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Auf leisen Sohlen in die -Europäische Gemeinschaft?

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Nicht nur in Österreich zerbricht man sich den Kopf über die Europäische Integration (FURCHE-Dossier 7/1987). Unser Nachbarland Schweiz hat ähnliche Nöte und Sorgen.

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Nicht nur in Österreich zerbricht man sich den Kopf über die Europäische Integration (FURCHE-Dossier 7/1987). Unser Nachbarland Schweiz hat ähnliche Nöte und Sorgen.

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18 europäische Staaten mit nahezu 360 Millionen Konsumenten haben sich zum größten zwischenstaatlichen Zollfreigebiet der Geschichte (EG und EFTA) zusammengefunden. Die Vorteile eines Warenverkehrs ohne Zollschranken und quantitative Importbeschränkungen auf dem industriell-gewerblichen Sektor liegen auf der Hand. Daß die Diskussion über die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der bestehenden Verträge gerade in den letzten Monaten auch in der Schweiz lebhaft geführt wird, hat vor allem drei Gründe: • Manche Experten glauben, daß es der EG (wenn nicht — wie vorgesehen - schon 1992, so doch in absehbarer Zeit) gelingen könnte,

unter Einsatz von Mehrheitsbeschlüssen den Binnenmarkt zu erreichen. In diesem Fall würden Waren innerhalb der Gemeinschaft ohne zollamtliche Abfertigung zirkulieren, was im praktischen Geschäft zu einer deutlich spürbaren Benachteiligung der EFTA-Produkte führen müßte.

• Im Laufe der Jahre wurde auch den Schweizern immer deutlicher, wie stark auch in einer Freihandelszone technische Handelshemmnisse, restriktive Ursprungsregeln, protektionistische Praktiken des öffentlichen Beschaffungswesens und mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen den freien Warenverkehr beeinträchtigen können.

• Ausländische Investoren bevorzugen die EG, weil sie die Erwartungen einer innergemeinschaftlichen Inländerbehandlung in allen Wirtschaftsbereichen es-komptieren. Dies ist vor allem bei Produkten mit hohem Grad an Forschung und Entwicklung der Fall.

Wie will die Schweiz diesen Herausforderungen begegnen?

Zunächst die Ausgangslage:

Die Schweiz verfügt — zum Unterschied von anderen EFTA-Ländern — über zahlreiche multinationale Unternehmungen, die auf dem Weltmarkt eine sehr starke Stellung einnehmen.

Das größte Unternehmen der Schweiz — Nestle in Vevey — erreichte 1985 mit 155.000 Beschäftigten einen konsolidierten Umsatz von 42 Milliarden Franken (rund 352 Milliarden Schilling). Fast 96 Prozent der Mitarbeiter und 98 Prozent des Umsatzes entfallen auf das Ausland.

Aber auch Ciba-Geigy, Hoff-mann-La Roche, Sandoz, Alu-suisse, Jacobs, Suchard, Gebrüder Sulzer, Kühne und Nagel Intern., Panalpina, Georg Fischer, Schindler und viele andere erwirtschafteten mehr als 80 Prozent ihres Umsatzes im Ausland.

Diese großen Unternehmen sind der Europäischen Gemeinschaft schon längst „beigetreten“. Multis denken nicht in „nationali-

stischen“ Kategorien, sondern passen sich den jeweiligen wirtschaftspolitischen Gegebenheiten an.

Die Schweiz verfügt über ausgeprägte Wirtschaftsbeziehungen zu den außereuropäischen Ländern. Staatssekretär * Franz A. Blankart, der neue Chef des Bundesamtes für Außenwirtschaft in Bern, hat dafür eine sehr einprägsame Formulierung gefunden. Bei einem Vortrag vor der Europaunion in Luzern sagte er in helvetischer Deutlichkeit:

„Vergessen wir nicht, daß Sao Paulo, 10.000 Kilometer von Zürich entfernt, die größte Investitionsagglomeration der Schweiz im Ausland darstellt. Für High-Tech ist nur der Weltmarkt groß genug, für den rentablen Absatz von Kleiderbügeln mag Westeuropa genügen. Ich hätte deshalb größte Hemmungen, an der oft protek-tionistischen EG-Außenhandelspolitik mit all ihren Grauzonenmaßnahmen mitzuwirken. Für andere EFTA-Staaten, die ausschließlicher auf Europa ausgerichtet, staatsgläubiger und dem handelspolitischen Liberalismus weniger verschrieben sind als wir, mag das anders sein.“

Auf der anderen Seite ist die Wirtschaftsverflechtung der Schweiz mit den Ländern der Europäischen Gemeinschaft außerordentlich hoch. 73 Prozent aller schweizerischen Importe und 55 Prozent aller schweizerischen Exporte werden mit der EG abgewickelt. Von den zehn wichtigsten Abnehmerländern der Schweiz liegen nur drei außerhalb der Europäischen Gemeinschaft: die USA, Österreich und Japan. Dazu kommen die engen Verflechtungen auf dem Dienstleistungssektor (wie Verkehr, Banken und Versicherungen). Nicht ohne Grund orientiert sich der Schweizer Franken auch bei den heftigsten Währungsschwankungen an der Deutschen Mark.

Ungeachtet dieser engen Beziehungen befinden sich die Befür-

, worter eines Beitritts der Schweiz zur Europäischen Gemeinschaft nach wie vor in der Minderheit. In der Diskussion über diese Frage gegen den Beitritt wird angeführt:

• Verringerung der parlamentarischen Befugnisse;

• Beeinträchtigung der direkten Demokratie und der Befugnisse

des Bundesgerichtes;

• der Föderalismus würde an Boden verlieren (zum Beispiel bei den Kompetenzen der Kantone im Fiskalbereich);

• Probleme in der Landwirtschaft würden größer;

• eine Freizügigkeit der Arbeitskräfte wäre angesichts der befürchteten Überfremdung der Schweiz kaum vorstellbar;

• das Problem der Neutralität. Ob die Neutralitätspolitik allerdings ein solches Beitrittshindernis ist oder nicht, hängt aus Schweizer Sicht von der Bereitschaft der EG ab, entsprechende Vorbehalte zu akzeptieren.

Die offizielle Handelspolitik der Schweiz versucht jedenfalls, den EG-Beitritt durch Beitrittsfähigkeit zu vermeiden. Dies soll zunächst durch eine Vertiefung des Warenfreiverkehrs geschehen. Nichttarifarische Handelshemmnisse wären im Verhandlungsweg abzubauen. Maßnah-, men zur Liberalisierung des Versicherungssektors (Niederlassung), des Personenverkehrs auf der Straße sowie zum Austausch von wissenschaftlichen und technischen Informationen (EURONET) sollen getroffen werden. Das gleiche gilt für den Umweltschutz, das Zollverfahren, für den Bereich der konzertierten wissenschaftlichen und technischen For-

schung (COST) und die EURE-KA-Initiative.

Schließlich sollte die Kompati-büität der Rechtsvorschriften angestrebt werden. Hier steht die Schweiz vor ähnlichen Schwierigkeiten wie Österreich. Es ist nicht leicht, die EG zu überzeugen, bereits im Anfangsstadium des nationalen und gemeinschaftlichen Rechtssetzungsprozesses durch Konsultationen die geplanten Rechtsvorschriften, Normen und Maßnahmen so aufeinander abzustimmen, daß der Weg der gegenseitigen Anerkennung nicht verbaut wird.

Fazit: die wirtschaftliche Verflechtung der Schweiz mit den Ländern der EG ist stark, wird jedoch durch die bedeutende Stellung der multinationalen Gesellschaften in der helvetischen Wirtschaft und die engen Wirtschaftsbeziehungen mit den überseeischen Ländern gemildert. Ein Beitritt der Schweiz zur EG würde derzeit kaum eine Mehrheit finden und wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder von der offiziellen Handelspolitik noch von der Wirtschaft angestrebt.

Man verfolgt vielmehr den Weg der kleinen Schritte. Wie weit man damit kommt, ist allerdings angesichts der sehr komplexen Materie und der verständlichen Fixierung der EG auf ihre eigenen Probleme ungewiß.

Der Autor ist österreichischer Handelsdelegierter für die Schweiz und Liechtenstein in Zürich.

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