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Aufbruch Gutgesinnter

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Mir hat kein öffentliches Ereignis mehr Hoffnung gegeben als dieses. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, daß eine solch große Anzahl solcher Menschen zusammenkommen würde, um mit dem Papst den Katholikentag zu feiern. Drei Tage Aufschwung, Zuversicht, Begeisterung für die Realität gemeinsamen Glaubens und eine Zukunft, die sich damit abzeichnet.

Die Überraschung waren die Anzahl und die Art der Menschen, denen man dort begegnete. Wo waren sie hergekommen? Im Alltag der Intellektuellen finde ich sie kaum, und auch sonst, in anderen Milieus, scheinen sie üblicherweise nicht vorhanden. Sie hatten andere Gesichter, als ich sie sonst sehe. Sie waren nicht von Lust am Untergang, von der „Suche nach unten“ gekennzeichnet, sondern hatten Kraft und die Uberzeugung, daß es im Leben eine große und begründete Chance gebe.

Wo stecken diese Menschen heute? Wohin verschwanden sie ein paar Tage später? , Immerhin habe ich seit damals die Sicherheit, daß es diese Menschen gibt, und zwar unter uns. Oder hatten sich diese Menschen nur für diese kurze Zeit verwandelt in das, was sie sein wollen und im Alltag nicht zustande bringen? Vielleicht verloren die meisten von ihnen das Katholikentags-Gesicht schon einige Stunden später. Vielleicht ging für sie dann das miese Leben mit den miesen Gebräuchen weiter — und sie haben sich nicht verändert.

Das will ich aber nicht annehmen. Es gelangten, so meine ich, sehr viele, die ihre Arbeit unbeachtet tun, die ihr Leben abseits der Massenmedien, der Öffentlichkeit leben, durch diesen Katholikentag und Papstbesuch ans Licht und zu öffentlichem Bewußtsein. Mir wurde klar, daß das Bild der Öffentlichkeit, das täglich und routinemäßig von den Massenmedien gezeigt wird, weitgehend falsch ist.

Das Erstaunliche war, daß gerade die Massenmedien und allen voran das Fernsehen ein so großes Verdienst an diesem Katholikentag hatten. Auch das gab mir Zuversicht und Hoffnung, denn es stellte sich evident heraus: sie können, wenn sie wollen. An den Medien liegt es nicht, daß der normale Alltag meist so pessimistisch hochdramatisiert, so belanglos und kleinkariert dargestellt wird. Natürlich ist nicht stets Katholikentag, aber die Menschen, die ihn ausfüllten, die da auf den Straßen und Plätzen waren, die Jugend, die man dort antraf, die gibt es auch sonst. Vielleicht entschließen sich die Massenmedien einmal, mehr in diese Richtung zu achten.

Die Jugendbegegnung war für mich die wichtigste Veranstaltung, da ich hier eine Jugend sehen konnte, an deren Vorhandensein ich aus dem Aspekt meines intellektuellen Milieus manchmal zweifelte. Die von Staat und Stadt geförderte literarische Jugend sieht meist genau entgegengesetzt aus. Dafür ist viel von „no future“ die Rede. Daß zum Katholikentag die andere Jugend so zahlreich gekommen war, daß es eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Emotion zwischen dem Papst, Bischof Kapellari und ihnen gab, war für mich der stärkste Eindruck. v

Mir gefiel der Mut, mit dem man szenische Gestaltungen durchführte, etwa bei der Eröffnung auf dem Stephansplatz. Fanfaren, Dialoge, Statements, Chöre, Glocken, Lesungen, Platzsprecher, Schauspieler, Delegierte verschiedenster Herkunft zeigten den religiösen und existentiellen Ursprung des Theaters. Das war geistliches Spiel, spirituelle Feier, Vermittlung eines Weltgefühls von hier und heute. Auch davon nehme ich nun die Gewißheit, daß dies heute nicht nur möglich ist, sondern auch vom Fernsehen für Millionen Zuschauer übertragen werden kann. Solche Spiele sind nicht abhängig vom Katholikentag, sie könnten mit Sonntagsmessen, Abendmessen verbunden werden — warum findet man dies nicht öfter?

Natürlich werde ich die Begegnung des Papstes mit den „Vertretern aus Kunst, Wissenschaft und Publizistik“ nicht vergessen, wohin ich geladen war. Da sah ich sie, die ich ja kannte, aber das Gefühl des guten Willens war auch hier zu spüren. Der Papst ist durchaus Intellektueller, er kommt aus dem Milieu der Professoren, der Schriftsteller, Stückeschreiber, er spricht in der Sprache der Intellektuellen und ist dennoch Papst. Dieses Faktum teilte sich mit, und eine Verbundenheit war merkbar, die — ja, hält sie an? Bei wie vielen und wie stark hat sie die Stunde dort überlebt?

Es war mir klar, daß bei diesen Feiern, vor allem in Zusammenhang mit dem Heldenplatz, ein anderes Geschehen in Erinnerung kommen würde, das ich eben dort mitangesehen habe. Die Rede Hitlers vom Balkon der Hofburg im April 1938. Damals war ich vierzehn. Die Masse füllte den Platz, eine scharfe Stimme schnitt über den Platz, die Masse brüllte. Die Ekstase war erschreckend. Der Unterschied zwischen den beiden Szenen war grundsätzlich und enorm. Diesmal nichts von Fanatismus, von hektischer Raserei, von falscher Eschatologie. Der Katholikentag fand auf der Erde statt, der Papst stand fühlbar auf der Erde, er sprach sehr real, sehr irdisch.

Diese gewaltige Anzahl von Menschen war nicht jene Masse, wie wir sie von Le Bon, von Hitler, Stalin kennen. Das waren einfach sehr viele Menschen, die ohne jede Hysterie eine Gemeinschaftlichkeit zeigten. Ich wünsche mir, daß die Erinnerung daran stets stark genug bleibt und das eigene Versagen nicht zu arg werden läßt. Übrigens war es mir unbewußt, drückt aber meinen Wunsch aus: das Festprogramm des Katholikentags, das dicke blaue Heft, mußte ich nicht jetzt wieder hervorsuchen, es liegt seit damals auf meinem Schreibtisch. Dort lege ich es auch wieder hin.

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