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AUF PERSONLICHE STÄRKEN KOMMT ES AN

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Manche Experten schätzen, daß mindestens 20 Prozent aller Mitarbeiter in der Wirtschaft geistig gekündigt haben. Andere sind davon überzeugt, daß dies sogar mindestens auf jeden dritten Mitarbeiter zutreffe. Auf jeden Fall ist die wirtschaftliche Auswirkung ungeheuer: um die eingesetzte Lohn- und Gehaltssumme könnte eine ganz andere Leistung eines Unternehmens entstehen!

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Manche Experten schätzen, daß mindestens 20 Prozent aller Mitarbeiter in der Wirtschaft geistig gekündigt haben. Andere sind davon überzeugt, daß dies sogar mindestens auf jeden dritten Mitarbeiter zutreffe. Auf jeden Fall ist die wirtschaftliche Auswirkung ungeheuer: um die eingesetzte Lohn- und Gehaltssumme könnte eine ganz andere Leistung eines Unternehmens entstehen!

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Was heißt es, wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin innerlich gekündigt haben? Zunächst einmal ist von außen nichts sichtbar: es werden wie immer die anfallenden Arbeiten erledigt, es geschieht also keine Arbeitsverweigerung. Was aber fehlt und vielleicht früher einmal vorhanden war, ist das innere Engagement und die Bereitschaft, mitzudenken und mitzugestalten. Zeigt sich bei so einem Mitarbeiter eine Situation, in der er/sie anders handeln müßte, dann erst treten die „Bremsmanöver" zutage: im Vordergrund steht dabei nicht die Frage, wie kann ich einen Schaden verhindern oder eine gebotene Chance nützen, sondern die beinharte Überlegung: „Passiert mir etwas, wenn ich schweige oder nicht handle?" Diese Frage wird zum Kriterium für einen Mitarbeiter, der innerlich gekündigt hat, sonst nichts mehr.

Möglicherweise gleichzeitig versucht das Unternehmen, durch neue Organisationsabläufe, durch Anschaffung von fortschrittlichsten Hilfsmitteln und Einrichtungsgegenständen dem geahnten Problem der Distanzierung vieler Mitarbeiter von der Unternehmensidee Einhalt zu gebieten. Da diese Investition - wie Außenstehende, leider aber nur sehr selten die verantwortlichen Führungskräfte rasch feststellen können - sehr oft nicht den erwarteten Erfolg bringt, mündet die Ursachenforschung meist beim - vermeintlich falschen - EDV-Konzept oder bei der falschen Einrichtungsberatung, nicht aber beim Kern der Sache, nicht bei den echten Ursachen, die dazu geführt haben.

Die Ursachen liegen sehr oft im Führungsstil, in der Geschichte eines Unternehmens und den vom Mitarbeiter bisher gesammelten Erfahrungen: diese Werte zählen und bestimmen das Verhalten der Menschen in Organisationen.

Gerade zur Zeit der ifabo sei damit ausdrücklich nicht dem Maschinensturm oder dem Weiterwursteln die Lanze gebrochen, sondern dem Aufarbeiten der Ursachen, die zu einer inneren Kündigung von Mitarbeitern geführt haben oder führen werden und können.

Aus der Sicht der Personalentwicklung sind einige Gedanken darzustellen und zu beleuchten, die im allgemeinen geschäftlichen Druck und in dem Stil, der sich inzwischen in einer Organisation eingependelt hat, leicht übersehen werden.

Die Wurzeln des Problems reichen weit zurück: Das traditionelle Schulsystem - und das ist auch oft die weitverbreitete Ansicht von Aus- und Weiterbildungsabteilungen - stellt immer die gleiche Frage: „Was fehlt der Person?". Kennen Sie einen Lehrer, der bei einer Schularbeit all das grün anstreicht, was der Schüler richtig gemacht hat, und das was fehlt, hat keine „grüne Bestätigung"? Unvorstellbar? Aber in der Wirtschaft geht es genauso weiter: der Blick des Vorgesetzten ist darauf gerichtet, was der Mitarbeiter nicht oder nur schlecht kann, und nicht darauf, wo seine wirklichen Stärken liegen. Das einmal und immer wieder festgestellte Defizit, das muß ihm vermittelt werden. Gewiß ist den verantwortlichen Bildungsmanagern Verständnis sicher, haben sie doch in ihrem Schulsystem nichts anderes kennengelernt. Unser Blick ist dahingehend jahrzehntelang geschult.

Wenn wir die Entwicklung eines Menschen ganzheitlich betrachten, dann braucht er mehr als nur das notwendige Schul-oder Fachwissen, weil er - in der Regel - nicht mit sich allein ist, sondern in einem komplexen System einer Organisation, eines Unternehmensodereines Teams steht und er auch Fähigkeiten und Bedürfnisse hat, die nicht durch einen fachlichen Einsatz allein befriedigend genützt beziehungsweise gedeckt werden können. Die drei Dimensionen einer menschlichen Entwicklung lauten:

1. Fachliche Kompetenz: Der Beruf, die fachlichen Anforderungen bedingen Kenntnisse und Fähigkeiten, die vorhanden sein oder erworben werden müssen.

2. Soziale Kompetenz: Es hat sich schon herumgesprochen, daß ein Volksschüler sein erstes A alleine zeichnen und ein Dissertant eidesstattlich erklären muß, die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe erstellt zu haben. Beim Eintritt in sein Berufsleben wird aber plötzlich von ihm erwartet, in der Lage zu sein, mit anderen Menschen ein Ziel zu erreichen. Aber wie?

3. Eigenkompetenz: Selbstverständlich - so hört man oft - soll der Mensch mit sich im Lot sein, sozusagen die erforderliche innere Sicherheit besitzen, ruhig und gelassen sein und um die Bedeutung seiner Selbstentwicklung nicht nuf wissen, sondern sie auch praktizieren: sein Leben sozusagen selbst in die Hand nehmen.

Diese Darstellung läßt sich aber auch dynamisch betrachten, und zwar dadurch, daß man die Kompetenzen in ein dreiseitiges System einordnet und in ihrer gegenseitigen Beeinflussung beachtet.

Ein Beispiel: Es kann jemand mit Fug und Recht sich dafür entscheiden, nur seine Fachkompetenz zu erweitem. Er wird dadurch immer mehr zu einem Spezialisten und Experten, von dem vielleicht große Dinge zu erwarten sind, aber wahrscheinlich wird dadurch die soziale Kompetenz, die Fähigkeit, Menschen zu führen, nicht entwickelt. Ein anderer weiß um seine soziale Kompetenz und möchte sie - verbunden mit ein wenig Fachkompetenz -, entwickeln. Ein dritter legt Wert auf seine Selbstentwicklung, er „fährt" seine Stärken und Bedürfnisse ab und sucht danach, immer mehr im Lot zu sein. Daraus entwickelt er aber auch die notwendige soziale Kompetenz, um mit anderen „zu können".

Jeder muß sich selbst in diesem Dreieck positionieren, entsprechend seinem eigenen Entwicklungsplan. Wenn jemand in seiner Umgebung, der Vorgesetzte oder die Personalabteilung, ihn dabei unterstützen, dann hat er seine Chancen damit vergrößert, in diesem Entwicklungsprozeß aus seinen individuellen Stärken und nicht aus seinen Schwächen etwas zu machen.

Das Modell dient aber auch einer anderen Betrachtung: der Unternehmensentwicklung. Und das ist möglicherweise auch ein Schlüssel zur „inneren Kündigung".

Was bedeutet dies? Wer die Legion an nicht oder nicht richtig gelungenen Organisationsentwicklungsprojekten betrachtet, sucht gerne nach einem Rezept für das Scheitern, besser noch, für das Gelingen eines solchen Prozesses.

Wenn wir die drei Dimensionen des genannten Dreieckes betrachten, so muß - dies ist als These zu verstehen - immer wieder zwischen den verschiedenen Ansatzpunkten gewechselt werden. Weit verbreitet ist dabei die Ansicht, daß reine „Fachberatung" zu keinem Entwicklungsprozeß führt, auch wenn viele große und internationale Beratungsunternehmen dieses immer wieder behaupten. Aber auch ein zu langes oder intensives Verbleiben beim sozialen Ansatz, bei der Beziehungsstruktur, kann zum Scheitern führen, wenn nicht dadurch nachweislich gewisse Ziele und Daten der Unternehmenssicherung erreicht werden. Konkret bedeutet dies, daß Ergebnisse definiert werden müssen, die das Unternehmen in seiner Existenz sichern. Dies sind nun einmal der Markt und die eigene Positionierung, die Kosten, die Qualität, derGewinn, die Innovation, eben klar definierte Sachziele. Von deren Erreichung hängt Berechtigung der Arbeit in und an der Beziehungsebene ab.

Der dauernde und alleinige Ansatz an der Eigenkompetenz der Mitarbeiter ist ebenfalls zum Scheitern verurteilt, wenn er nicht zu nachweislichen Ergebnissen auf der Ebene der sozialen Kompetenz oder der Sachziele des Unternehmens führt. Trotzdem stellen wir immer wieder in Firmen und Organisationen fest, daß hier der geringste Anstoß gegeben wird.

Wenn wir im folgenden näher auf die soziale Kompetenz, auf die „Selbstentwicklung" eingehen, so vor allem deshalb, weil sie in den meisten Organisationen zu kurz kommt, nicht ausreichend Beachtung findet.

Warum? Ist es nicht so, wie die folgende Traumphase, immer wieder auch in der Praxis? Ein Mitarbeiter stellt sich - wenn auch ein wenig übertrieben - sozusagen mit verschränkten Armen vor seinen Vorgesetzten und stellt in einem unhörbaren, aber laut gedachten Dialog die Forderung: Ich weiß genau, daß Sie, Herr Vorgesetzter, entsprechend unseren Führungsgrundsätzen verpflichtet sind, mich zu entwickeln. Ich werde Sie bei dieser Ihrer Führungsaufgabe genau beobachten, ob Sie wirklich etwas aus mir machen!

Die Trägheit, Passivität, das Warten auf das Tun des anderen, das sind heute Phänomene, die in vielen Organisationen zur Tagesordnung gehören und die nicht durch die Traumerfüllung zu befriedigen sind, sondern ausschließlich durch die Übernahme der Verantwortung für die eigene Entwicklung durch den betreffenden Menschen selbst, eben durch die „Selbstentwicklung". Ein Mitarbeiter aber, der die Verantwortung für sein Leben übernimmt, kann nicht „innerlich gekündigt" haben. Da müßte er ein Masochist sein.

Kein Mensch kommt als „tabula rasa" in die Berufswelt. Jeder von uns bringt viele Fähigkeiten, Begabungen und Interessen, Stärken und Bedürfnisse mit. Individuelle Sinn-findung und wirkliche Qualität der Arbeit passieren dort, wo diese persönlichen Begabungen genutzt und gepflegt werden und wo sie nicht von einem starren „Kästchendenken" überdeckt werden. Wie sieht denn -leider - sehr oft die Praxis aus?

Ein bestimmter Mitarbeiter „verläßt" sein „Kästchen", weil er aufsteigt, ausscheidet oder anderweitig benötigt wird. Dann wird es Aufgabe des Personalleiters, den Job wieder zu besetzen und dann zur nächsten Aufgabe zu schreiten. Wenn ein möglicher Kandidat für diesen Job das Kästchen des Vorgängers nicht genau ausfüllen kann, dann wird genau geprüft und überlegt, ob das Unternehmen mit diesem Defizit leben kann. Vielleicht war es ohnehin nur das Hobby des Vorgängers, dann kann man leicht darauf verzichten. Oder eine herausragende, aber nicht erforderliche Fähigkeit desselben. Die ohnehin eigentlich nicht notwendig ist. Dann paßt es schon, der Job ist neu besetzt und es geht weiter.

Das über das Kästchen hinausragende Potential des Bewerbers ist „leider" an dieser Stelle und in diesem Unternehmen nicht einsetzbar, nicht bewußt und nicht genützt. Basta! Bezahlt ist es ohnehin, nicht wahr? Denn der Mitarbeiter würde im Grunde wohl nicht mehr Geld verlangen, wenn er besser seine Fähigkeiten einsetzen könnte, aber er müßte nicht in geistige Emigration gehen oder sein Talent in Hobbies austoben. Noch dazu wäre so ein Mitarbeiter wohl auch wesentlich zufriedener und glücklicher, wenn die Herausforderung ihn umfassend trifft, statt mit zusammengebundenen Füssen hochspringen zu müssen.

Anders betrachtet könnte man auch von einer traditionellen Aus- und Weiterbildung sowie einer zukunftsträchtigen Personalentwicklung sprechen. Erstere ist geprägt vom oben erwähnten Standpunkt der Defizitsuche („was fehlt noch?"), letztere ist zukunftsbe-zogen und denkt daran, das vorhandene Potential eines Menschen zu nützen, so immer mehr den Job an die Fähigkeiten des Mitarbeiters anzupassen, statt wie bisher ihn an den Job.

Zeitgemäße und zukunftsorientierte Personalentwicklung setzt also auf das „human capital" oder die „human resources" eines Unternehmens und sichert so seine Zukunft. Und die ihrer Mitarbeiter, die auf diesem Wege sich entwickeln und entfalten können, zu ihrem und des Unternehmens Vorteil.

So stehen Sachziele (Unternehmenssicherung) und Beziehungsziele (Soziale und Eigenkompetenzentwicklung) eng miteinander in Verbindung. Kein Teil ist wichtiger oder unwichtiger, wesentlich ist die Verbindung oder - wenn man will - Vernetzung aller Ansätze oder Instrumente der Personalentwicklung.

Der Autor ist Geschäftsführer der Gesellschaft für Personalentwicklung (GfP) in Wien

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