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Auf einem Auge blind

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Bald nach dem Sieg über Hitler-Deutschland gingen die Kriegsalliierten auf Konfrontationskurs. Der Ost-West-Konflikt beherrscht die Welt bis heute. Wer ist schuld?

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Bald nach dem Sieg über Hitler-Deutschland gingen die Kriegsalliierten auf Konfrontationskurs. Der Ost-West-Konflikt beherrscht die Welt bis heute. Wer ist schuld?

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Während die internationale Geschichtsschreibung zum „post-re-visionistischen“ Stadium der Kal-ten-Kriegs-Geschichtsschrei-bung graduiert ist, in der die. Schuld am Ausbruch und Verlauf des Kalten Krieges auf beide Supermächte verteilt wird, versucht der junge Historiker Arno Ein-witschläger, den Revisionismus zu beleben, der in den USA in den sechziger Jahren Mode war und in dem der amerikanische Imperialismus alleinverantwortlich für die Teilung der Welt gemacht wurde.

In seinem Buch „Amerikanische Wirtschaftspolitik in Österreich 1945-1955“ legt Einwitschlä-ger wertvolles neues Material aus Washingtons Archiven vor. Sein Korrektiv zur gängigen Meinung, die Amerikaner hätten mit ihrer Wirtschaftshilfe nur altruistische Ziele verfochten, ist an der Zeit.

Das Beispiel der amerikanischen ölfirmen beweist, daß sie meist ihrem eigenen Vorteil bei den österreichischen Staatsvertragsverhandlungen huldigten. Der Rezensent ist beim Studium der englischen Akten zu ähnlichen Schlußfolgerungen über die britischen ölinteressen im Nachkriegsösterreich gelangt.

Einwitschlägefs Schlußfolgerungist hingegen kaum hieb- und stichfest: die amerikanischen Forderungen „waren im Gesamtkomplex der Staatsvertragsverhandlungen ein Faktor, dem zumindest eine den sowjetischen Ablöseforderungen gleichwertige Relevanz zukommt“.

Hätten die Sowjets Zugeständnisse im vielumstrittenen Artikel 35 (Deutsches Eigentum) gemacht und sich, sagen wir 1947, bereit erklärt, einen Vertrag zu unterzeichnen, so wären die Einsprüche von Standard Öil höchstwahrscheinlich von der amerikanischen Regierung im Interesse der Beendigung der österreichischen Okkupation übergangen worden.

Der junge Autor verstrickt sich öfters im Detail amerikanischer Memoranden und läßt den größeren Rahmen der Ereignisse in seinem Kalkül missen.

So behandelt er etwa den amerikanischen „Neutralisationsplan“ vom Herbst 1947, dessen Ziel es war, die sowjetischen USIA-Betriebe in Ostösterreich zu neutralisieren. Einwitschläger interpretiert den Plan als amerikanische Bereitschaft zum Wirtschaftskrieg. Der Neutralisationsplan ist aber, meines Erachtens, als Antwort auf den sowjetischen Wirtschaftskrieg zu sehen, der seit der Beschlagnahmung des „Deutschen Eigentums“ 1946 in Österreich tobte.

Die Lage wurde 1947 noch verschärft, als die Sowjets alles daransetzen, die österreichische Marshallplan-Teilnahme zu verhindern. Der Kreml zwang seine „Freunde“ im Osten, die Einladung zur Teilnahme abzulehnen. In Österreich hatte man aber auf die westlichen Besatzungsmächte Rücksicht zu nehmen und konnte daher die Regierung unter Leopold Figl nicht an der Teilnahme hindern.

Davon hört man bei Einwitschläger wenig.

Dem Beispiel neuerer deutscher Erklärungsversuche folgend, will Einwitschläger selbst im Marshallplan hauptsächlich amerikanische Eigeninteressen sehen. Solche mögen im großen Rahmen bestimmt mitgespielt haben.

Franz Nemschak, die „graue Eminenz“ des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung vor mehr als 30 Jahren, und neulich auch Felix Butschek in seiner österreichischen Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts legen aber überzeugend dar, wie außergewöhnlich entscheidend die eineinhalb Milliarden Dollar amerikanischer Wirtschaftshilfe für den österreichischen wirtschaftlichen Wiederaufbau waren.

Österreich als zukünftiger Markt dürfte in den amerikanischen Überlegungen nicht die entscheidende Rolle gespielt haben, wie es die Revisionisten sehen. Die Bewohner der Alpenrepublik haben pro Kopf beinahe 132 Dollar Marshallgelder erhalten (nur Norwegen erhielt mehr)! Es ist anzunehmen, daß hierfür strategische und politische Gründe weit mehr wogen als die wirtschaftlichen.

Einwitschläger zitiert ausführliche Memoranden, nicht selten solche von „Junior-Administratoren in der amerikanischen Okkupation.

Man hat den Eindruck, daß der Autor aus Papieren zitiert, die bei der Entscheidungsfindung Optionen vorlegten, danach aber zumeist in den Papierkorb (ins Archiv) wanderten.

Versucht sich der Autor einmal mit größeren Rahmenbedingungen, so etwa mit den innenpolitisehen Aspekten der amerikanischen Außenpolitik, kommt er zu absurden Schlüssen wie dem folgenden: „Die amerikanische Innenpolitik der zweiten Hälfte der vierziger Jahre ist durch das sukzessive Zurückdrängen der Linken innerhalb der Arbeiterbewegung und der Zerschlagung der kommunistischen Partei gekennzeichnet.“

Dies mag ein Aspekt gewesen sein, aber man täte der Präsidentschaft Harry S. Truman's unrecht, sie auf Kommunistenfresserei zu reduzieren.

Vieles ist in diesem Buch unverdaut und unzusammenhängend. Das ist vor allem wegen des vorgelegten, ansonst schwer zugänglichen Archivmaterials schade. Man wird den Eindruck nicht los, daß diese Dissertation voreilig veröffentlicht wurde. Breiteres Studium der Sekundärliteratur hätte wahrscheinlich zu einem ausgewogeneren Bild geführt.

AMERIKANISCHE WIRTSCHAFTSPOLITIK IN OSTERREICH 1945-1949. Von Arno Einwitschläger. Hermann Böhlaus Nachf., Wien 1986. 206 Seiten, Pb., öS 320,-.

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