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Auf rutschigem Terrain

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Dem „Parlament der Weltreligionen" legte Gerald O. Barney jüngst den Global-2000-Bericht des von ihm geleiteten „Millennium Institute" vor.

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Dem „Parlament der Weltreligionen" legte Gerald O. Barney jüngst den Global-2000-Bericht des von ihm geleiteten „Millennium Institute" vor.

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DIeFurche- Viele Leute blicken besorgt in die Zukunft Welche großen Probleme kommen auf uns zu? Gerald 0. barney: Das wirklich große Problem ist, daß wir nicht gelernt haben, wie alle Dinge miteinander verbunden sind. Vor allem werden wir Probleme mit den Rohstoffen und mit der Beseitigung von Abfällen bekommen. Ein anderes Hauptproblem bilden unsere Forderungen an einen gewissen Lebensstil: Wir meinen, immer mehr verwenden und verschwenden zu können - das wird uns nicht gelingen. Dazu kommen das Wachstum der Weltbevölkerung ohne absehbares Ende und der Haß zwischen Menschen, denn derzeit sind weltweit 50 Kriege im Gang, wobei oft religiöse Differenzen eine Rolle spielen.

üIeFüRCHE Welches Problem stellt die größte Gefahr dar? Barney: Wir haben unsere Vision der Zukunft verloren. Das alte Modell von Entwicklung, die Idee, die ganze Welt könnte wie die reichen Leute in Wien oder Kalifornien leben, ist unrealistisch, die Erde kann die Wünsche so vieler Menschen nicht erfüllen. Wir brauchen eine neue Definition von Fortschritt. Der Sinn für den Unterschied von Erfolg und Versagen ging uns verloren. Wir denken, Dinge seien gut - etwa das Wachsen des Bruttonationalprodukts -, die vielleicht Signale für ein Abkommen vom richtigen Weg sind. Wir brauchen Zeit, um zu reflektieren, wie es zu den jetzigen Problemen gekommen ist und welche Welt unsere Enkel vorfinden sollen.

DIeFüRCHE- Haben wir noch genug Zeit, diese Probleme zu lösen? BARNEY: Wir sind in der Lage einer Person, die einen Hang bergab geht, der immer steiler und rutschiger wird. Wir brauchen sicher Zeit. Auch nach der Entscheidung, die Richtung zu ändern, wirken die Dinge nach. Zum Vergleich: Der Bremsweg eines Fußgängers ist kürzer als der eines Fahrrades und der wieder kürzer als bei einem Auto, einem Schnellzug oder einem Supertanker. Und all diese Dinge sind viel leichter zu stoppen als ein ökonomisches, demographisches, umweltbezogenes System. Das braucht Jahrzehnte.

DIEFÜRCHE- Und falls wir nicht heute beginnen, wird es noch schwerer... BARNEY: Richtig. Ich glaube, wir haben dafür kein Jahrhundert mehr Zeit, nicht einmal mehr eine Generation, wir müssen im nächsten Jahrzehnt große Änderungen angehen. Sonst kommen wir auf dem Hang ins Rutschen und stürzen ab.

DIEFÜRCHE- Es geht also nicht um besseres Organisieren - etwa mit rutschfesteren Schuhen, um im Bild zu bleiben -, sondern um neue Hal-

tungen, etwa die Fähigkeit zu teilen? BARNEY: Sicher hängt es nicht von besserer Organisation oder Technologie ab. Das Teilen gehört dazu, aber nicht nur mit anderen Menschen, sondern mit allen Lebewesen auf diesem Planeten. Hier stellt sich die Frage der Weltbevölkerung. Als Protestant glaube ich, daß meine Kirche zu diesem Thema wenig Hilfreiches gesagt hat, aber das gilt für das ganze Christentum und ebenso für Islam, Judentum oder Hinduismus. Die Religionen behandeln Details wie Abtreibung, Methoden der Geburtenkontrolle, Homosexualität, doch die große moralische Frage spricht keine Religion direkt an: Wie geht man verantwortungsvoll mit Gottes Geschenk der menschlichen Fruchtbarkeit um? Und das in einer Zeit, in der die Bevölkerung so stark gewachsen ist. Es geht um Teilen mit allen anderen Spezien auf der Erde. Unser Wohlergehen hängt von der Existenz all dieser Arten ab. Wenn wir uns aufgrund der Genesis als Gottes Ebenbilder fühlen, die sich die Erde „Untertan" machen, fertigen wir uns ein menschliches Bild Gottes an. Gott schuf die Erde auf viel großartigere Weise als es die Genesis beschreibt.

DIEFÜRCHE- Was gibt Ihnen Hoffnung für die Zukunft? BARNEY: Meine eigene Schöpfungsgeschichte: Gott nahm sich 14 Milliarden Zeit, um Sie und mich und alle Menschen in diese Zeit, an diesen Ort zu setzen. Ein Gott, der so sorgsam war, hat mit uns Besonderes vor. Darum glaube ich, wir werden

die Energie, die emotionelle Stärke und die Weisheit zu einem Ausweg finden. Das gibt mir Hoffnung: Gott will, daß wir es schaffen, und daher werden wir es auch.

DIEFURCHE Welche positive Rolle können religiöse Führer spielen? BaRNEY: Religiöse Führer verlieren heute ihren Einfluß, weil viele Menschen, vor allem junge Leute, heute Fragen über die Zukunft stellen, auf die die Religionen nicht antworten. Das sind religiöse Menschen, aber sie gehen nicht in christliche Kirchen, denn dort erwarten sie keine Antworten. Daß es auch andere Religionen betrifft, bestätigte mir ein buddhistischer Mönch auf dem Treffen der Weltreligionen. Wir leben in einer Zeit, in der geistliche Führer, wenn sie Hilfe sein wollen, den jungen Leuten zuhören müßten. Und wenn diese nicht zu ihnen kommen, müßten sie zu ihnen gehen und herausfinden, was ihre Herzen bewegt. Dann müßten sich alle religiösen Führer fragen: Was gibt in meinem Glauben diesen jungen Leuten Antworten, Hoffnung, Orientierung? Wenn die Antworten ausbleiben, gehen die Leute weg und geben kein Geld mehr für die Kirchen her. Die Fundamentalisten haben einfache Antworten: Tu das und das und das. Dann wird Gott dich lieben, und du wirst reich, und hasse jeden, der etwas anderes macht als du. Das ist sehr gefährlich, und ich hoffe nachdenkliche religiöse Führer werden eine Alternative zu solchen fundamentalistischen Positionen anbieten.

Das Gespräch führte Heiner Boberski

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