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Aufbruch ins gelobte Land USA

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Mit dem Wirtschaftsverfall der achtziger Jahre wurde aus Süd­amerika, das immer Einwanderer aufsog, ein Kontinent der Auswan­derer.

Bevor Lateinamerika zu den „un­terentwickelten" Regionen gezählt wurde, waren Teile des Subkonti­nents reich und aristokratisch, ja einige standen auf der Rangliste der attraktivsten Länder der Welt weit voran. Dies galt insbesondere für Argentinien und Uruguay. Ein­wanderermassen kamen aus allen Teilen Europas, der Akzent lag auf den Mittelmeerraum.

Auch aus der k.u.k. Monarchie kamen in großen Schüben die Ein­wanderer vor allem nach Mexiko, Guatemala, Argentinien, Uruguay, Brasilien und Chile. Erst mit dem Zweiten Weltkrieg hörte der euro­päische Einwandererstrom für Lateinamerika auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Situation. Latein­amerika, plötzlich „peripher", ver­lagerte seine kulturelle Bewunde­rung von Europa und Paris nach den USA. Zwar haßte man die „Gringos", aber man vergötterte und imitierte ihren luxuriösen middle-class-Lebensstil. Jetzt be­gannen die ersten legalen und ille­galen Migranten ins „Gelobte Land" zu ziehen.

Aus einem Tröpfeln wurde mit der „Verlorenen Dekade" für La­teinamerika in den achtziger Jah­ren ein Strom von Auswanderern, die dem neuen Elend entkommen wollen. Deshalb leben heute in den USA bereits 20 Millionen „Lati-nos". Nach dem Jahr 2000 werden die USA wesentlich anders, „latei­nischer" aussehen als vor zwanzig Jahren oder heute.

Besonders magnetisch wirken die USA auf Mexiko, von wo täglich eine Welle illegaler Migranten über die Grenze schwappt. Und dies, obwohl die Grenze längst nicht mehr frei (wie wir es sonst aus dem Westen kennen), sondern mit ei­nem elektrischen Scherenzaun ge­sichert ist.

Die Mexikaner drängen nach Ka­lifornien und Texas (ehemals mexi­kanisches Territorium). Die Puer-torikaner gingen immer schon nach New York (von ihren Hoffnungen und Problemen legt das Erfolgs­musical „West-Side-Story" des kürzlich verstorbenen Lennie Ber­stein Zeugnis ab). Die Einwanderer aus Kuba, Kolumbien, Haiti, Peru und Mittelamerika bevorzugen Miami, Houston und New Orleans, wohin sie auch die schillernde Drogenkultur mitbrachten.

Die USA versuchen sich gegen den Einwandererstrom zu wehren - aber vergebens. Immer neue Ge­setze und Verordnungen versuchen, wenigstens dem Istzustand Herr zu werden, aber die Entwicklung über­holt sie regelmäßig, zumal Men­schenrechtsgruppen und Religions­gemeinschaften aktiv die illegalen Einwanderer aus Mittelamerika unterstützen.

Nur wer nicht in die USA kann, versucht Kanada oder auch Europa.

Heute tritt etwas ein, was nie­mals für möglich gehalten worden ist - eine Rückwanderung aus den ehemals reichsten und jetzt in tief­ster Depression steckenden Län­dern Argentinien und Uruguay. Ins­besondere Italien, das den Migran­ten immer die Doppelstaatsbürger­schaft angeboten hatte, weiß nicht, wie es mit den Tausenden Italo-Ar-gentiniern fertig werden soll, die täglich auf ihr Recht auf einen ita­lienischen Paß pochen, um nach Europa auszuwandern.

Traditionell ist eine andere Wan­derbewegung: Die Migration zwi­schen den Staaten Lateinamerikas. Bei den Ölstaaten suchten Men­schen aus den Nachbarländern ihre wirtschaftliche Chance, wie die zwei Millionen Kolumbianer, die jahrelang als Gastarbeiter in Venezuela tätig waren. Politische Grün­de stehen hinter vielen intrare­gionalen Migrationen, weil die Auf­nahme politisch Verfolgter in La­teinamerika immer eine Selbstver­ständlichkeit war.

So galt Mexiko, in der Tradition seiner Revolution stehend, immer als Hafen für die progressive Intel­ligenz des Subkontinents. Bevor die Redemokratisierung Südamerikas abgeschlossen war, kamen die poli­tischen Flüchtlinge in den vergan­genen Jahren aus Brasilien, Argen­tinien, Chile und Mittelamerika. Während der dreieinhalb Dekaden der Stroessner-Tyrannei wanderte jeder dritte Staatsbürger Paragu­ays in die Nachbarländer aus.

Ein trauriges Symbol für den wirtschaftlichen Verfall Latein­amerikas ist Haiti. Das Ende aller

Entwicklungsmöglichkeiten hat das Schicksal der Menschen nach De­kaden der Ausplünderung durch die mit Terror herrschende Clique des Duvalier-Clans besiegelt. Aus ei­ner nicht vorstellbaren Not und hoffnungslosen politischen Lage flüchten die schwarzen Bürger auf primitiven Segelbooten, um das Ge­lobte Land, die USA, zu erreichen.

Niemand weiß, wieviele unter­wegs ertrinken oder verdursten. Wer aber Florida erreicht und von der Polizei erwischt wird, wird er­barmungslos zurückgeschickt. Den­noch: Einige schaffen das Unter­tauchen und machen auf der unter­sten Sprosse der sozialen Leiter für einen Hungerlohn die schmutzig­sten Arbeiten - was ihnen noch im­mer attraktiver erscheint, als in Haiti zu verrotten.

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