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Auf der Bühne nichts Neues

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Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ Bachs „Hohe Messe“ und zwei Orchesterkonzerte der Berliner Philharmoniker: Herbert von Karajan hat sich auch für diese Salzburger Osterspiele (Kosten: rund 26 Millionen Schilling) ein gewaltiges Pensum vorgenommen, das er in gewohnt sportiver Elastizität mit dem für ihn charakteristischen Totaleinsatz absolvierte. Künstlerisch haben diese Osterspiele allerdings nichts wesentlich Neues gebracht; hat sich doch an Karajans Art, Oper zu inszenieren, kaum etwas geändert.

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Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ Bachs „Hohe Messe“ und zwei Orchesterkonzerte der Berliner Philharmoniker: Herbert von Karajan hat sich auch für diese Salzburger Osterspiele (Kosten: rund 26 Millionen Schilling) ein gewaltiges Pensum vorgenommen, das er in gewohnt sportiver Elastizität mit dem für ihn charakteristischen Totaleinsatz absolvierte. Künstlerisch haben diese Osterspiele allerdings nichts wesentlich Neues gebracht; hat sich doch an Karajans Art, Oper zu inszenieren, kaum etwas geändert.

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Immer noch bestimmt die Leidenschaft für das veräußerlichte Monsterspektakel seinen Inszenierungsstil, immer noch erschöpft er sich in vordergründig-derbem Theater, in dem — in den „Meistersingern“ besonders störend — im Grund der Aspekt des Menschlichen viel zu kurz kommt. Statt menschliche Beziehungen zwischen Sachs, Eva, Stolzing und Beckmesser behutsam aufzubauen, zeigt Regisseur Karajan vorgegebene Verhältnisse: mehr oder minder schlecht geführte Klischeefiguren in altdeutscher Verkleidung, kalte Existenzen, die in der stellenweise oberflächlich vergagten Inszenierung kaum eine psychologische Linie erkennen lassen. Also wieder nur Klischees, wieder kein Wagner-Stil, wieder kein Wagner-Konzept; und dafür nur spektakuläre Mutwilligkeiten, die bloß einen Sinn haben; die innere Leere, die Armut an szenischer Spannung zu kaschieren.

Szene für Szene demonstriert Karajan, wie wenig ihm Optisches zur musikalischen Motiventwicklung einfällt, wie wenig Stil er zu entwik-keln vermag: in der Kirchenszene der Meister, in die Stolzing als ungezogener Playboy hineinplatzt, in den Sachs-Szenen des zweiten und dritten Aktes, die er mühsam in verkrampfter Bewegung hält, schließlich im FestwiesenibM, für das Salzburgs Bühne auf 55 Meter verbreitert wird, um nur ja ein Spektakel für Deutschlands Industrie von „rechtem deutschem Schrot und Korn“ auf die Bretter zu bringen ... Phantasieloser, optisch luxuriöser und dennoch derart unergiebig habe ich dieses Festwiesenbild noch nie gesehen.

Nicht minder enttäuschend ist das Sängerteam. Eine Wagner-Crew, die sich durch schöne Stimmen auszeichnet, es aber am Volumen und an der Kraft mangeln läßt. Dazu kommt noch, daß sie allesamt zwei Akte lang auf Sparflamme singen, um wenigstens im dritten stimmlich präsent ziu sein, und daß Karajan sie stellenweise hinter einem durchwegs zu laut und massiv geführten Orchester geradezu verkümmern läßt.

Rene Kollo, ein optisch bezaubernder Stolzing, singt sein Preislied mit weich-warmem Timbre und nobler Diktion; aber er hat sogar schon im Quintett in der Schusterstube Schwierigkeiten, durchzudringen. Wie soll er dann erst den ersten Akt bestehen? Gundula Janowitz singt ein farbloses Evchen; eine schöne Höhe und strahlende Spitzentöne entschädigen dafür kaum. Karl Ridderbusch als Hans Sachs: den Verzicht des großen, alten, weisen Mannes fühlbar zu machen, bleibt er schuldig. Flieder- und Wahnmonolog wünschte man sich intensiver, tiefgründiger gestaltet. Man vermißt die reiche Skala der Zwischentöne. Kerstin Meyer und Peter Schreier: ein verläßliches Paar Magdalena-David; Schreier lieferte die schönste Gesangsleistung des Abends. Louis Hendrikx war ein allzu verkrampft bemühter Pogner. Ein Sonderfall: der Beckmesser Gunther Leibs, hart karikierend als Darsteller, mit klarer Diktion, die einzige Figur, die so etwas wie einen Spielstil vorzeigte. Solide besetzte Nebenpartien, wohlstudierte Chorszenen.

Erfreulicher war Karajans Aufführung der „Hohen Messe“: hat er doch sein Verhältnis zu Bach in den letzten Jahren entscheidend revidiert So sparsam und diskret hat Karajan dieses Werk in dominierender Chor- wie in der Orchesterführung noch nie behandelt. Eine imponierende Wiedergabe, die bis in die Detailbehandlung immerhin eine überzeugende einheitliche Note hat — auch wenn nach wie vor Phrasie-rungen, dynamische Verhältnisse und Tempokontraste mehr der Musizierpraxis des Barocks angenähert werden könnten und manche Eigenheiten korrigiert werden sollten...

Man hätte dieser Wiedergabe nur ein besser ausgeglichenes Solistenteam gewünscht: denn außer den Höhepunkten, die Christc Ludwig mit ihrem samtig nachgedunkelten Agnus Dei und Peter Schreier im Benedictus bescherten, blieben die Solostellen flach und etwas aus-drucksarm. Elizabeth Harwood, Robert Kerns und Kart Ridderbusch haben offenbar zu Bach keine Beziehung; ganz abgesehen davon, daß manche Stellen ihrem Stimmaterial nicht liegen. Intensiv beteiligt war der von Helmut Froschauer sicher einstudierte Singyereiiu Ein Spnder^ lob verdienen die Bach-Trompeter Thiebaud, Gaudon und Mas von der Pariser Oper, der Flötist James Galway und der Sologeiger Thomas Brandis.

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