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Auf kahlen Brettern

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Berlin lud ein: zum 16. Kongreß des internationalen Theaterinstitutes in der UNESCO, an dem sich Fachleute aus 49 Ländern beteiligten: zu einem internationalen Musiktheater-Collo-quium und zum 12. Theatertreffen, das „bemerkenswerte'“ Inszenierungen des Jahres aus dem deutschsprachigen Raum präsentierte. Vergleicht man allerdings die Liste der Werke, die zur Diskussion standen (so „Die Jagdgesellschaft“ und „Trilogie der Sommerfrische“ des Wiener Burgtheaters und „Warten auf Godot“ vom Berliner Schiller-Theater) mit der Reihe der endgültigen gewählten Werke, die eine zehnköpfige Jury als „bemerkenswert“ erachtete, so schleichen sich insgeheim leise Zweifel an der Kompetenz dieser Sachverständigen ein.

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Berlin lud ein: zum 16. Kongreß des internationalen Theaterinstitutes in der UNESCO, an dem sich Fachleute aus 49 Ländern beteiligten: zu einem internationalen Musiktheater-Collo-quium und zum 12. Theatertreffen, das „bemerkenswerte'“ Inszenierungen des Jahres aus dem deutschsprachigen Raum präsentierte. Vergleicht man allerdings die Liste der Werke, die zur Diskussion standen (so „Die Jagdgesellschaft“ und „Trilogie der Sommerfrische“ des Wiener Burgtheaters und „Warten auf Godot“ vom Berliner Schiller-Theater) mit der Reihe der endgültigen gewählten Werke, die eine zehnköpfige Jury als „bemerkenswert“ erachtete, so schleichen sich insgeheim leise Zweifel an der Kompetenz dieser Sachverständigen ein.

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Henning Rischbieters Eröffnungsrede kündigte — mit zwei Ausnahmen — durchwegs nackte Bretter, also kulissenloses Spiel, an und ließ Böses ahnen. Daß sich trotzdem in solchem Rahmen lebendiges Theater veranstalten läßt, bewies Hansjörg Utzerath mit dem Team des Düsseldorfer Schauspielhauses an Hand einer turbulenten Inszenierung der „Dreigroschenoper“. Die sich zu Beginn im Parkett prügelnden und mit zerbeulten Hüten absammelnden Bettler wirkten auf die verblüfft geldspendenden Zuschauer ebenso echt wie die Staffage des Bühnenpublikums, das sich zum Schluß als agierende Statisterie erwies. Wie Utzerath die leere Spielfläche in Windeseile mit Stilmöbeln, Festtafel, Prunkbett und Fetzendraperien belebte (Ausstattung: Karl KneidV), das grenzte an Hexerei. Dazu hielt er uns mit seinen“ Allerweltstypen in Bürgermaske, losgelöst von schwelgerischem Operettensingsang vertrauter Melodien einen fast brutalen

Zeitspiegel vor, bewies ferner, daß ein solides Ensembletheater den Mangel profilierter Starleistungen vollends wettzumachen imstande ist. Für die etwas zu brav geratenen Puffdamen im Höheren-Töchter-Look entschädigte Jenny Luttermann als Mutter Peachum, bei den Herren überragte Franz Boehms „Tiger Brown“ den unterspielenden Mackie Wolf gang Pampels vor allem in der köstlichen Szene, da ein Polizeichef im Smoking eine herrlich vornehm tuende Gangsterparty mit seiner zwielichtigen Anwesenheit beehrt.

Eine gehörige Lektion in Lebensleere und Bla-Bla-Gewäsch erteilte am nächsten Tag Alfred Kirchner mit den Solisten des Württembergischen Staatstheaters Stuttgart, die eine Collage aus Ionescus „Die kahle Sängerin“ mit Clownseinlagen zum besten gaben. Eine glänzende Idee, nach dem Kleinbürgertratsch zweier Ehepaare hinter ihrem kargen Zimmer den Vorhang zu heben und nun die Welt der Clowns mit vollendeten

Zirkusblödeleien, Groteske, Tölpelkomik einbrechen zu lassen, um so den aufgegriffenen Faden weiter-zuspinnen. Kirsten Dene und den Herren Sattmann, Grill und Schütz höchstes Lob für artistische Wendigkeit, Alfred Kirchner jedoch für seine Parallelsetzung einer hohlen Gesellschaft mit der Welt des „Dummen August“.

Elegische Poesie, morbide Fadesse auf einer russischen Datscha im Birkenwald beschwor Peter Stein in der „Schaubühne“ mit Gorkis „Sommergästen“. An transparenter Schönheit, an Duft (nicht nur des bis in die Zuschauerreihen stinkenden echten Morastbodens) und Stimmung ist seine dreieinhalbstündige Interpretation zwischen trüben Windlichtern, Sonnenuntergang, Vogelgezwitscher, Axtschlägen und unheimlicher Geräuschkulisse, begleitet von permanentem feinen Klaviergeklimper der gelangweilten russischen Damen auf der Veranda kaum zu überbieten. Seine detaillierte Realistik, mit der er sich um Gorkis Emanzipationsversuch als Aufbegehren zweier Frauen gegen eine existente Männerherrschaft bemüht, das Ausspielen aller Nuancen zwischen Verzweiflung, Abscheu und Hysterie besticht zunächst in den leisen Tönen und in der fast übertriebenen Stagnation einer ohnedies nur kargen Handlung. Im Verlauf des Abends jedoch enerviert das konstante Flüstern selbst so empfindungsstarker Akteure, wie Edith Clever, Jutta Lampe, Bruno Ganz, Michael König und Rüdiger Hacker — um nur einige Namen des durchwegs homogenen Ensembles zu nennen. Bei aller Bewunderung für Stein und seine Künstler, diese aparten Außenseiter in bezug auf Werkwahl und Interpretation, sollte doch einmal sachlich festgestellt werden, daß es sich bei ihnen um — allerdings hochbegabte — Dilettanten handelt, die bei aller Intensität nicht über den Mangel an handwerklichem Rüstzeug — gemeint ist hier die vollendete Beherrschung einer in allen Ausdrucksstarken vernehmbaren Sprechkultur — hinwegtäuschen können.

Trotz der Straffung, die Botho Strauß und Peter Stein der Gorki-Fassung von 1904 angedeihen ließen, besitzt das Werk in der Verlängerung durch die letzte Szene, die eine bereits abgeschlossene Dramatik weder anheizt, noch in neue überraschende Bahnen lenkt, seine entscheidende dramaturgische Schwäche. Aber die fast kultische Verehrung, die ein auffallend „gutes“ Publikum zur Zeit Peter Stein entgegenbringt, gepaart immerhin mit dem Reiz des Außerordentlichen, das er allabendlich zelebriert, ist allein schon „bemerkenswert“.

Nach diesen Höhepunkten aber ging's bergab. In einem wahllosen Möbelarrangement, zwischen grellen Scheinwerfern, begleitet von grotesk stelzenden Geigern, ließ der spanische Regisseur Augusto Fernandez Garcia Lorcas „Dna Rosita“ mit Hannelore Hoger inmitten ihres Bochumer Ensembles sanft verblühen. Die Liebesszenen, in Operettenmanier gesungen, atmeten Edelkitsch, wie überhaupt Lorcas Sprache in neuer Übersetzung (Enrique Beck) gänzlich undramatisch den anfangs noch poetisch anmutenden Abend zerdehnte.

Desto wilder und ordinärer polterten die gleichen Schauspieler unter Peter Zadeks respektloser Regie im „König Lear“ als Zirkusclowns, in grellen Fetzen, Ballettröckchen oder als Uncle Sam mit sternbeklebtem Zylinder, meilenweit von Shakespeare entfernt, tags darauf über die kahle Bühne, tobten durch den Zuschauerraum und boten übelste Klamotte im Pawlatschenstil. Der „zeitnahe“ Jargon erging sich In vulgärsten Dialogen. Als Lear, dieser stumpfe, monotone, halbnackte, schwammige Ulrich Wildgruber (viel zu jung übrigens!) seinen Irrsinn mit den Worten „Rülpst, kotzt Feuer, pißt Regen“ in die Menge schleuderte und schrie: „Mein Verstand fängt an, sich zu drehen“ antwortete es aus dem Zuschauerraum: „Nicht nur deiner!“ —■ Und damit war der Abend beim Teufel.

Offensichtlich wollte Peter Zadek mit einer lahmen „Wildente“ (Ibsen) sein empörtes Publikum wieder versöhnen. Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg entsandte zwar in Eva

Mattes eine sanfte, herzlich naive Hedwig, in Werner Hinz einen glaubwürdigen, halsstarrigen Werle und in Hans Mahnke einen skurrilen alten Ekdal, aber die Hauptfigur, Hjalmar Ekdal, erfuhr in Ulrich Wildgruber eine ebenso monotone Wiedergabe, glanzlos und „beiseite“-gespielt, wie dessen Lear am Vortag bereits angelegt war.

Wer Gelegenheit hatte, zur gleichen Zeit in Ost-Berlins Volksbühne KargelLanghoffs Inszenierung der „Wildente“ sehen zu können — die Aufführung wird zum ostdeutschen Theaterfestival in Warschau gezeigt — bekam in einem Alptraum aus gewächshausartigem Wintergarten und Plüschmobiliar mit gehetzten, überdrehten, verschrobenen und versoffenen Menschentypen allerdings einen Eindruck davon, wieviel geballte Sinnlichkeit und Verstörtheit doch diesem Werk innewohnt.

Wer des offiziellen Theatertreffens und der damit verbundenen Ärgernisse müde war, tat gut daran, sich im Berliner Schiller-Theater Bek-ketts Eigeninszenierung „Warten auf Godot“ anzusehen. Die Herren Bollmann, Wigger, Herrn und Raddatz boten eine faszinierende, bis ins Detail sensibilisierte Studie dieser hintergründigen Farce der Ausgesetztheit, der existentiellen Verlorenheit.

Auch Slawomir Mrozek fand im Schloßparktheater in Stefan Wigger und Georg Corten zwei starke Interpreten, die unter Günther Krämers Führung beklemmende „Emigranten“ hautnah verlebendigten. Der Intellektuelle und der getretene Gastarbeiter, Fluch, Lebenslüge, Bei-nahe-Mord und Katzenjammer einer Silvesternacht im Armenasyl, durchzogen von einer kühlen, brillant dialogisierten Spräche, die Mrozek in allen Skalen beherrscht.

Markante Frauengestalten gab es „Auf dem Cimborazo“ von Tankred Dorst in Marianne Hoppe, Johanna Hofer und Jutta Auerbach zu bewundern. Vor allem Marianne Hoppes atemberaubende Redseligkeit wertete die schwache Familientragikomödie in einem Wald nahe der Zonengrenze auf.

Grenze, Existenznot, Heimweh, Verzweiflung sind die bevorzugten Themen der großen Berliner Bühnen, die in der zweigeteilten Stadt ihre von einem aufgeschlossenen Publikum besonders verstandene Berechtigung haben.

Hätte nicht Rudolf Noelte mit Molieres „Menschenfeind“ in Jürgen Roses zauberhaftem barocken Bühnengemälde, mit dem unvergleichlichen Will Quadflieg und der erstaunlich gereiften Johanna Liebeneiner in seinem Hamburger Gastspiel dem Theatertreffen noch einen versöhnlichen Abschluß geboten, hätte er nicht süffisantes, lächerlichkostbares Bühnenspiel, Kunst und Künstlichkeit zwischen Lusterglanz und mattem Morgenlicht schwebend, voll sanfter Wehmut heraufbeschworen, das Mißvergnügen an einem Gutteil dieses Theaterfestes wäre „bemerkenswert“ gewesen.

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