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Auf Österreichs Boden darf es keine „Minderheiten” geben

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Vor 300 Jahren wurde Mechitar von Sebaste geboren, der Gründer der armenischen Mechitaristen-Kongregation, vor 275 Jahren rief er seine Ordensgemeinschaft ins Leben. Aus diesem Anlaß lud die Wiener Niederlassung zu einem Festakt ein, bei dem Dr. Otto Habsburg die Festrede hielt. Er erklärte u. a.:

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Vor 300 Jahren wurde Mechitar von Sebaste geboren, der Gründer der armenischen Mechitaristen-Kongregation, vor 275 Jahren rief er seine Ordensgemeinschaft ins Leben. Aus diesem Anlaß lud die Wiener Niederlassung zu einem Festakt ein, bei dem Dr. Otto Habsburg die Festrede hielt. Er erklärte u. a.:

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Franz Werfel hat das Schicksal des armenischen Volkes in seinem Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh” erschütternd behandelt Ich kannte Franz Werfel, am besten in den bitteren Zeiten der Emigration, die den Menschen mehr als alle anderen Erlebnisse prüft. Die Emigration raubt jenen Halt, den die Heimat gibt Sie stellt jeden auf sich selbst, in ihr fallen die Masken.

Emigration bedeutet aber auch Verfolgung - und bei dieser ist die Herausforderung ungleich. Wegen seines politischen und religiösen Bekenntnisses Schweres auf sich nehmen zu müssen, ist hart, aber nicht unerträglich. Ganz etwas anderes ist es, wenn man wegen des Zufalls der Geburt Unrecht erleidet. Darum ist die Verfolgung ganzer Völker und Rassen so besonders ver- abscheungswürdig. Hier werden Wunden geschlagen, die kaum je heilen.

Diese Art von Emigration hat Werfel politisch und in seinem Blute erlebt Gewiß, es gelang ihm, den Verfolgern zu entgehen. Aber gerade der Dichter in ihm hat die Verfolgung besonders hart verspürt - und ist an ihr gewachsen. Werfel fand gerade auf der Flucht zur tiefen, gläubigen Erkenntnis, zur Kirche - und die innere Umkehr schenkte uns sein unvergeßliches Werk: „Das Lied von Bernadette”. Der Jude Werfel wiederum sah im armenischen Volk die Leidensgenossen, die sein eigenes Schicksal teilten. Und ihm, als Juden wie als Österreicher, bot das Drama der Armenier Gewähr dafür, daß diejenigen nicht untergehen, die den Glauben an die eigene Sache nicht aufgeben, die also die Kardinaltugend der Hoffnung nicht verloren haben.

Der Österreicher Werfel fand in Armenien viele Parallelen zur Lage seines Landes, das ebenfalls an einer Heeresstraße der Geschichte liegt und daher im Laufe der historischen Entwicklung keiner der großen Erschütterungen entgehen konnte.

Mechitar - eigentlich Manuk - wurde am 7i Februar 1676 zu Sebaste geboren, trat fünfzehnjährig in das dortige Kloster Heiligenkreuz ein, und erhielt bei der Diakonatsweihe den Namen Mechitar - das heißt Tröster. Durch selbstgewähltes Studium erreichte er alsbald den höchsten Grad des Wissens, den zu erlangen an Ort und Stelle möglich war. Er wollte nach Rom, kam auf einer abenteuerlichen Reise aber nur bis Zypern, mußte zurück nach Sebaste und wurde dort, als Zwanzigjähriger, zum Priester geweiht. 1697 kam er nach Konstantino- pel, nachdem er die Zeit vorher in Aleppo verbracht hatte, wo seine wesentlichsten Entschlüsse herangereift waren.

In Konstantinopel legte er einem gelehrten Vardapet aus Erzerum zum ersten Mal den Plan einer Kongregation vor. Die Verfolgung der katholischen Armenier in der Hauptstadt zwangihn,am8. September 1701 seine Schüler zu einer geheimen Zusammenkunft zu rufen. Tatsächlich gelang es der kleinen Schar, einen Konvent in Morea aufzubauen. Unmittelbar nach seiner mühevollen Fertigstellung brach der türkisch-venezianische Krieg aus und das Kloster wurde dem Erdboden gleichgemacht. Mechitar und die Seinen flüchteten nach Venedig.

Durch Senatsbeschluß wurde ihnen dort die Insel San Lazzaro überlassen, einst ein Eiland für Leprakranke, auf dem die Ritter des Ordens vom Heüi- gen Lazarus bis in das Mittelalter hinein Aussätzige gepflegt hatten. Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihm dort, einen Nachwuchs heranzubilden, der den hohen und idealen Anforderungen und Zielen entsprach, die er sich gestellt hatte.

Gemäß dem Willen Mechitars, sollte seine Kongregation auf drei Gebieten wirken: Religion, Wissenschaft und Erziehung. Als Mechitar am 27. April 1749 starb, waren seine Schüler imstande, die Arbeit fortzusetzen.

Zu der literarischen Tätigkeit Mechitars sind seine Verdienste als Verfasser einer armenischen Grammatik und des armenischen Wörterbuches unübersehbar. Die größte Sorge Mechitars hatte immer der Reinerhaltung, der Wiederherstellung der armenischen Sprache gegolten, sah er in ihr, seiner Muttersprache, doch die heiligste und berufenste Mittlerin zwischen dem armenischen Menschen und seinem Schöpfer. Dies erinnert, bis in die Einzelheiten, an die Arbeit des verewigten Primas von Ungarn, des Kardinals Mindszenty, für die Reinerhaltung der ungarischen Spra che über die Zeit der sowjetischen Besetzung seines Landes hinaus.

Zur Zeit Mechitars waren ungezählte Armenier der eigenen Sprache nicht mehr mächtig. Mechitar hat zwei Grammatiken des Neuarmenischen verfaßt, eine davon auch mit Erläuterungen in türkischer Sprache. Sein größtes Verdienst ist aber das .Armenische Wörterbuch”, an dem er jahrzehntelang arbeitete.

Etwa ein Vierteljahrhundert nach dem Tode des Stifters übersiedelte ein Teil der Kongregation nach Triest. Der Wiener Rof kam mit politischem Weitblick dem Ansuchen der Mechitari- sten um Niederlassung in den Erblanden nach. Kaiserin Maria Theresia stattete die Mechitaristen mit einem kirchliche und weltliche Angelegenheiten umfassenden Privileg aus. Die Kaiserin spricht in einem ihrer Briefe von dem „nahrhaften und fleißigen Volk der Armenier”, das sie mit Freuden in Siebenbürgen und im Buchenlande habe ansiedeln lassen. Ihr Enkel, Kaiser Franz, ließ dann den Mechitaristen, nach ihrer Vertreibung aus Triest durch Napoleon, in Wien das alte Kapuzinerkloster „Am Platzl” zuweisen, das nach mancherlei Um- und Zubauten bis zum heutigen Tage die Heim

Stätte der Wiener Mechitaristen geblieben ist Kaiser Franz hat überdies die Mechitaristen in Wien mit jenem Privileg einer eigenen Druckerei für orientalische und westliche Sprachen ausgestattet das sie vorher schon in Triest besessen hatten.

Die Wiener Mechitaristen nehmen den in neuerer Zeit vielleicht ehrenvollsten Platz im Kulturleben des armenischen Volkes ein. In Wien befindet sich die bedeutendste armenische Bibliothek, sie umfaßt Handschriften von unschätzbarem Wert

Im übrigen sei nur noch auf die Leistungen der Wiener Mechitaristen auf dem Gebiete des Schulwesens hingewiesen: seit 1824 unterhalten sie in Istanbul eine Schule hohen Ranges, an der auf türkischem Boden die deutsche Sprache gelehrt wird. Sie unterhalten Schulen in Beirut und Los Angeles, sie unterhalten vor allem in Wien ihr armenisches Knabenseminar, an dem sie unter schwierigsten materiellen Bedingungen junge Armenier nicht nur in ihrem Glauben unterweisen und sie auf ihren Beruf vorbereiten, sondern ihnen auch, als einziges derartiges Institut die deutschsprachige Welt erschließen.

Die Armenier haben den Österreichern, als erste, Würde und Schönheit des orientalischen Ritus nahegebracht. Nichts is,t für sie typischer, als daß ihr Kloster in der Neustiftgasse einst zur Heimstätte des heüigen Clemens Maria Hofbauer wurde; von der Pfarre der Wiener Mechitaristen aus schritt er an sein großes Werk, an die Missionierung von Wien.

Die Armenier büden der Zahl nach eine verschwindende „Minderheit”. Kaum eine Nation aber hat so viele Leiden und Verfolgungen überstanden wie sie. Unter den Armeniern wieder sind die Mechitaristen nur eine kleine Schar - um das häßliche Wort „Minderheit” nicht ein weiteres Mal gebrauchen zu müssen. Und dennoch: die Mechitaristen waren es, die ihren Landsleuten die Bibel schenkten. Sie waren es, die ihrem Volk seihe Sprache Wiedergaben. Sie waren es, die den Österreichern die Welt des Orients in all seiner sprachlichen und rassischen Vielfalt erschlossen. Sie waren es, die halfen, Österreich das Tor zum Osten zu öffnen.

Sie und ihre Schulen, die Zöglinge, die bei ihnen Deutsch lernten, waren es, die einem Franz Werfel das Verständnis für das Anliegen der Armenier schenkten. Lange schon, bevor er in Damaskus jenem Elendszug armenischer Flüchtlinge gegenüberstand, der ihn letztlich zu den „Vierzig Tage des Musa Dagh” bewegte, hatte er hier in Wien bereits die Armenier in sein Herz geschlossen.

Auf diesem österreichischen Boden und bei diesem armenischen Volk haben wir gelernt, was die „Minderheiten” - die wir Nationalitäten, Sprach- oder Kulturgemeinschaften nennen wollen, weil es für einen Österreicher keine „Minderheiten” auf seinem Boden geben darf - für uns alle bedeuten. Wir bekennen uns zu diesem Begriff der, Freiheit und der Gleichberechtigung aller, weü wir wissen, daß Vielfalt ein reicheres Leben für alle sichert, während erzwungene Einheit zur Verarmung und Unterdrückung führt. Weü in diesem unserem Europa jedes Volk, und sei es zahlenmäßig noch so schwach, seine Heimat hat, sein Vaterhaus, in dem wir alle, unter Wahrung der eigenen Persönlichkeit, einen gleichberechtigten Platz innehaben. Weü wir schließlich alle erkennen, daß jenseits von Macht und Politik Gott der Herr der Geschichte bleibt.

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