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Auf Gräbern kleine Steine

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Vierundvierzig wieder aufgerichtete Grabsteine zeugen vor dem Hintergrund einer frisch verputzten Mauer in Schönbrunnergelb von jüdischen Menschen, die einst Blau, Kohn oder Schiller geheißen und als Wein-, Vieh- und Altwarenhändler, als kleine Greißler, Schneider und Schuster in und um Oberstockstall bei Kirchberg

am Wagram in Niederösterreich mit ihren Familien gewohnt haben. Alle Grabhügel sind ebenso wie das unbelegt gebliebene Areal des an der Straße von Kirchberg nach Ruppertsthal in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichteten Friedhofes neuerdings gerodet. Denn der in den vergangenen Jahrzehnten mehrmals zerstörte jüdische Friedhof, auf dem vandalisti-sche Rassisten Steine zertrümmert und Grüfte erbrochen hatten, wurde im Rahmen des Projektes der „Aktion 8.000“ des Arbeitsamtes Nieder Österreich saniert.

Finanzielle Unterstützung leisteten die örtliche Gemeinde und die Israelitische Kultusgemeinde. Als Projektträger wirkte der Verein „Kultur im Alltag“, bestehend aus Wissenschaftlern der Fächer Zeitgeschichte und Judaistik.

Anstoß für die Restaurierung dieses Friedhofes, den seit 1938 niemand mehr betreut hatte, weil die Angehörigen der Toten entweder 1938 emigriert oder in den Vernichtungslagern umgekommen waren, bildetedas Bedenkjahr 1988. Damals vermittelte das Landesarbeitsamt Niederösterreich Langzeitarbeitslose an 14 von 26 noch existierende, aber desolate jüdische Friedhöfe und schuf 44. neue Arbeitsplätze.Mitarbeiter(innen) des Vereins „Kultur im Alltag“ übernahmen auch die wissenschaftliche Erforschung der lokalen jüdischen Geschichte und versuchten, die Bevölkerung und die restaurierenden Arbeiter mit der Geschichte und der jüdischen Tradition vertraut zu machen.

Laut Volkszählung von 1934 lebten in Niederösterreich 7.716 Menschen, die sich zur mosaischen Religion bekannten. Im 15. Jahrhundert waren es bloß wenige. Hatte man doch 1420 alle Juden unter dem Vorwurf, sie sympathisierten mit den Hussiten, gefangen genommen. Die ärmeren hatte man in ein ruderloses Boot gesetzt und nach Preßburg verfrachtet, die reicheren gefoltert. Da man ihnen die Ausübung einer Reihe von Berufen verboten hatte, waren sie zumeist Geldverleiher und Pfandleiher, Ärzte und Apotheker gewesen.

Erst im 19. Jahrhundert ließen sich wieder mehr Juden in Niederösterreich nieder. So entstanden unter Kaiser Franz Joseph neue Synagogen und jüdische Friedhöfe. 1938 gab es in Niederösterreich 15 israelitische Kultusgemeinden sowie zahlreiche israelitische Bet-und Wohltätigkeitsvereine. Bei der Volkszählung von 19 81 nannten nur noch 234 Niederösterreicher mosaisch als Glaubensbekenntnis. In Niederösterreich gibt es keine eigene Kultusgemeinde mehr, das Gebiet gehört zur Kultusgemeinde Wien. Diese ist - ebenso wie das schlecht dotierte Bundesdenkmal-amt - überfordert, für die Instandhaltung der jüdischen Friedhöfe aufzukommen. Bislang fand sich auch niemand, der gemäß alter jüdischer Tradition als Zeichen des Gedenkens an die Toten hin und wieder kleine Steine auf die Gräber gelegt hätte.

Am jüdischen Friedhof am Kremser Stadtrand ist auch ein Gedenkstein für einen 20jährigen Leutnant, der 1916 in Wolhynien „für Kaiser, Volk und Vaterland“ gefallen war. Die Zeit ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Die Inschrift, teils in Blockbuchstaben, teils in hebräischer Schrift, ist verblaßt, der Sockel schadhaft. Da sich auch das Denkmalamt für die Erhaltung dieses Friedhofes ausgesprochen hat, besteht die Aussicht, daß die Begräbnisstätte sachgemäß restauriert wird. Die verfallende Friedhofsmauer wird von Schülern und Schülerinnen der HTL Krems während ihres obligaten Praktikums saniert.

In Stockerau hingegen, wo einer der besterhaltenen jüdischen Friedhöfe Niederösterreichs liegt, fehlt nach wie vor die hintere Seite der Umzäunung. Die Stadtgemeinde hat nun die Kosten für die komplette Instandsetzung übernommen und sorgt auch für die kontinuierliche Betreuung der Gräber.

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