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Aufenthaltsgesetz: Schikanen und Chaos

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Mit 1. Juli hat Österreich die Lücke in der Ausländergesetzgebung geschlossen. Das neue restriktive Aufenthaltsgesetz fordert bereits erste Opfer.

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Mit 1. Juli hat Österreich die Lücke in der Ausländergesetzgebung geschlossen. Das neue restriktive Aufenthaltsgesetz fordert bereits erste Opfer.

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Nach 15 arbeitsreichen Jahren in Österreich wird Demirel (Name geändert) schon bald in seine Heimat Türkei zurückkehren. Allerdings nicht, weil er sich nun auf sein Altenteil zurückziehen will, sondern weil ihm und seiner vierköpfigen Familie das neue Aufenthaltsgesetz zum Verhängnis wird. Die mündliche Mitteilung hat er schon erhalten.

Die seit 1. Juli geltende Regelung verlangt von „Fremden” eine „ortsübliche Unterkunft”. Darunter versteht das Innenministerium für jede Person eine Nutzfläche von zehn Quadratmetern, eine Küche und entsprechende Sanitäranlagen, für jeden Wohn- und Schlafraum ein Fenster ins Freie und für Kinder einen vom Wohnraum getrennten Schlafraum.

Die 30-Quadratmeter-Wohnung

Demireis reicht dem Gesetzgeber somit nicht mehr. Mit jedem Quadratmeter zu wenig rückt für Demirel und seine Familie die Verlängerung des Visums in immer weitere Ferne -trotz Arbeit und Einkommen.

Wie auch jene Ausländer, die die Frist zur Verlängerung ihres Sichtvermerks versäumt haben, kann sich Demirel nun in der Türkei anstellen, um einen Aufenthalt dort zu bekommen, wo er die letzten 15 Jahre gelebt und gearbeitet hat.

Eigentlich sollte das neue Aufenthaltsgesetz „ein Instrument zur Regelung des Zuzuges von Ausländern” sein, wie es in den Erläuterungen zum neuen Gesetz heißt. Tatsächlich greift es aber massiv in den Aufenthalt von bereits in Österreich lebenden Ausländern ein. „Dieses Gesetz bedroht Existenzen in Österreich”, befürchtet Bernhard Perchinig vom Wiener Integrationsfonds.

Um die Härte des Gesetzes zu erfassen, braucht es nicht viel Phantasie. Sollte ein Ausländer-Ehepaar, das in einer der typischen Wiener Küche-Kabinett-Wohnung lebt, ein Kind erwarten, dann gibt es nur mehr zwei Möglichkeiten: Abschub oder Abtreibung.

Gefährdet sind auch jene Gastarbeiter, die Verwandte aus den Kriegsgebieten im ehemaligen Jugoslawien bei sich aufgenommen haben. Mehr als 20.000 sind auf diese Art in Österreich untergebracht. Ihre Hilfsbereitschaft könnte nun zum Bumerang werden, wenn sie nicht dem Buchstaben des Gesetzes (Quadratmeteranzahl) entsprechen können.

Solidarität als Bumerang

Hürden für Ausländer bietet das neue Gesetz mehr als genug. Schon der Versuch, rechtzeitig eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung zu erreichen, verlangt von den Antragstellern, zumindest in Wien, gute Nerven und sehr viel Zeit. Auf den Ämtern komme es zu „chaotischen Zuständen” und zu „schikanösen Vorgangsweisen”, klagt man beim Integrationsfonds. Die vollziehenden Beamten seien massiv überlastet. Umstände, die auch einem der geistigen Väter des Aufenthaltsgesetzes,

Manfred Matzka, geläufig sein dürften: „Die Wiener haben wesentlich mehr Fälle und das ist sicherlich schwieriger zu gestalten. Wahrscheinlich ist das Einspielen unterschiedlich kompliziert”, erklärt das der Sektionschef im Innenministerium.

Kompliziert ist für Ausländer auch die Antragstellung. Vier Wochen vor Ablauf des Sichtvermerkes müssen die vierseitigen deutschsprachigen (!) Antragsformulare in Deutsch ausgefüllt werden.

Wenn ein Dokument fehlt, werden immer wieder Anträge nicht angenommen. Eine Möglichkeit der Nach-reichung sei nicht überall vorgesehen, erzählt man beim Wiener Integrationsfonds aus der Praxis.

Doch hat ein Ausländer die Hürde der Antragstellung genommen, konnte er eine entsprechend große Wohnung nachweisen, muß er in der derzeitigen Wirtschaftssituation trotzdem vorsorglich die Koffer packen. Der Verlust des Arbeitsplatzes führt nach Ablauf der Arbeitslo senunterstützung unweigerlich in den Bus nach irgendwo - mit Familie.

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