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Aufbruch zur Erneuerung aus jungen Bewegungen

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Während rund 80 Prozent der Österreicher kaum als Christen im Sinne des Gründers bezeichnet werden können und der Rest in einer zwar gläubigen, aber zu individueller Heilserwartung zurückgestutzten, vorpfingstli- chen Haltung verharrt, Kirche mehr aus gutem Willen als aus bekenntnis- haftem Eifer trägt, gibt es zum Glück bereits eine wachsende Schar von Christen, die sich dieses Mangels an reflektierter und verinnerlichter Gläubigkeit bewußt sind und sich in einer wie Neugeburt erlebten Taufe des Heiligen Geistes, zu einem mit Hirn und Herz, mit Wort und Tat bekennenden Christen wandeln.

Dies erfolgt dank charismatischer Bewegungen, die aus der Sehnsucht nach radikaler Umkehr aus einem verflachten Christentum nacheinander aus dem Boden schießen. Was Theologen ungläubiges Kopfschütteln, Rationalisten skeptisches Nasenrümpfen und geplagten Kirchenmännern neue Hoffnung entlockt, ist jene entwaffnende Selbstverständlichkeit, mit dem - abseits langatmiger Beweisführungen - die Nähe des Herrn und Bruders Jesus erlebt wird. Gott ist nicht weiter ein alttestamentlicher „Herr- Gott“, sondern Vater, der den Menschen so liebt, daß er in Jesus - Pointe des Christentums - ihm nachgeht, sein Bruder wird.

bruch das emotionelle Element im -Vordergrund steht, wird es durchaus nicht als Ersatz für intellektuelle Reflexion betrachtet, sondern als dessen notwendige Ergänzung aufgefaßt. Wenn etwa’in der Cursillo-BewegUng dė¥ Grtiridšatž’gilt, Jesusaus dem Verstand wieder auch ins Herz zu verpflanzen, dann wird nur dem Glauben zu seinem Recht verholfen, denn Glaube ist die Ergriffenheit des ganzen Menschen. Wie die Schrift formuliert: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit allen deinen Kräften und mit deinem ganzen Verstand!“

Sicher liegt in der Art der Erwek- kungsbewegungen auch eine Reaktion auf eine Theologie, die eine stark rationalistische Schlagseite zeigt und das Element des Gefühls allzu gering schätzt. Auch das ist kein Wunder, daß sich die Skepsis der hauptsächlich jüngeren bis mittleren Generation von aufgeschlossenen Christen gegen eine widersprüchliche, scheinbar alles in Frage stellende Theologie richtet. Dahinter steht nicht nur der legitime Wunsch vom naturwissenschaftlichen Denken geprägter Zeitgenossen nach Klarheit und Sicherheit, sondern auch die Ablehnung einer als einseitig rationalistisch empfundenen, allzuoft nach Schreibtisch-Raisonnement und Zeitgeist-Appeasement schmecken den Denkweise. Die Schrift selber scheint viel klarer und aussagekräftiger zu sein als die Ausführungen ihrer heutigen Interpreten. Man verläßt sich

Geistes, der ja einem jeden Christen und nicht nur den Theologen verheißen worden ist.

Die Feindschaft gegen die Theologie von heute ist freilich nur eine scheinbare. Es geht nicht um totale Ablehnung, sondern um den Anspruch, das Raisonnement der Theologie an den Aussagen der Schrift zu messen und dabei auf den vom Geist geleiteten kritischen Verstand zu bauen.

Die Erneuerungsbewegungen, die Mitte der sechziger Jahre von den USA ihren Ausgang nahmen, bedeuten im Leben der Kirche nichts Neues. Immer dann, wenn der Glaube im Würgegriff bürokratisch gewordener Kirchenapparate und rationalistisch ab- geschlaffter Zeiten zu ersticken drohte oder, wie heute, unter weitgehender Ausschaltung übernatürlicher Gesichtspunkte im Engpaß rein humanitären Denkens eingeschnürt wird, bäumt sich Sehnsucht auf, tritt jene geheimnisvolle Kraft, die Christen Gottes Heiligen Geist nennen, in Aktion, um Gläubige und Hirten auf neuen Kurs zu lenken.

Wer in den Geschichtsbüchern der Kirche schmökert, wird hinter den unzähligen Orden, Kongregationen und Bewegungen ebenso viele charismatische Initiativen entdecken. Aller zeitgenössischen Erfahrung hohnsprechend, waren es jeweils diese Leute, die in die Dürre glaubensschwindsüchtiger Zeiten himmlischen Tau regnen ließen.

Man empfing ihre Ideen, ihre Begeisterung, ihren Bekennermut mit Mißtrauen, Widerstand und Unmut, doch selbst das drohende Lodern passabler Scheiterhaufen konnte sie nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Und oft genug ließen sich selbst Päpste von ihnen überzeugen. So ist die ganze Geschichte der’Kirche eine einzige Kette von Verfall und Erneuerung, eingeleitet und getragen von Männern und Frauen verschiedenen Alters und Herkunft, denen die Kraftlosigkeit und Korruption des zeitgenössischen Christentums solange gegen den Strich geht, bis sie sich im Vertrauen und auf Antrieb des Geistes Gottes zum Handeln entschließen.

So bilden sich auch im Österreich der Gegenwart seit geraumer Zeit Gruppen, die durchaus innerhalb der Kirche stehen, deren Hinwendung zu einer persönlichen Begegnung mit Jesus, zu einer radikalen und vertieften Innerlichkeit und zu einem Gemeinschaftserlebnis sich in Taten offenbart und an Intensität und Breite das im kirchlichen Rahmen Übliche weit übersteigt.

Spontane Gebetsgruppen, Meditationsgruppen, sozial engagierte Intensivgruppen bilden sich heraus, werden dort, wo der Priester hellhörig ist, zum Sauerteig der Gemeinde, ihr treibendes Element. Ob Cursillo, Fokola- re, GEN, Aktion 365, ob die sich um Dr. Madinger scharende Bewegung, um nur einige naheliegende Beispiele zu nennen - sowohl gesamtösterreichisch wie auch auf Pfarrebene macht sich eine vorerst noch punktuelle, aber doch spürbar präsente Entwicklung sichtbar, die allen Grund zu neuer Hoffnung gibt. Sie müßte sowohl publizistisch in verstärktem Ausmaß studiert und in den Vordergrund gerückt werden, wie auch vom Episkopat, dem hier eine wichtige koordinierende und integrierende Aufgabe zufallt, gefördert werden.

In leitende Stellen kirchlicher Institutionen und Organisationen müßten entsprechend qualifizierte Leute aus diesen Emeuerungsbewegungen berufen werden. Die dabei zu erwartende heilsame Unruhe wäre zwecks Verlebendigung des österreichischen Katholizismus mutig für die «zugegebenermaßen bequemere Routine des zwar noch immer plakativen, doch letztlich unfruchtbaren, den Status quo nur mühsam bewahrenden Dahinadministrierens einzutauschen.

In einer Großstadt wie Wien ist eine Verlebendigung der Gemeinden und die Zurückgewinnung der Fernbleibenden nur durch solche inmitten der Häuserblocks und Mietkasernen wirkende be-Geisterte Christen überhaupt denkbar. Freilich: Es sind noch viele Vorurteile, Bequemlichkeiten und eingefahrene Routine aus dem Weg zu schaffen. Doch kann man mit Fug und Recht auf einen langfristigen Erfolg hoffen. Denn Gottes Geist - darüber kann kein Zweifel bestehen - ist mit dabei am Werk.

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