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Aufbau im Labor für den „TagX quot;

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Der Preis für Olympiamedaillen steigt. Der Spitzensportler braucht heute nicht nur hartes Training und stand ige wissenschaftliche Betreuung - er riskiert auch Dauerschäden.

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Der Preis für Olympiamedaillen steigt. Der Spitzensportler braucht heute nicht nur hartes Training und stand ige wissenschaftliche Betreuung - er riskiert auch Dauerschäden.

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Wenn irgendwo — so wie jetzt in Sarajevo — die Startzeichen zu großen Sportwettkämpfen gegeben werden, dann sind die Athleten letztlich auf sich allein gestellt. Vor und zwischen den Konkurrenzen stehen ihnen allerdings, in Ost und West und sogar im kleinen Österreich, Experten aus verschiedenen Bereichen zur Seite. Trainingsaufbau und Wettkampfvorbereitung für Spitzensportler sind längst eine eigene Wissenschaft geworden.-

In Ostösterreich betreibt man diese Wissenschaft vor allem im Rahmen des Vereins für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung im Bundessportzentrum Wien-Schmelz. Dieser von drei Ministerien (Unterricht, Wissenschaft, Gesundheit) geförderte Verein hat die Aufgabe, Leistungssportler und deren Trainer - im allgemeinen handelt es sich um Nationalkaderangehörige oder um besondere Talente — zu betreuen.

Hans Holdhaus, Leiter der Abteilung Leistungsdiagnostik auf der Schmelz, schwört dabei auf interdisziplinäre Zusammenarbeit: „Es kommen hier Medizin, Biomechanik, Psychologie und vor allem Sportwissenschaft zusammen."

Sein Fachgebiet Leistungsdiagnostik stellt, so Holdhaus, den Versuch dar, aufgrund verschiedener Tests (siehe Kasten) den Ist-Zustand an Leistungsfähigkeit mit einem Soll-Zustand in Beziehung zu setzen und danach im Einvernehmen mit dem Trainer Konsequenzen für das Trainingsprogramm des jeweiligen Sportlers zu ziehen.

Leistungsdiagnostik in einfacher Form kann jeder betreiben und wurde schon immer betrieben — es genügt, einen Sportler eine bestimmte Strecke laufen zu lassen und die Zeit zu stoppen. Als Wissenschaft, mit der sorgfältigen Auswertung physiologischer Parameter, gibt es sie weltweit seit etwa 20, in Österreich seit sechs Jahren.

Holdhaus räumt ein, daß für manche Sportarten hierzulande noch die entsprechenden Methoden fehlen. Bei einem Hochspringer beispielsweise kann man derzeit nur die Sprungkraft messen: „Erst wenn wir in der Lage sind, Muskelmyographien zu machen, also Aufzeichnungen der Muskelströme, können wir einem Hochspringer raten, wie er im Training vorgehen sollte."

Während also Kraft noch nicht effizient analysiert werden kann, sind für Ausdauer, Schnelligkeit und die für etliche Sportarten unerläßliche Kombination von bei-dem erprobte Methoden und physiologische Testmöglichkeiten vorhanden.

Kann nun die Leistungsdiagnostik beim ersten Test bereits sagen, ob jemand in einer bestimmten Sportart zu besonderen Leistungen fähig ist?

„Das geht bedingt quot;, erklärt Hans Holdhaus, „mit verschiedenen Verfahren, etwa der Anthro-pometrie, der Vermessung des Menschen von Kopf bis Fuß. Da erhält man Auskunft über den Knochenbau, über die muskulären Möglichkeiten, man weiß, wieviel Fettanteil, wieviel aktive Muskelmasse er hat. Wenn man das mit einigen sportmotorischen Tests ergänzt, kann man sagen,wie geeignet jemand für eine bestimmte Sportart ist. quot;

Welchen persönlichen Rekord ein Sportler in seiner Disziplin je erreichen kann, ist aber kaum vorherzusagen. Holdhaus: „Es ginge vielleicht mit Muskelbio-psien, aber das ist ein bedeutender Eingriff, der hierzulande nicht gemacht wird. Im Ostblock hat man es versucht, ist aber auch wieder davon abgekommen."

Was sich exakt feststellen läßt, ist „auf den Zentimeter genau" (Holdhaus), welchen Weg zum Beispiel ein Dauerläufer pro Sekunde zurücklegt. Um diesen Ist-Zustand zu verbessern, also diese Distanz zu vergrößern und den Sportler an die Weltspitze heranzuführen, liefert die Leistungsdiagnostik dem Trainer Testergebnisse, die -Veränderungen in der Intensität oder im Umfang des Trainings nahelegen können.

Da jeder Mensch auf Trainingsbelastungen anders reagiert, müssen die Trainingspläne individuell erstellt werden. Völlig individuell, aber laut Holdhaus kein Problem, ist auch das Hinarbeiten auf einen „Tag X", an dem die Höchstform erreicht werden soll. Aber während sich der eine die letzten Tage vor einem Olympia-bewerb eher schont, setzt der andere unter Umständen (in Extremfällen sogar noch am Wettkampftag) ein hartes Training an.

Schwieriger ist es, jemanden zweimal innerhalb weniger Wochen (einmal zur Erbringung der Olympiaqualifikation, dann zu den Olympischen Spielen selbst) in Hochform zu bringen. Viele Sportler, gerade auch Österreicher, haben schon bei der Jagd nach dem Olympialimit ihr Pulver verschossen und versagten dann, als es um Medaillen ging.

In diesem Zusammenhang vermerkt Holdhaus erfreut, daß sich etliche von ihm betreute Judosportler kürzlich bereits endgültig für die Sommerspiele 1984 qualifizierten und somit nun ein halbes Jahr in Ruhe vorbereiten können.

Weitere auf der Schmelz besonders beobachtete Sportarten sind Leichtathletik, Radsport, Eishok-key und Orientierungslauf. Schlechte Erfahrungen hat Holdhaus vor allem im Fußball gemacht, weil dort — etwa bei der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Spanien — die Anregungen der Leistungsdiagnostiker mißachtet wurden.

In anderen Fällen — etwa bei der nun in Sarajevo sogar medaillenverdächtigen Biathlon-Mannschaft - raquo; sorgten aufgrund von Leistungsdiagnostik geänderte Trainingspläne-für eine spürbare Verbesserung.

Natürlich müssen die Sportlertests regelmäßig und über einen längeren Zeitraum gemacht werden, weil jeder seinen individuellen Rhythmus hat. Danri' aber ist Leistungsdiagnostik und wirksame Trainingssteuerung für Hans Holdhaus „keine Hexerei".

Daß der Siegeswille oder die Nerven eines Sportlers und viele unberechenbare Faktoren (z. B. Klima, Infekte, Taktik der Gegner) alle Wissenschaft im Sport über den Haufen werfen können, wird aber von Holdhaus nicht in Abrede gestellt. Es bleiben dem Sport trotz Geschäft, Hyperpa-triotismus und Verwissenschaftlichung menschliche Züge.

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