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Digital In Arbeit

Auf jeden Arbeitslosen drei offene Stellen

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Die Vorarlberger Wirtschaftsstruktur ist gekennzeichnet durch einen gegenüber dem österreichischen Durchschnitt unterentwickelten landwirtschaftlichen Bereich und einen ebenfalls unterdurchschnittlich ausgeprägten Dienstleistungssektor. Uberdurchschnittlich entwickelt ist dagegen der produzierende Bereich, also die Industrie und das Gewerbe.

Die Tatsache, daß die Industrie in Vorarlberg stark dominiert, hat sich bis zu Beginn der siebziger Jahre außerordentlich günstig auf die Lohn- und Einkommensentwicklung, die Produktivität und die Beschäftigung ausgewirkt. Der Vorarlberger Wirtschaftsraum wurde sehr attraktiv, denken wir nur daran, wieviele Arbeitnehmer aus anderen Bundesländern nach Vorarlberg kamen, um hier zu leben und zu arbei-

„Deshalb reagiert die Vorarlberger Wirtschaft äußerst sensibel auf Konjunkturschwankungen“

ten. Dabei spielte die starke Exportorientierung der Vorarlberger Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Sie brachte unsere Wirtschaft nahe an die internationale Konjunktur und mitten hinein in die internationalen Wettbewerbsbedingungen.

Deshalb reagiert die Vorarlberger Wirtschaft äußerst sensibel auf Veränderungen der Wirtschaftspolitik und auf Konjunkturschwankungen. Nicht umsonst hat sich Vorarlberg zu

einem Konjunkturbarometer für das gesamte Bundesgebiet entwickelt. So konnte Vorarlberg in Zeiten der Hochkonjunktur und des Wirtschaftswachstums den Aufschwung schnell und direkt mitmachen, was einerseits Wohlstand sowie Lohn-und Einkommensvorteile gebracht hat, anderseits wirken die Ab-schwungphasen stärker, weil wir sie unmittelbarer und direkter erleben.

Aus internationaler Sicht besteht die Vorarlberger Wirtschaft aus Klein- und Mittelbetrieben. Auf dieses Strukturmerkmal muß besonders hingewiesen werden, weil es gerade für die Sicherung der Arbeitsplätze wichtig sein wird, die Vorteile, die sich daraus ergeben, zu nützen und auszubauen, anderseits die Schwächen nicht allzu wirksam werden zu lassen. Die Vorteile hegen sicher in der Fähigkeit der kleineren betrieblichen Einheiten, auf veränderte Marktbedingungen besonders rasch und flexibel reagieren zu können.

Über 50 Prozent des Bruttoproduktionswertes der Industrie entfallen in den Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie. Vielfach wurde dieser starke Anteil der Textilindustrie an der Gesamtwirtschaft als besonderes Strukturproblem Vorarlbergs bezeichnet. Dabei hat jedoch gerade die jüngste Konjunkturkrise gezeigt, daß die Textilindustrie in Vorarlberg weit widerstandsfähiger ist als im übrigen Österreich.

Das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung führt dies auf die Fähigkeit der Vorarlberger Textilindustrie zurück, Mode- und Entwicklungstrends besonders rasch zu erfassen und mit neuen Produkten diesen Trends zu folgen. Außerdem

hat sich in den letzten Jahren - ohne größeres Aufsehen - ein zum Teil beträchtlicher Strukturwandel vollzogen. Der Anteil der Textilindustrie an der Gesamtwirtschaft ging in 5 Jahren von 24,5 auf 20 Prozent zurück.

Es erfolgte somit eine natürliche Strukturbereinigung, die in erster Linie durch die Ansiedlung neuer Betriebe sowie die Ausweitung vorhandener nichttextiler Sparten bedingt war. Es wurden vor allem Arbeitsplätze im metallverarbeitenden Sektor geschaffen, ohne daß die Zahl der Arbeitsplätze in der Textilindustrie reduziert wurde.

Viele Vorarlberger Betriebe gehören dem exponierten Sektor an. Dies bedeutet, daß eine große Anzahl Vorarlberger Firmen starker internationaler Konkurrenz ausgesetzt ist und in den meisten Fällen mit vorgegebenen Absatzpreisen rechnen muß. Damit hegt der unternehmerische Spielraum zur Hauptsache in der rationelleren Produktion und weniger in der Preisgestaltung. Umgekehrt bewirkt diese Nähe zum internatio-

„Vier arbeitslos gemeldeten Jugendlichen standen über 100 offene Stellen gegenüber“

nalen Wettbewerb einen für die Sicherung der Arbeitsplätze entscheidenden Effekt.

In der harten Auseinandersetzung um den ausländischen Markt kann nur der bestehen, der in Qualität, Preis und Service mithalten kann. Dies erfordert eine laufende Anpassung an technische, modische und wirtschaftliche Entwicklungen. Diese Flexibilität und Dynamik, zu der kreative und engagierte Mitarbeiter wesentlich beitragen, ist in der Vorarlberger Wirtschaft in sehr starkem Maße enthalten und sie ist eine der Hauptstützen in der Sicherung der Arbeitsplätze.

Die Lage auf dem Vorarlberger Arbeitsmarkt ist dadurch gekennzeichnet, daß es kaum Beschäftigungsprobleme gibt. Wir haben alle Schulabgänger, die eine Lehrstelle suchten - etwas über 2500 - untergebracht. Ende Dezember 1978 waren 629 Personen bei den Arbeitsämtern als Arbeitslose gemeldet. Dieser Arbeitslosenzahl standen 1711 offene Stellen gegenüber, so, daß fast drei offene Stellen auf jeden Arbeitslosen kamen. Auch bei den Jugendlichen ist die Bilanz erfreulich. Vier arbeitslos gemeldeten Jugendlichen standen über 100 offene Stellen gegenüber. Der Lehrstellenmarkt zeigte vier Lehrstellensuchende und 199 offene Lehrstellen.

Die Entwicklung auf dem Vorarlberger Arbeitsmarkt ist von der Tendenz begleitet, daß das Angebot an inländischen Arbeitskräften zunehmen wird. Man rechnet allgemein damit, daß in den nächsten 5 Jahren die Arbeitsbevölkerung um jährlich 3000 wachsen wird. Diese Angebotssteigerung setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: Zahlenmäßig schwache Jahrgänge gehen in Pension, geburtenstarke Jahrgänge treten in das Erwerbsleben ein und tendenziell dürfte mit einem Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit zu rechnen sein.

Wir stehen-somit vor der Aufgabe, in den nächsten Jahren zusätzliche Arbeitsplätze bereitzustellen. Es ist uns gelungen, ähnliche Probleme in der Vereaneenheit zu bewältigen.

Heute stehen wir erstmals vor der Tatsache, daß das Arbeitskräfteangebot auf Grund der inländischen Steigerung wächst. Daraus ergeben sich einerseits Chancen, anderseits Probleme für den Vorarlberger Arbeitsmarkt. Die Chancen liegen darin, daß der Vorarlberger Wirtschaft künftig mehr und besser ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfügung

stehen werden. Das Argument von früher, der niedrige Ausbildungsstand verhindere eine Umstrukturierung zu höherwertigen Produkten wird sicher nicht mehr gelten.

Anderseits können sich aus der Zunahme der Arbeitsbevölkerung spezielle Arbeitsprobleme ergeben. Nach langen Jahren der Stagnation hat Vorarlberg in der Ausbildungsentwicklung aufgeholt. Erstmals erreichen wir die österreichischen Durchschnittswerte an Absolventen mittlerer und höherer Schulen.

Dadurch kann es zu einem Ungleichgewicht zwischen dem Ausbildungsniveau der ins Erwerbsleben Eintretenden und den Anforderungen der Berufswelt kommen. So haben bereits bisher viele Absolventen von höheren Schulen und Universitäten ihren Arbeitsplatz im Ausland gefunden. Der Grund lag und hegt heute noch darin, daß Vorarlberg als kleines Land nie die gesamte Breite der Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten kann.

Wir haben einen unterentwickelten Dienstleistungsbereich, der ja erfahrungsgemäß viele qualifizierte Arbeitsplätze anbieten kann. Dies kommt daher, daß die meisten Dienststellen des Bundes ihren Sitz in Wien haben und viele Dienstleistungsunternehmen in der Folge ihre Verwaltungszentralen in der Bundeshauptstadt ansiedelten. Wir haben keine Universität und nicht das große finanzkräftige Einzugsgebiet, das beispielsweise für die Ansiedlung größerer Banken und Versicherungskonzerne notwendig wäre.

Ob es uns gelingt, die erforderlichen zusätzlichen qualifizierten Arbeitsplätze zu schaffen, wird nicht zuletzt von der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Wenn es uns mittel- und langfristig gelingt, eine Wachstumsrate von drei bis vier Prozent zu erreichen, wird es möglich sein, die Beschäftigungsprobleme zu lösen. Vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung wurde vor kurzem eine Studie über die Ent-

wicklung des Arbeitsmarktes in den Bundesländern bis zum Jahre 1991 veröffentlicht.

Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, daß bei einem Wirtschaftswachstum von 3,5 bis 4 Prozent die westlichen Bundesländer und Wien auch in Zukunft auf eine gewisse Zuwanderung angewiesen sein werden, um den Arbeitskräftebedarf zu decken. Diese Zuwanderung würde aus den übrigen Bundesländern, insbesondere aus Oberösterreich, Kärnten und der Steiermark, erwartet. Sollte diese Binnenzuwanderung nicht eintreten, würde sich eine Lok-kerung der restriktiven Ausländerbeschäftigungspolitik als Lösung anbieten.

Der hohe Industrieanteil in der Vorarlberger Wirtschaft und die relativ hohe Hilfsarbeiterquote legen es nahe, bei betrieblichen Neugrün-

„ ... bei betrieblichen Neugründungen vor allem auf die Qualifizierung des Arbeitsplatzangebotes achten“

düngen vor allem auf die Qualifizierung des Arbeitsplatzangebotes zu achten. Außerdem wird zu prüfen sein, inwieweit wir den Import höherer Dienstleistungen, beispielsweise in Form von Beratungen, wissenschaftlichen Untersuchungen oder Musterkollektionen durch eigene Leistungen substituieren können.

Das Arbeitskräfteangebot wird in Vorarlberg zunehmen, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß am Arbeitsplatz ein Qualifikationsproblem entsteht. Die Lösung eines solchen Probelms erfordert Flexibilität von der Wirtschaft indem sie sich diesen Gegebenheiten anpaßt und auch von den Arbeitnehmern, die sich in ihren Berufs- und Arbeitsplatzentscheidungen möglichst flexibel und mobil verhalten sollten.

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