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Auf den Spuren der Venus von Draßburg

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Das Landesmuseum in Eisenstadt ist umgebaut und neu eröffnet worden: ein aus mehreren Häusern zusammengefiigter Komplex aus dem Besitz des 1946 in Israel verstorbenen Kunsthistorikers, Sammlers und Weinhändlers Sändor Wolf. Sein Photo ist im heutigen Museum zu sehen unter den Bildern all der Burgenländer, die für das kulturelle Leben ihres Landes etwas Denkwürdiges getan haben - das gute, von Nachdenklichkeit gezeichnete, von Grübeleien erhellte Gesicht eines älteren Menschen.

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Das Landesmuseum in Eisenstadt ist umgebaut und neu eröffnet worden: ein aus mehreren Häusern zusammengefiigter Komplex aus dem Besitz des 1946 in Israel verstorbenen Kunsthistorikers, Sammlers und Weinhändlers Sändor Wolf. Sein Photo ist im heutigen Museum zu sehen unter den Bildern all der Burgenländer, die für das kulturelle Leben ihres Landes etwas Denkwürdiges getan haben - das gute, von Nachdenklichkeit gezeichnete, von Grübeleien erhellte Gesicht eines älteren Menschen.

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Die Bilder befinden sich im ersten Stock des neuen Museums. Bevor man zu ihnen emporklettert, soll man, muß man anhalten: im ehemaligen Hof des Weinhändlerhauses, der nun mit einem Glastonnendach überdeckt ist. Ja, man muß. Der Raum ist einladend und geheimnisvoll zugleich: freundlich, klar gegliedert, übersehbar, und doch durch das Winkelwerk von Nischen und Galerien, Stiegen und offenen Durchgängen und Durchblicken verlockend. Man erspäht im Keller einen römischen Mosaikboden und im Nebenraum dunkle bauchige Tongefäße, aber unterwegs in die Steinzeit passiert man ein paar Ölgemälde des vörigen Jahrhunderts und einen mit Blumen bemalten Bauemschrank zwischen ihnen. Und das ist gut so. Man glaubt, die Absichten des Hausherrn zu erahnen, die Gegenwart eines Geistes zu spüren, der in einer vertrackten und bestrickenden Art und Weise logisch auf das klare, wenngleich komplexe Ziel losstrebt. Alois Ohrenberger heißt der Museumsdirektor.

Ein Informationsblatt nennt die Namen der planenden Architekten Puchhammer und Wawrik. Es ist aufregend, was sie hier geschaffen haben: diese Einheit von Tradition und Funktionalismus, anheimelnd und labyrin- thisch zugleich, fürwahr ein kultischer Ort der Musen — und diese waren keine erhabenen Frauengestalten aus weißem Marmor im Sinne der von Winckelmann so rührend mißverstandenen griechischen Klassik, sondern dämonische Beschützerinnen und tyrannische Lenkerinnen der Phantasie, magische Symbolgestalten einer halb noch urmenschlichen, kulturschöpferischen Epoche.

Wir nähern uns der sogenannten „Venus von Draßburg”. Es handelt sich um die zur Abstraktion und Geometrie neigende Abbildung eines weiblichen Körpers, um einen Gegenstand, der - um überhaupt hervorgebracht zu werden - den Ansprüchen nach Schönheit, Nützlichkeit und metaphysischer Deutbarkeit hat entsprechen müssen. Mit Hilfe solcher Figuren versuchte der Mensch, seine Triebe zu rationalisieren und die Naturvorgänge verständnisvoll zu beeinflussen, also seine innere und äußere Welt zu begreifen und zu lenken. Als Schönheitsideal mußte die Figur einer gesellschaftlichen Übereinkunft entsprechen, diese jedoch widerspiegelte nur die Vorstellungen von Fruchtbarkeit in der Natur und entsprach also dem Begriff der Weiblichkeit im allgemeinen.

Die übrigen weiblichen Idole aus Draßburg geben versunkenen Phan- tasiebildem feste Form. Wie wichtig und interessant wäre es einmal, die Geschichte der im Burgenland verehrten Göttergestalten von der Steinzeit bis zum Hochmittelalter im Rahmen einer umfassenden Sonderausstellung darzustellen! Gerade hier, an der geologischen Grenze zwischen Westen und Osten, zwischen Alpenwelt und Steppe, am westlichen Rand jenes Gebietes, auf dem so viele asiatische Reitervölker anhalten mußten, um in Erwartung des großen Marsches gegen Westen von einem neu he ran reitenden asiatischen Volk besiegt und aufgesogen zu werden - gerade hier lebten nebeneinander viele Göttergestalten, heiligmäßige Tiere und Pflanzen, kultisch verehrte Heroen.

Aus dem siebenten Jahrhundert vor Christi Geburt stammen die Stierkopfgefäße von Donnerskirchen. Dieselbe Epoche (die sogenannte Hallstatt-Kultur) zeigt die Götter und Dämonen auf der Wanderschaft. Früher einmal sind sie über das Gebiet des heutigen Burgenlandes hinweg gegen Süden gezogen, haben die Dorer, die Thraker, die Ligurer und die Illyrer Ein die sagenhaften Küsten des südlichen Mittelmeeres herangeführt - nun aber ziehen die Idole und tiergestEiltigen Dämonen aus dem Eilten Kulturland Mesopotsimien gegen Norden. Es ist ein Strömen der Geister, das unsere heutige Welt geformt hat und noch immer formt: durch die Schrift und auch durch die Vorstellungswelt unserer Sprache; durch das Weltbild unserer Religionen und Philosophien; durch das Wissen auf dem Gebiet etwa der Geometrie oder der Algebra; durch unser Gefühl der zeitlichen Begrenztheit innerhalb der endlosen Zeit: also durch unseren Individualismus.

An klug ausgewählten Beispielen läßt uns das von Erwin Moravitz beispielhaft graphisch gestaltete Museum die Richtung und die Substanz dieser Wanderschaft der Götter sehen und begreifen: von den Gefäßen, Idolen, Kultwagen der Hallstattleute bis zu den Awaren, deren Staat uns auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes ziemlich bekannt ist Es bestand zwischen 568 und 803, löste sich aber nicht gänzlich auf, sondern ging in die militärischen Formationen der ungarischen Landnahme über, lebte etwa im Grenzschutz weiter, in Ortschaften, die heute noch nach den Grenzwäch- tem benannt sind wie Obenuart oder Oberschützen.

Auch das geheimnisvolle Zoan- Zoan-Volk taucht auf, wahrscheinlich an der Nordgrenze Chinas beheimatet, durch symbolische Tierdarstellungen vertreten. Da wirft sich der Panther auf die fliehende Hirschkuh und der Vogel Greif kämpft mit dem Löwen: Szenen, die ursprünglich die Götter und die Könige des alten Iran zu verherrlichen hatten, und nun, in vereinfachter und zum Teil bereits abstrakter Form die Gürtelschnallen und das Zaumzeug der Awaren und ihrer Hilfsvölker schmückten. Daß manche Eirchaischen Motive nicht leicht verschwinden, ist im Keller des Museums an einem römischen Grabstein zu sehen. Er trägt die Nummer IIK und die Aufschrift: „Tertius Sohn des Samues 20jährig liegt hier begraben. Der Vater seinem braven Sohn.” Darüber sind nicht nur Symbole der ewigen Hilfe und also des seelischen Heils in den Stein gemeißelt, nicht nur Delphine und Sterne, sondern: der Lebensbaum! Es ist der Lebensbaum Zentralasiens, Baum der Schamanen, Zeichen der Fruchtbarkeit, des ewigen Lebens, der Verbindung mit dem Himmel, uns allen wohlbekannt aus dem Alten Testament: „Und es hatte Gott, der Herr, keimen lassen aus dem Boden allerlei Bäume, reizend Einzusehen und gut zu essen; auch mitten in dem Garten Eden den Baum des Lebens, und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.”

Der Baum der Erkenntnis ist im Museum übrigens noch öfter zu sehen: an einem Stein aus Horitschon, romanisch, 11. Jahrhundert, und an einem Bauernbett in der ethnographischen Sammlung. Und wir selbst sind es, die unter dem Lebensbaum stehen, dargestellt in den Gestalten von Adam und Eva - oder photographiert: als Burschen, die den Maibaum aufrichten, irgendwo in einer burgenländischen Ortschaft. Es ist das fassungslose, das fassunglos freudige Staunen über den fruchtbringenden Segen des Baumes, das in solchen Bildern und Bräuchen zutage tritt.

Nicht sillzu tief ist der Schnee im Schloßpark. Spuren eines Fasans führen am Leopoldinentempel vorbei den Spazierweg empor, in der Mitte des Weges: es war ein gemächlicher Schloßparkfasan, der hier vor nicht langer Zeit promenierte. Es ist gut, seinen Spuren zu folgen, und - sich den Kopf durchlüftend - über all die Studienfahrten im Museum nachzudenken. Denn nach der archäologischen Sammlung ist man durch das Lapidarium geschlendert, hat dann Geologie und Paläontologie gelernt, Tiere und Pflanzen besichtigt, die Räume mit den Exponaten der kulturhistorischen Sammlung durchschritten, im Franz-Liszt-Gedenkraum des Komponisten gedacht, unter den Abbildungen der alten Burgen die Grenz- land-Funktion des Burgenlandes studiert, sich mit Zunftgeschichte und mit den historischen Fakten der frühen zwanziger Jahre beschäftigt, um endlich in den Keller hinabzusteigen und sich im bedeutungsvollen Weinmuseum zu ergehen, wo die aus der Römerzeit stammende, zu Winden ausgegrabene älteste Weinpresse Österreichs zu sehen ist.

Das Ellies beeindruckt im Augenblick, wirkt aber stärker in der Erinnerung, die nun darangeht, die geistigen Abenteuer zu ordnen. Der Spaziergang im Schloßpark wird zur Fortsetzung des Rundganges im Museum. Unter den Schuhsohlen knirscht der Schnee. Abendlich dunkelgrau liegt der massige Baukörper des Schlosses hinter den verschneiten Bäumen unter dem grauen Himmel. Plötzlich knarrt und huscht es im Geäst, Schnee fällt vom Baum - aufgeschreckt schlägt der Fasan mit den Flügeln und flögt über den Wipfeln davon.

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