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Auf hinteren Plätzen

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Ohne Wenn und Aber ratifizierten die sozialistischen Länder die Internationalen Pakte über bürgerliche und politische sowie wirtschaftliche und soziale Rechte vom 19.12.1966, während westliche Demokratien Vorbehalte bei bestimmten, in ihren Rechtsordnungen nicht ohne weiteres vorgesehenen Rechtsgarantien anmeldeten.

Werden die Menschenrechte in den kommunistischen Ländern also eher gewährleistet als bei uns im Westen?

Tägliche Meldungen über Fälle unterdrückter Meinungsfreiheit und über religiös Verfolgte, zum Beispiel in der Sowjetunion, sprechen eine andere Sprache. Und

doch behaupten die Führer des Ostblocks, die Menschenrechte sogar noch konsequenter durchzusetzen als die westlichen Demokratien.

Wir mit unserem „gesunden Menschenverstand“ sehen einen Widerspruch zwischen Reden und Handeln der Ostblockführer, zwischen ihrer öffentlichen Zustimmung zu Menschenrechtsvereinbarungen und dem Außerkraftsetzen eben dieser Rechte.

Bei dessen Auflösung müssen wir aber bedenken, daß wir es bei den kommunistischen Ländern nicht mit auf Vernunft begründeten Staatswesen, sondern mit der Manifestation einer Ideologie zu tun haben. Für sie ist die „Klasse“, der Staat oder das Kollektiv alles, das Individuum hingegen nichts. Durch die Brille dieser Ideologie betrachtet, erhalten die Menschenrechte eine andere Bedeutung und einen anderen Stellenwert als für uns.

Der Westen sieht in den Menschenrechten bestimmte Grundrechte, die jedem einzelnen in der Gemeinschaft zustehen und die staatlicher Herrschaft Schranken setzen.

So stellt der „Bürgerrechtspakt“ von 1966 einen Katalog von Maßnahmen dar, die der Staat zur Verwirklichung individueller

Freiheit für seine Bürger zu unterlassen hat.

Der „Sozialrechtspakt“ hingegen bezieht sich auf die soziale Sicherheit, die der Staat durch geeignete Maßnahmen erst schaffen soll.

Diese „sozialen Rechte“ werden isoliert zur Rechtfertigung einseitiger Menschenrechtsauffassungen mißbraucht - etwa, wenn der Osten unter Hinweis auf die Arbeitslosigkeit im Westen darauf verweist, er habe das „Recht auf Arbeit“ voll realisiert, wobei er — aus gutem Grund — verschweigt, wie er es mit den politischen Rechten seiner Bürger hält. Dabei ist doch gerade die Erfüllung der Bürgerrechte eine Voraussetzung der sozialen Rechte!

Da der Staat beziehungsweise die ihn tragende Partei aber einen absoluten Herrschaftsanspruch für sich reklamiert, sind alle Rechte des einzelnen von sekundärer Bedeutung.

Für dieses Verweisen der Menschenrechte auf die hinteren Plätze der Prioritätenliste haben die kommunistischen Ideologen Begründungen parat, die wir allerdings als zynisch oder heuchlerisch empfinden.

Im übrigen verspreche die Ideologie ja für die (ferne) Zukunft einen Zustand völliger Herrschaftsfreiheit, der die Menschenrechte mehr als erfülle, nämlich sie überflüssig mache; dafür sei es aber leider nötig, sie bis dahin, also vielleicht über Hunderte von Jahren, zu unterdrücken — meinen die Ideologen.

Diese Außerkraftsetzung der persönlichen Freiheiten sei unverzichtbar, weil die Menschen sonst auch politische Freiheiten beanspruchen könnten, was wiederum dazu führen könnte, daß sie den absoluten Herrschaftsanspruch der Partei in Zweifel zu ziehen bereit sein würden.

Die kommunistische Ideologie instrumentalisiert die Menschenrechte und verrät sie damit als „politisches Ethos“; sie läuft darauf hinaus, den Menschen der Menschenrechte zu berauben, da die Souveränität der Partei- und Staatsführung ihre Verwirklichung ausschließt.

Der Autor ist Mitarbeiter der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt.

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