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AUF KURS NACH EUROPA
Kurs auf Europa zu steuern, das bedeutet Zurüstung, Kompetenz, Einsatzbereitschaft und Ausdauer, um mit dem Wissen um das Ziel den Kurs zu suchen, zu finden und dann auch zu halten.
Kurs auf Europa zu steuern, das bedeutet Zurüstung, Kompetenz, Einsatzbereitschaft und Ausdauer, um mit dem Wissen um das Ziel den Kurs zu suchen, zu finden und dann auch zu halten.
Die Forderung nach europäischer Orientierung des Bildungswesens, wobei in erster Linie die höheren Schulen sowie die Universitäten/Hochschulen, aber auch der gesamte Bereich der beruflichen Bildung angesprochen werden, wird wohl in diesen Jahren in jedem europäischen Land gestellt und mehr und mehr als globale Forderung verstanden. Im Sinne des primum vivere ist das wirtschaftliche Denken sehr entscheidend; es geht um die Bewährung im größeren Wirtschaftsraum, das gute Bestehen im Wettbewerb.
Dem Produktionsfaktor Bildung wird die angemessene Rolle, mit dem Qualitätsmerkmal „Europareife" versehen, zugeteilt. Es ist verständlich, daß die schulische Berufsbildung im Vordergrund der Überlegungen steht und daß Maßnahmen zur Sicherung bewährter Strukturen (HTL) wie zur Vorsorge neuer Strukturen (Fachhochschule) als die vordringlichsten Aufgaben angesehen werden (sorgsame Beobachtung der Entwicklung in den anderen Ländern ist geboten, damit nicht zu rasch eine aus österreichischer Sicht gewünschte Sicherung von Schulstrukturen als allgemein anerkannt angenommen wird).
Europäische Maßstäbe zur Bewertung von Bildungssystemen und ihrer Leistungsfähigkeit können nicht aus normativen Festlegungen gewonnen werden; denn solche gibt es nicht, es sei denn, man nimmt das Erfassen und Ordnen von statistischem Material, als solche Richtwerte an. Eher gewinnt man Anhaltspunkte aus der Beobachtung von Entwicklungsprozessen.
Ein aussagekräftiges Beispiel ist das System der dualen Berufsausbildung (Schweiz, Österreich, einige deutsche Bundesländer), das durch viele Jahre - auch international - als Relikt innerhalb traditioneller Schulorganisationen angesehen wurde. Nun haben sich aber die klar strukturierten Bildungsgänge in diesem System als wesentlich tragfähiger erwiesen, als dies etwa in den wenig strukturierten berufsqualifizierenden Schulwesen der anglo-amerikanischen oder der skandinavischen Länder der Fall ist.
Unverkennbar ist, daß gerade dieses Feld dualer Berufsausbildung europäische Orientierungspunkte aufweist, die für die Schulentwicklung in anderen Ländern (Frankreich, Spanien) bestimmend werden können. Denn die Frage nach fundierteren Übergängen vom Bildungswesen in das Beschäftigungssystem ist mehr denn je von Dringlichkeit und grundlegender Bedeutung.
„Qualität" und „Qualifikation", keineswegs auf Fachwissen und intellektuelle Fähigkeiten beschränkt, sind zu Schlüsselbegriffen für Bildungspolitik und konkrete Schulentwicklungsprojekte geworden.
Der heftig diskutierte Vertrag von Maastricht (Februar 1992) formuliert in einem Kapitel über Bildung (allgemein und beruflich) Aufgaben und Zielvorstellungen der Gemeinschaft bezüglich eines Beitrages zu einer „qualitativ hochstehenden allgemeinen und beruflichen Bildung sowie zur Entfaltung des Kulturlebens in den Mitgliedstaaten", womit erstmals eine umfassende Bildungskompetenz in das EG-Vertragswerk eingebaut wird. Die nationalen Zuständigkeiten bleiben unberührt (Bildungsinhalte, Organisationen und Strukturen); aber die Möglichkeiten zur indirekten Einflußnahme durch Maßnahmen zur Förderung und Ergänzung in wichtigen Bereichen der Bildungsangebote sind gegeben und schaffen den Zugang zu einer koordinierten Bildungspolitik.
Förderung und Ausbau des Unterrichts in den Fremdsprachen sowie Intensivierung der Austauschprogramme bilden deutliche Prioritäten für die Bereiche von Schule und Hochschule. Es muß absolut kein praktizierter Euro-Zentralismus sein, der über die nationalen Bildungssysteme, ihre Eigenart und ihre Vielfalt gestülpt wird; denn allein die Bestimmung eines Prioritätenkatalogs und seine entsprechend dotierte Umsetzung haben Steuerungskraft genug.
Das österreichische Bildungssystem verfügt sehr wohl über die erforderlichen Grundbedingungen, um sich in einem solchen Prozeß beweisen und bewähren zu können. Die Reform der gymnasialen Oberstufe etwa, die Erweiterung der Angebote im Fremdsprachenunterricht oder der starke Ausbau der Austauschprogramme sind hier anzuführen.
Der Begriff einer „qualitativ hochstehenden Bildung" schließt auch das Festhalten an Anforderungen, die kontrollierte Erfüllung von Standards, die Sicherung von Niveau ein. Solche Themen berühren in starkem Maße die Entwicklungen in zahlreichen Ländern, in deren Schulorganisationen zentralistische Strukturen weitgehend abgebaut, regionale Zuständigkeiten wesentlich verstärkt und die Autonomiebereiche der einzelnen Schulen ausgebaut werden.
In solchen Prozessen ist es unerläßlich, daß genaue Zielkataloge formuliert, geforderte Leistungsniveaus definiert und externe Überprüfungen des Erreichten eingesetzt werden. Das ist schon bei jenen vorsichtigen Ansätzen zur Schulautonomie zu beachten, die sich jetzt für die österreichischen Schulen auf einzelnen Lehrplansektoren abzeichnen. Für eine mögliche weitere Entwicklung können zwei Beispiele, die allerdings auf extrem andere Bedingungen bezogen sind, sehr illustrativ sein; sie kommen aus England und den Niederlanden.
In England, bisher der klassische Fall einer praktisch zur Gänze den Schulen übertragenen freien Gestaltung von Lehrplänen, sind mit einem gesetzlich verankerten „Nationalen Lehrplan" obligatorische Kern- und Grundfächer eingeführt worden. Für diese Fächer werden Richtziele festgelegt, in denen zugleich auch die Kriterien für die Kontrolle der Schulen (Inspektion und Bewertung) gegeben sind. Dieser Prozeß wird von heftigen Diskussionen begleitet.
Ebenso sind im niederländischen Bildungssystem in einem Katalog Kriterien mit „Kernzielen" erfaßt, die Richtnormen für die in den Schulen festzulegenden Lehrpläne darstellen und zugleich für Überprüfung und Kontrolle als Qualitätsmaßstäbe dienen sollen.
Diskussionen um Schulstrukturen und ihre Veränderung verlieren zunehmend an Bedeutung; als wesentlich wichtiger wird es angesehen, vorfindbare Bildungsprogramme so weiterzuentwickeln, daß gesetzte Prioritäten eingebaut und Richtziele erfüllt werden können. Geschieht das nicht mehr in zentral administrierter Obsorge, sondern in freieren Entwicklungsfeldern der einzelnen Schulen, dann sind ausgeprägter als bisher Standards festzulegen, dann kommt der externen Überprüfung zunehmende Bedeutung zu.
Im internationalen Vergleich etwa von Abschlußstandards (Beispiel Maturität) zeigt sich sehr deutlich, daß mit zugesprochenen Berechtigungen glaubhaft entsprechende Qualifikationen verbunden sein müssen. Vielfach ist die Überprüfung der erreichten Qualifikationen vorgesehen (Aufnahmsprüfungen an Universitäten, Eingangsstufen). Auch in Österreichs Bildungssystem berühren Fragen zum Übergang Schule/Hochschule einen sehr sensiblen Bereich; Veränderungen in den Lehrplanforderungen oder in den Prüfungsordnungen der Schulen führen jeweils sehr rasch zu Reaktionen auf Universitätsseite.
Rahmenbedingungen, wie sie etwa in den Schwerpunkten der Reifeprüfung zweifellos in Richtung verstärkter wissenschaftlich-propädeutischer Prägung geschaffen wurden, sind geeignet, um auch in externer Überprüfung (eingebaut, nicht nachträglich) Niveau und Qualifikation feststellen zu lassen. Es wäre eine sehr gewichtige Markierung auf dem Kurs, den österreichische Schulen in leistbarem internationalen Vergleich zu europäischem Niveau eingeschlagen haben!
Der Autor war Sektionschef im Bundesministerium für Unterricht.
Die Schule zwischen hektischer Betriebsamkeit und geistlosem Bürokratismus
Es wäre gewiß sehr simpel und ungerecht, alles hochzuhalten, was einmal war und im selben Maß zu verurteilen, was uns die Schulreformen in jüngerer und jüngster Zeit beschert haben. Trotzdem ist es gut, einmal kurz innezuhalten und nachzudenken: was spielt sich gegenwärtig in der Schule ab? Was ist so ganz anders geworden?
Ganz anders ist die Schule geworden durch die Hektik, durch die krankhafte Suche nach Neuem und Außergewöhnlichem, durch die Unfähigkeit, einen ganz normalen und einfachen Schulalltag durchzuhalten. Wer nicht mit Exkursionen, Schulsportwochen, Schikursen, mit Schüleraustausch und Sprachferien aufzuwarten hat, der ist verzopft und gehört einer Generation an, die es besser gar nicht mehr geben sollte.
Es ist zweifellos positiv und wertvoll, daß im Schulgeschehen Leben ist; dieses sollte jedoch nicht in eine neurotische Hektik und Betriebsamkeit ausarten. Es ist genauso als Gut zu werten, wenn vieles angeboten wird, doch führt es letztlich zu nichts, wenn dieses "Viele" zum "Vielerlei", zum "multa", wird. Vor allem aber besteht die Gefahr, daß der Mensch, der einzelne Lehrer oder Schüler, unter Papier und Terminen unterzugehen droht. Auch hier wäre "etwas weniger" viel mehr. Der Zugriff auf die Freiräume der Jugend - die Ganztagsschule ist faktisch in die Wirklichkeit umgesetzt -, auf ihre ganz persönlichen Interessen und Fähigkeiten, wird sich sicher bitter rächen. Kirchliche Gremien und Jugendorganisationen bekommen jedenfalls die "Verschulung des Lebens" bereits empfindlich zu spüren.
Auch für den Schulalltag sollte der Spruch gelten: "Qualität geht vor Quantität!"
Abt Dr. Heinrich Ferenczy OSB Schottenabtei - Schottengymnasium
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