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Auf verlorenem Posten?

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„Non recognoscimus auctoritatem Papae, qui est tantum episcopus Ro-mae.“ (Wir anerkennen nicht die Autorität des Papstes, der nur Bischof von Rom ist.) Mit diesen Worten versuchte der Lazaristenpa-ter Thomas Wang, der sich selbst als Kapitularvikar der Erzdiözese Peking vorstellte, mir die Beziehungen zwischen der „unabhängigen Kirche Chinas“ und dem Vatikan zu erklären. Hochwürden Laurent She, der Pfarrer der einzigen katholischen Kirche der Volksrepublik China, die noch offen ist, nämlich die der Unbefleckten Empfängnis in Peking, erklärte sich bereit, mir Mitte Mai ein Gespräch mit den höchsten, bekannten katholischen Würdenträgern in China zu arrangieren. Am 9. Mai empfing mich Pater Wang im Vestibül des Pfarrhauses; die in China übliche Thermosflasche mit dem warmen Wasser für den Tee stand auf einem kleinen Tisch. Das Gespräch, das ohne Dolmetscher stattfand, mußte in einer improvisierten Neuschöpfung aus Latein und Englisch durchgeführt werden. Mit drei anderen spanischen Berufskollegen hatte ich ein Journalistenvisum bekommen, um die Volksrepublik China zu besuchen. Dank der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Peking und Madrid wurde mir die Reise ermöglicht, um die ich mich schon vor zwei Jahren vergeblich bemüht hatte.

Wie ich feststellen konnte, gibt es in Peking derzeit vier katholische Kirchen. Eine davon befindet sich im alten diplomatischen Viertel und wurde in eine Schule umfunktioniert. Eine zweite, „Beitang“-Kirche des Nordens, ist gegenwärtig geschlossen. Die dritte heißt „Dongtang“-Kirche des Ostens und ist dem heiligen Josef geweiht. Auch sie ist, wie ich persönlich feststellen konnte, geschlossen. Außerdem bot sie mir einen baufälligen Eindruck. Jene Gerüchte, wonach diese Kirche geöffnet worden sei, haben sich als falsch erwiesen. Während des Gespräches hatte mir Pater Wang, bezugnehmend auf diese Kirche, ausdrücklich erklärt, daß das Gebäude gegenwärtig erneuert werde. Ich sah aber dort weder Baumaterial, noch Gerüste.

Es bleibt noch die Kirche des Südens, die offen ist, und in deren angeschlossenen Räumlichkeiten die einzige organisierte Form kirchlichen Lebens in China untergebracht ist. Sie ist eine in rein westlichem Stil erbaute Kirche (neoklassizisti-sches Backsteingebäude), die kein einziges chinesisches Dekorationselement an sich finden läßt. Sie weist beträchtliche Dimensionen auf und ist auf einem Grundstück gebaut, wo der italienische Missionar M. Ricci lebte und starb. Nach der Ankunft der mandschurischen Herrscher in Peking konnte der Nachfolger Pater Riccis, Adam Schall, dank seiner astronomischen Kenntnisse das Vertrauen der Kaiser gewinnen, sowie die Bewilligung für den Bau einer Kirche. Die Kirche, die jetzt auf dem Grundstück steht, ist eine Rekonstruktion vom Beginn unseres Jahrhunderts.

Entgegen der bisherigen Annahme, daß in dieser Kirche nur sonntags

Messen gelesen werden, konnte ich feststellen, daß mindestens eine Messe pro Tag zelebriert wird. Es nehmen daran kaum Gläubige teil; fünf bis sechs, darunter das Haus-personal des Pfarrhauses. Keiner der Gläubigen verwendet ein Meßbuch, obwohl die Messe auf Latein gelesen wird, einige Gläubige hielten aber Rosenkränze in ihrer Hand. Der Ritus entspricht dem vorkonziliaren, die liturgischen Bücher sind jenen gleich, welche man im Westen vor der Liturgiereform verwendet hat.

Drei Personen nahmen an diesem Gespräch teil: der schon erwähnte Kapitularvikar, der Pfarrer und, wie man mir sagte, der älteste Priester von Peking, Stephanus Quang. Die drei Priester trugen die Einheitskleidung des heutigen China, allerdings mit sichtbarem weißen Kragen. Das Brevier, das sie in ihren Händen hielten, war ein altes Brevier, das in der Tipografla Poliglotta Vaticana gedruckt worden war.

Nach eigenen Angaben wurde Pater Wang 1948 zum Priester geweiht, das heißt: vor der Machtergreifung der Kommunsitischen Partei in China. 1958 wurde er zum Generalvikar der Erzdiözese Peking ernannt, bereits unter einem patriotischen Erz-bischof, das heißt, einem wohl gültig geweihten Bischof, aber ohne Ernennung, bzw. Erlaubnis durch den Vatikan (damals wurden mehr als vierzig solcher Bischöfe geweiht). Als 1964 dieser Bischof starb, nannte sich Pater Wang Kapitularvikar. Die anderen Priester verwendeten sehr oft das Wort „vice-bishop“ für ihn. Seit vielen Jahren — wahrscheinlich seit zwanzig Jahren — haben sie keine Nachrichten über den Zustand der anderen 19 Erzdiözesen, 93 Diözesen und 23 sonstigen kirchlichen Gebiete Chinas. Es war für mich besonders bewegend, das Spiel von Frage und Antwort mitzumachen, als ich mich über das Schicksal jener Bischöfe erkundigte, deren Los im Westen unbekannt ist. Meine Fragen wurden ausnahmslos entweder mit „mortuus“ (gestorben) oder „nesci-mus“ (wissen wir nicht) beantwortet.

Sie konnten mir auch nicht sagen, ob es im Lande andere Kirchen gibt, die geöffnet sind. Ich hatte allerdings persönlich den Eindruck, daß sie — hätten sie es auch gewußt — nicht in der Lage gewesen wären, es mir zu sagen. Bekanntgegeben haben sie jedoch, daß gegenwärtig in China noch etwa vierzig Bischöfe leben, über die Zahl der Priester und Gläubigen wußten sie nichts zu sagen. In der Erzdiözese Peking selbst gibt es gegenwärtig „zirka“ zwanzig Priester.

Überraschend fand ich die Erklärung des Pater Wang, wonach sich acht Seminaristen für die Priesterweihe vorbereiten. Als Seminaristen verstand er junge Männer, die gegenwärtig die Mittelschule besuchen und den Wunsch haben, Priester zu werden. „Ab und zu“ kommen sie zur Kirche, um sich an Bildungsvorträgen zu bereichern. Erst nach der Mittelschule werden sie mit der eigentlichen theologischen Vorbereitung beginnen, wahrscheinlich im angeschlossenen Pfarrhaus.

Erfahren konnte ich allerdings nicht, woher diese Jungen kamen und unter welchen Bedingungen sie von der Regierung die Erlaubnis bekommen haben, das Priesteramt anzustreben. Das ist um so mehr verwunderlich, als ja im ganzen Jahr in dieser Kirche „zirka“ zehn Taufen gespendet wurden. (Die Erzdiözese Peking hatte vor der Revolution genau 215.918 Gläubige.) Die letzte Priesterweihe fand in Peking 1964 statt. Das bedeutet, daß seit damals das eigenständige Leben der patriotischen Kirche ausgestorben ist. Tatsächlich scheint (zumindest für Ausländer) die neueröffnete Pfarre eine neue Etappe der Religionspolitik in China einzuleiten, nachdem nicht einmal die patriotische Kirche die Kulturrevolution überstehen konnte.

Wovon leben die Priester?

„Nos habemus proprietates“ (Wir haben Eigentum), sagte Pater Wang und fügte hinzu, daß sie genug Erträgnisse hätten, um den Klerus zu erhalten. Außerdem berechnete er die Almosen der Gläubigen, die ich aber niemals in der Kirche sehen konnte (nur am Sonntag füllen sich einige Bankreihen mit Diplomaten aus der Dritten Welt). Obwohl ich bemerkte, daß es ziemlich schwer zu verstehen ist, daß für sie die Möglichkeit bestehe, aus den Erträgnissen eines Kapitals zu leben, bestanden die Priester darauf, aus den Mieterträgen kirchlicher Gebäude ihr Leben zu fristen. Entschieden erklärten sie, keinen „Fen“ (Groschen) von der Regierung zu bekommen, mit der sie aber in guten Beziehungen stünden, über deren Inhalt sie nicht zu sprechen wünschten. „Ab und zu“ trifft der Kapitularvikar mit Regierungsbeamten und Vertretern anderer Religionsgemeinschaften zusammen, um Fragen gemeinsamen Interesses zu erörtern.

Die katholische Kirche mußte niemals Selbstkritik während oder nach der Kulturrevolution üben. Priester müssen auch keine händischen Arbeiten verrichten, wie dies viele Ver-waltungs- und Staatsbeamte in China zu tun haben.

Während sie einerseits eindeutig erklären, daß die Dogmen, die Moral und die Liturgie der katholischen Kirche von ihnen vollauf anerkannt werden, verneinen sie anderseits den nicht unwichtigen Lehrsatz vom Primat des Papstes. Ich bekam allerdings den Eindruck, daß sie sich auch in dieser Frage für die Zukunft nicht binden wollten und daß die Ursachen für diese erklärte Unabhängigkeit vom Vatikan eher politischer als religiöser Natur sind. Sie erklärten sich eindeutig als Nichtkommunisten, weil sie den Atheismus, den der Kommunismus voraussetzt, nicht mit ihrem Glauben vereinbaren können. Sie lieben aber ihr Vaterland und ihren Führer, was mit ihrem Glauben doch vereinbar sei.

Im Laufe des herzlich, aber wegen Sprachschwierigkeiten mühsam geführten Gespräches wurde seitens der Priester mit keinem Wort die repressive Religionspolitik der chinesischen Regierung gegenüber den dreieinhalb Millionen katholischer Bürger Chinas seit der Machtergreifung der Kommunistischen Partei erwähnt. Frappierend war die Unkenntnis meiner Gesprächspartner über das, was außerhalb ihrer Grenzen geschieht. Mit ungläubigen Gesichtern und nicht gespieltem Erstaunen erfuhren sie, daß der Vatikan mit sozialistischen Regierunigen verschiedene Abkommen geschlossen habe, und daß man zur teilweisen Übereinstimmung in der Besetzung einzelner Bischofssitze gekommen sei.

Gegen Ende des Gespräches mit diesen drei Priestern, deren Erscheinung und persönliches Verhalten, wie die Handlungsweise im liturgischen Bereich, würdig und andächtig war, wollte ich wissen, was sie von der Zukunft der chinesischen Kirche erwarten? Mit resigniertem Blick sagte mir Pater Wang kurz: „Fiat voluntas Dei“ (Es geschehe der Wille Gottes). Während er mir kräftig die Hand drückte, glaubte ich in seinen Augen vieles von dem zu sehen, was er mit Worten auszudrük-ken nicht imstande war.

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