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Auf kuriosen Wegen

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Wie Hermann Lenz zu Peter Handke kam: Es war umgekehrt. Der damals, 1973, sechzigjährige Hermann Lenz, in der Mansarde des Elternhauses unentwegt Buch um Buch schreibend, gedruckt, aber kaum beachtet, für dreihundert Mark als Sekretär eines Schriftstellerverbandes dienend (nicht viel besser

als ein Diener behandelt) - er wäre nie auf die Idee gekommen, sich an den um dreißig Jahre jüngeren, jäh berühmt gewordenen Österreicher Peter Handke zu wenden.

Lenz erfuhr, daß ein Interview mit Handke zu hören gewesen sei; der war gefragt worden, „ob er unter den zeitgenössischen Schriftstellern einen wisse, dessen Arbeiten ihm gefielen. — ,Ich weiß schon einen, aber den kennen Sie nicht'“, habe Handke geantwortet und den Namen des alternden Stuttgarters genannt. „a, sapperlot! Ein junger Dichter, der einen alten Autor kannte, von dem niemand redete! Und der

Alte saß am Tisch und aß ein kerniges Siedfleisch, das in Osterreich Tafelspitz hieß.“ So auf Seite 255 des Romans „Seltsamer Abschied“ von Hermann Lenz.

Siebenter Band (jeder in sich geschlossen) der Autobiografie des 1913 Geborenen; sie ist als Zeitgeschichte konzipiert. Zwar sind auch seine anderen Erzählungen '(seit*1947) aus persönlicher Sicht geschrieben, aber 1966 begann er die genaue Zeit-, Ortsund Ich-Saga, und der neueste Teü ist knapp nach seinem 75. Geburtstag am 26. Februar herausgekommen.

„Verlassene Zimmer“ machten den Anfang, beruhten auf Mitteilungen der Eltern, reichten in die Ära vor 1914 und erklärten die Vorbedingungen, aus denen der Lehrerssohn das wurde, was er ist: nach Kindheit und Studentenjahren, dann Soldat im Kriege und Gefangener in den USA,

nachher schreibender Ehemann, der weniger verdient als seine Frau als Verlagslektorin. Er galt als ungeschickt, die Geschickten behandelten ihn von oben herab, er berichtet das in allen Einzelheiten und beendet solche Anekdoten stereotyp mit seinem „aber das macht nichts“. Auch das andere Lieblingswort, „kurios!“, ist kein Klischee: Er wundert sich wirklich über die Wirklichkeit und macht sich nichts daraus.

Hermann Lenz schildert Land und Leute detailliert, wie Adalbert Stifter, und kam auf Österreich schwärmend zu sprechen, lange bevor er zum erstenmal Wien besucht hatte. „Kurios“, daß er schließlich von einem jungen Österreicher „entdeckt“ wurde — in einem kritischen Moment. Er war entlassen, sein Verlag liquidiert, die Mutter gestorben, und die Schwester bestand auf den Verkauf des Hauses. Peter Hand-

ke suchte den Hüflosen auf, half bei der Suche nach einem Verleger und daß des Dichters „Seltsamer Abschied“ von Stuttgart erleichtert wurde.

Namen verändert Lenz (tritt als Eugen Rapp auf, der einen erfolgreichen Namensvetter mit Vornamen Siegfried hat), aber der Leser weiß, wer gemeint war. Handke wird zum „Österreicher Stephan Koval“. Er kommt hier so ins Bild, wie er auch ist: kameradschaftlich und voll Fürsorge. Sein Artikel über Hermann Lenz in der „Süddeutschen Zeitung“ hatte Folgen: Das Fernsehen kam zu Besuch, machte eine Dokumentation, ein vornehmer Verlag betreut nun das Werk, und 1978 bekam Lenz den Büchner-Preis (fünf Jahre nach Handke). „Kurios“ eben.

SELTSAMER ABSCHIED. Von Hermann Lenz. Insel Verlag, Frankfurt 1988.334 Seiten, geb., öS 265,-.

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