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Auf der Suche nach Wüstungen

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Erst Matthias Manders Roman „Wüstungen“ machte den Begriff populär. Für die Mittelalter-Archäologie in Niederösterreich sind Wüstungen längst kein ganz neues Thema mehr.

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Erst Matthias Manders Roman „Wüstungen“ machte den Begriff populär. Für die Mittelalter-Archäologie in Niederösterreich sind Wüstungen längst kein ganz neues Thema mehr.

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Mittelalter-Archäologen spüren in Niederösterreich verschollenen Siedlungen, den sogenannten Wüstungen, aus dem 11. bis 15, Jahrhundert nach und sind auch schon fündig geworden.

Geortet wurden nicht nur viele der 2.171 aus historischen Dokumenten bekannten Wüstungen, sondern auch eine Vielzahl von mittelalterlichen Siedlungen, die von der Bildfläche verschwunden sind und von denen man bisher keine Ahnung hatte.

Damit liefert eine verhältnismäßig neue Sparte der Archäologie wichtige Informationen, um das Bild einer in vielen Bereichen noch unerforschten Zeit zu vervollständigen.

Als Musterbeispiel einer mittelalterlichen Wüstung gilt Hard im nordöstlichen Waldviertel. Unter

der Leitung von Ordinarius Fritz Felgenhauer (Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien) wurden bisher neun der 16 zwei- bis dreiteiligen Häuser freigelegt. „Da es sich um Steinbauten handelt, sind die Mauern bis zu einer Höhe von eineinhalb Metern erhalten. Es lassen sich daher die Grundrisse und das Innere der Bauten noch gut erkennen“ (Felgenhauer). Neben einem Brunnen und einer Quellfassung entdeckte man einen guterhaltenen Backofen. Mit chemischen Methoden konnte man sogar die Lage der Stallungen orten.

Die Funde gehen bis ins zwölfte Jahrhundert zurück. Ein Großteil der Gebrauchsgegenstände war wahrscheinlich aus Holz, das sich nur unter günstigen Bedingungen, zum Beispiel in feuchten Lehmböden, hält. Eisen, das die Bevölkerung nur spärlich besaß, verrostet sehr rasch.

Es bedarf einer detektivischen Kleinarbeit, um bei der Wüstungssuche erfolgreich zu sein. Wenn die verschollenen Siedlungen, wie es bei Hard der Fall ist, auch aus historischen Urkunden oder Ortsnamenbüchern bekannt sind, sind die Angaben oft ungenau oder fehlerhaft. Vor dem er-

sten Spatenstich ist daher Geländeforschung die wesentlichste Vorarbeit.

„Wir suchen laufend freiwillige Mitarbeiter“, meint Felgenhauer, der auch Vorsitzender der Gesellschaft für Mittelalter-Archäologie ist, „sie werden natürlich mit den Bereichen der Bodenkunde, Geologie, Siedlungsgeographie und Morphologie vertraut gemacht, ehe sie auf Wüstungssuche geschickt werden.“

Einer der erfolgreichsten Hobby-Wüstungsforscher ist der pensionierte Mittelschullehrer Kurt Bors. Auf sein Konto geht eine Reihe .bedeutender Funde. Neben vielen namentlich bekannten Wüstungen hat er rund 80 verschollene Dörfer in Niederösterreich entdeckt, die vorher völlig unbekannt waren.

Bei der Suche geht er nach bestimmten Kriterien vor. Es hat sich gezeigt, daß sich Wüstungen meist nahe am Wasser, in Quellgebieten, an Nebenbächen oder in Flußschlingen befinden. Daneben geben Terrassen, Plateaus und

Altwege gute Hinweise. Wichtige Anhaltspunkte liefert die Siedlungslückentheorie. Die Ortschaften wurden nach einem ganz bestimmten Muster um eine Hauptsiedlung perlenartig angeordnet.

Auf der Karte ergeben sich daher konzentrische Kreise von Siedlungskammern. Aufgrund der immer gleichen Entfernung

der Orte voneinander läßt sich eine fehlende Siedlung relativ genau orten. Daneben können auch Bodenfarbe, Bewuchshöhe oder bestimmte Pflanzenarten Wüstungsanzeiger sein. Wenn man dann bei der Flurbegehung Keramikscherben, Lehmstücke, Bruchsteine oder gar Steinmörser findet, läßt sich auf einen potentiellen Wüstungsplatz schließen.

Das war in den meisten Fällen erfolgreich, freut sich Felgenhauer, „damit ist aber noch lange nicht alles getan, denn oft beginnt dann für Geographen und Historiker die Namenssuche. Durch eine genaue Datierung der Funde können wir wichtige Hinweise liefern.“

Als Hilfswissenschaft für Ländesgeschichte, Volkskunde, Geographie liefert die Mittelalter-Archäologie oft entscheidende In-

formationen, um Fragen, die aus historischen Quellen nicht geklärt werden können, zu beantworten. So zum Beispiel über die Wohnverhältnisse, die Lebensweise oder Werkzeuge und Geräte der einfachen Bevölkerung jener Zeit. Sie bietet die Grundlagen für die Haustypenforschung und klärt oft auch die Frage, ob eine Siedlung durch Seuchen, Uber-schwemmungen, Angriffe oder Uberbesiedlung zugrunde gegangen ist. Jeder dieser Gründe kann im Osten Österreichs im Einzelfall zutreffen. -

In den Alpenländern gibt es weit weniger Wüstungen. Reste von Einzelsiedlungen, deren vorwiegend aus Stein oder Holz bestehende Hanglagenhäuser, würde man heute kaum mehr finden. Und die wenigen an Pässen oder Verkehrsknoten gelegenen Ortschaften bestehen noch.

Es wird auch in Niederösterreich immer schwieriger, fündig zu werden: Straßenbau, Flußregulierungen, Siedlungsbauten und Drainagierungen erschweren die archäologische Arbeit.

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