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Auf den Spuren des Doktor Faust

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Sie sind die wahren Nachfahren des Doktor Faust, der bekanntlich ergründen wollte, „was die Welt im Innersten zusammenhält".

Sie, die Physiker der Europäischen Organisation für Nuklearforschung (Organisation Eu-ropeenne pour la Recherche Nucleaire) — ihre Kurzbezeichnung CERN stammt aus der Zeit, als der erste Buchstabe noch für „Conceil" stand —, gehen dafür aber keinen Pakt mit dem Teufel ein. Wie CERN-Vizepräsident Univ.-Prof. Wolfgang Kummer,

Ordinarius für Theoretische Physik an der Technischen Universität Wien, betont, geht es um reine Grundlagenforschung, abseits von militärischen Überlegungen und politischen Streitigkeiten.

Die für Kummer daher „erfolgreichste internationale Organisation" besteht seit 27 Jahren, hat ihren Sitz in Genf und zwölf Mitgliedsländer, darunter alle wichtigen westeuropäischen Länder außer Spanien, Portugal und Irland.

Das seit einigen Jahren nahezu konstante Budget (1982: 5,5 Milliarden Schilling) — das Personal mußte von fast 4000 auf knapp 3500 Angestellte reduziert werden — wird von den Mitgliedsländern aufgrund ihres Bruttonational-produktes aufgebracht, Österreichs Anteil lag 1980 bei 2,4 Prozent.

Bei Auftragsvergaben wird „ohne nationalen Proporz" (Kummer) die billigste akzeptable Lösung genommen, wovon etliche österreichische Firmen profitieren.

Wissenschaftlicher CERN-Partner in Österreich ist das 1966 gegründete Institut für Hochenergiephysik der österreichisehen Akademie der Wissenschaften. Hervorragende österreichische Forscher arbeiten in Genf.

Gegenstand der CERN-Forschung ist weniger die Kernphysik (sie endet bei Protonen und Neutronen, also den Partikeln des Atomkerns), sondern die Elementarteilchenphysik, die sich den Subteilchen dieser Partikel, den sogenannten „quarks", widmet.

Dazu kommt die Hochenergiephysik, welche die zur Zertrümmerung der Protonen und Neutronen erforderlichen Elementarteilchenbeschleuniger liefert.

Denn — so paradox es klingt—je kleinere Bestandteile der Materie man feststellen will, umso größere Anlagen, Maschinen und Energiemengen benötigt man. Letztere liegen bereits bei einem Vielfachen von einer Milliarde Elektronenvolt (= ein Gigaelektronen-volt = ein GeV). Zum Vergleich: die Energie eines Elektrons zwischen den Polen einer normalen Steckdose ist 220 eV.

Die erste Genf er Anlage war das PS (Protonensynchrotron), ein Röhrenring von 200 Meter Durchmesser, in dem — in einem Hochvakuum — Teilchen durch laufenden Anstoß von Spannungen beschleunigt und durch Magnetfelder auf einer Kreisbahn gehalten wurden.

Die nächste Stufe bildeten die sogenannten Speicherringe ISR (Intersecting Storage Rings), in denen Teilchen in gegenläufigen Bahnen beschleunigt und an bestimmten Stellen zum Aufeinandertreffen gebracht wurden.

Das 1976 in Betrieb genommene SPS (Super Proton Synchrotron) verfügt bereits über einen Durchmesser von 2,2 Kilometer und eine Beschleunigung auf 400 GeV. Hier lassen sich auch Protonen und Antiprotonen („Anti" bedeutet jeweils spiegelbildlich verkehrte Eigenschaften) mit jeweils 270 GeV Energie zur Kollision bringen, wobei neben bereits bekannten auch neuartige Teilchen, „intermediäre Bosonen", entstehen.

Die mit diesen Experimenten beschäftigte Gruppe des Italieners Rubbia gilt als nobelpreisverdächtig. Sie arbeitet an der Bestätigung der „Vereinigten Theorie der elektromagnetischen und schwachen Wechselwirkungen", einer Vereinigung, von der Einstein einst träumte.

Die Experimente in den CERN-Röhren, von zum Teil in Österreich erzeugten Detektoren registriert, haben nicht nur viele praktische Nebenwirkungen gehabt (etwa beim Bau von Farbfernsehern, öltankern, erschütterungsfreien Fahrzeugen), sie bringen auch die physikalische Theorie entscheidend weiter.

Prof. Kummer: „Die Schulwissenschaft ist der Meinung, daß wir einer Fundamentalgleichung der ganzen Welt sehr nahe sind." Diese Fundamentalgleichung wäre damit letztlich die Grundlage auch für Chemie und Leben.

Nächster Schritt dazu in Genf ist der Bau einer noch größeren Anlage - LEP (Large Electron Positron) — von 27 Kilometer Umfang in der als wesentliche Neuerung nicht Protonen, sondern Elektronen und ihre Antiteilchen (Positronen) beschleunigt werden sollen.

Dank CERN muß Europa auf diesem Forschungsgebiet den Vergleich mit den Supermächten nicht scheuen. Bernard Shaw, der geistreiche Spötter, hat den Erfolg von CERN wohl vorausgesehen, als er meinte: „Wir wissen über immer kleinere Dinge immer mehr. Bald werden wir alles über nichts wissen."

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