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Auf den Spuren der Urchristen

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Ephesos, die erste und größte Metropole der römischen Provinz Asia und Residenz der römischen Prokonsuln, war im Laufe ihrer langen Geschichte mehr als nur die Stadt des siebenten Weltwunders, in der die Muttergöttin Artemis verehrt wurde. Ephesos, im Westen der heutigen Türkei unweit von Izmir gelegen, gilt neben Jerusalem, Antiochia, Thessaloniki, Korinth und Rom auch als ein Zentrum und eine Keimzelle des frühen Christentums, wo von 54 bis 56 der Apostel Paulus wirkte.

In der Heiligen Schrift (Apostelgeschichte 19/23 ff.) wird geschildert, welchen Proteststurm die Predigten des Paulus entfachten. Drei Stunden lang hat damals - angestachelt von dem Silberschmied Demetrius, der um sein Geschäft mit den Nachbildungen des Wahrzeichens der Stadt fürchtete - das im Großen Theater versammelte Volk gerufen: „Groß ist die Artemis der Ephesier!” und damit den Apostel zui Abreise gezwungen.

Nichtsdestoweniger faßte das Christentum schon zu dieser Zeit hier Fuß, verdrängte den Artemiskult und ließ die Stadt zum Sitz des Obermetropoliten und zum Mittelpunkt eines neuen

Stils innerhalb der Porträtkunst, Architekturornamentik und -plastik, der Wandmalerei und Mosaikkunst werden. Beinahe auch wäre Ephesos und nicht Byzanz/Konstantinopel zur Hauptstadt Ostroms aufgestiegen.

Gemeinsam mit dem Institut für By-zantinistik der Universität Wien (Vorstand: Univ.-Prof. Herbert Hunger) will deshalb das österreichische Archäologische Institut, das seit 1898 hier gräbt, über Anregung seines Direktors, Univ.-Prof. Hermann Vetters, die Spätantike und das frühe Christentum in Ephesos erforschen, das heißt also die Ära zwischen den Kaisern Konstantin (306 bis 337) und Heraklius (610 bis 641).

Während der heurigen Grabungskampagne von Anfang Juli bis Ende September werden Archäologen und Byzantinisten unter der Leitung von Univ.-Doz. Werner Jobst sich vornehmlich der Nachuntersuchung bereits freigelegter christlich-byzantinischer Denkmäler und Kleinfunde widmen, sie zeichnen, fotografieren, katalogisieren und Vorarbeiten für eine großangelegte wissenschaftliche Publikation sowie einen „Führer durch das christliche Ephesos” leisten.

Ausgangspunkt für diese Dokumentation, dte sowohl die kirchen- als auch die wirtschaftspolitische Stellung der spätantiken Metropole beleuchten soll, sind vor allem die Ruinen der 15 frühchristlichen Kirchen sowie die Funde aus den bedeutenden ephesischen Bild-hauerwerkstätten und Architekturschulen, die in gleich hohem Ansehen standen wie jene von Ravenna.

Da ist zumal die erste und wichtigste Kirche der Stadt: die unter Kaiser Konstantin im Hafenviertel erbaute Marienkirche. In ihr fand in Anwesenheit von 200 Bischöfen das dritte ökumenische Konzil statt, das die Gottesmutterschaft der angeblich in Ephesos gestorbenen Maria zum Dogma machte.

Da ist außerdem die 550 unter Kaiser Justinian auf dem Hügel Ayasoluk im Hinterland der antiken Großstadt erbaute Johanneskirche. Sie wurde über dem Grab des gleichfalls in Ephesos verstorbenen Apostels Johannes, des Verfassers des vierten Evangeliumsund der Apokalypse, an Stelle eines Vorgängerbaues, dem andere vorausgegangen waren, als prächtige Basilika errichtet. Sie besaß elf Kuppeln und je drei Schiffe im Quer- und Langhaus. Die Säulen aus geädertem Marmor hatten Kapitelle, die sein Monogramm und das seiner Gattin Theodora trugen. Zubauten - darunter das Taufhaus und der wahrscheinlich zur Zeit Justinus II. (565 bis 578) von der Marienkirche hierherverlegte Bischofssitz - weisen herrliche Wandmalereien auf wie etwa das Bild Christi als Pantokrator.

Und da ist nicht zuletzt auch die Kirche der Sieben Schläfer. Einer Legende nach sollen nämlich unter Kaiser De-cius (249 bis 251) sieben Jünglinge in einer Höhle eingemauert worden sein, weil sie Anhänger der christlichen Lehre waren. Die so grausam Bestraften starben nicht, sondern fielen in einen tiefen Schlaf. Als man zur Zeit des christlichen Kaisers Theodosius II. (408 bis 450) die vermauerte Grotte zufällig wieder öffnete, erwachten die Jünglinge. Als sie dann tatsächlich starben, begrub man sie an der Stätte des Wunders. Die archäologische Forschung vermutet die letzte Ruhestätte der sieben Jünglinge und ihres Hündchens Viricanus im Kern einer weitausgedehnten christlichen Begräbnisanlage, über der etwas später eine Kirche entstanden ist.

Viele Besucherinschriften und Wandkritzeleien zeigen, daß dieser christliche Kultplatz bis in das 17. Jahrhundert gepflegt und von Pilgern ebenso oft aufgesucht worden ist wie das unterirdische Grab des Johannes, dem ein feiner Staub entstieg, den die Pilger für ein Wunder hielten und sammelten.

Die Sieben-Schläfer-Kirche und die Johanneskirche verfielen im 18. und 19. Jahrhundert und wurden Ziel beutegieriger Grabräuber. Die dunkle Lehre des berühmtesten Bürgers der Stadt, des Philosophen Heraklit (um 500 v. Chr.), hatte sich erfüllt: „Alles ist vergänglich, nichts für die Ewigkeit.” Der Strom der Geschichte hatte nicht nur das archaische, hellenistische und römische Ephesos, sondern auch das christlich-byzantinische hinweggespült, österreichische Wissenschafter versuchen, es wieder in das Bewußtsein der Menschen zu bringen.

Prof. Franz Miltner hat die in frühbyzantinischer Zeit abgebrannte, dann mehrmals renovierte und schließlich aufgelassene Marienkirche im ausgestorbenen und versandeten Hafenviertel der Stadt in jahrelangen Grabungen nach dem Zweiten Weltkrieg freigelegt. Mit den Namen Prof. Josef Keils und Miltners verbunden ist die Aufdeckung der Johanneskirche. Wiederaufgestellt, ist sie, umgeben von einer befestigten, im sechsten und siebenten Jahrhundert entstandenen Siedlung, weithin sichtbar und legt Zeugnis ab für einen Vorposten christlich-abendländischer Kultur, der allmählich verlöschte, als im Westen Kleinasiens unverbrauchte Völker einen neuen Lebensraum fanden.

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