westliche Kirche und die westliche Baukunst breiten sich weit über Mitteleuropa nach dem Osten aus.

Heute wiederum werden manche dieser als Beinhäuser nicht mehr gebrauchten Rundbauten mit Vorliebe zu Kriegergedenkstätten umgestaltet. Die turmartigen, runden, sakralen Gebäude sind aber Zeugen dafür, wie Byzanz ein letztes Mal Schrittmacher der Entwicklung im Abendland war.

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