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Aufgabe des Schriftstellers in unserer Zeit

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Über die Aufgabe und die Bedeutung von Literatur als einem Kunstwerk etwas in Kürze auszusagen, ist sehr schwierig, weil man Gefahr läuft, wiederum plakative Halbwahrheiten, stereotype Dogmen-Parolen von sich zu geben, den postulierten Anspruch von Literatur und Kunst mit der wirklichen Realität zu verwechseln. Also möchte ich mich auf einen Gedanken beschränken.

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Über die Aufgabe und die Bedeutung von Literatur als einem Kunstwerk etwas in Kürze auszusagen, ist sehr schwierig, weil man Gefahr läuft, wiederum plakative Halbwahrheiten, stereotype Dogmen-Parolen von sich zu geben, den postulierten Anspruch von Literatur und Kunst mit der wirklichen Realität zu verwechseln. Also möchte ich mich auf einen Gedanken beschränken.

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Angesichts dessen, daß die Welt und die Menschheit immer wieder, so wie etwa im Golfkrieg, vor scheinbar unbegreiflichen Ungeheuerlichkeiten und dem damit verbundenen Wahnsinn der Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung stehen und den Krieg als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" akzeptieren, angesichts auch der drohenden, totalen ökologischen Katastrophe und der skrupellosen Ausbeutung der Dritten Welt und der damit verbundenen Begleiterscheinung des Verhungems und des menschenunwürdigen Lebens von

Millionen von Menschen fällt es einem, fällt es jedenfalls mir schwer, weiterhin an jenes erfüllbare Grundpostulat der Kunst zu glauben, daß eben die Kunst und die Literatur einen Beitrag zur Humanisierung des Menschen, der Gesellschaft, der Welt zu leisten in der Lage sind. Wir wissen nur eines, daß wir an diese Zielsetzung und auch an das Erreichen dieses Zieles weiterhin glauben und dafür eintreten müssen, wenn wir nicht ein wesentliches „Prinzip Hoffnung" (Emst Bloch) aufgeben und in Resignation versinken wollen.

Vielleicht muß aber die Literatur angesichts dieses Bewußtseins von der grundlegenden Enttäuschung und der Stellung ihrer Ohnmacht im historischen Prozeß der Menschheit ihre Aufgabenstellung, ihre Vorstellung von Bedeutung und Wirkung neu überdenken und definieren. Natürlich trägt das literarische Schaffen für den Autor durch sein Umgehen mit ästhetischen Ordnungs- und Wertkategorien zu seiner Sensibilisierung bei.

Diese Sensibilität darf sich jedoch nicht ghettohaft nur auf die Bereiche der Kunst und Ästhetik beschränken, sondern muß darüber hinaus auch andere Lebens-, Gesellschafts- und Wirklichkeitsbereiche erfassen, auf diese übergreifen. Sie muß eine andere, eine größere Dimension erreichen: Eine politische, eine im Sinn der Menschenrechte allgemein wesentliche.

Der Schriftsteller muß für die Interessen des Menschen im Sinne der Unverletzbarkeit menschlicher Lebensgrundrechte, für Wahrheit,

Gerechtigkeit, Freiheit und Würde eintreten. Sein Werk darf sich von diesen ethischen Grundforderungen nicht loslösen, er muß für die Wahrung dieser Grundrechte eintreten, als Künstler und als Mitglied der menschlichen Gemeinschaft. Überall dort, wo diese Rechte eingeschränkt, verweigert, mit Füßen getreten werden, hat er die mahnende Stimme seines Gewissens zu erheben, dafür einzutreten, auch unter Inkaufnahme von Repressalien und Verfolgung.

Nicht die Dogmen der Ideologie, die Interessen des Staates und seiner Organe sind es, die dem Menschen seinen Freiheits- und Lebensbereich vorschreiben und festlegen dürfen, sondern der Freiheits- und Lebensbereich im Sinne der Selbstverwirklichung und Selbstgestaltung des Lebens resultiert aus der Akzeptanz dieser Grundrechte. Lüge, Herrschaft und Gewalt basieren auf der Mißachtung dieser Grundrechte. Die uneingeschränkte Machtanwendung von gesellschaftsbestimmenden Kräften und Organisationen, wie Kirchen, Parteien, Ideologien und Staat, basieren darauf, daß eigene Interessen über die Grundrechte des Menschen gestellt werden. Mit der Einschränkung aber der individuellen Freiheit, der Meinungs- und Gestaltungsfreiheit des einzelnen, beginnt auch stets ein Prozeß der Versklavung.

Der Schriftsteller hat ein Seismograph für solche Entwicklungen des drohenden oder bereits einsetzenden Freiheitsentzugsprozesses zu sein. Und dann hat er sich, mit seinem dichterischen Werk oder einfach auch als Staatsbürger zu Wort zu melden und Widerstand zu leisten. In diesem Sinne kommt ihm Verantwortung zu. Die Wahrnehmung dieser Verantwortung liegt auch im Interesse des Schriftstellers, weil es nicht seine Aufgabe ist, Propagandainstrument für irgendeine Ideologie oder Partei zu sein, dazu herabzusinken, sich dazu herabzuwürdigen oder herabwürdigen zu lassen.

Der Schriftsteller soll kein Parteigänger sein, sondern stets jene distanzierte Haltung der kritischen Opposition einnehmen. Nur so kann er wirklich für die übergeordneten Prinzipien menschlicher Grund- und Freiheitsrechteeintreten. Schriftsteller, die vorgeben, mit einer Gruppierung für deren Ziele zu kämpfen, verschleiern oft nichts anderes als ihre persönliche Haltung des Opportunismus, des Uti-litarismus.

Der Schriftsteller sollte eigentlich ein Einzelgänger bleiben, was nicht heißt, daß er nicht solidarisch sein darf und muß. Sein Platz ist aber nicht auf der Seite der Mächtigen, der Staatsmacht, sondern auf der Seite der Unterdrückten und Verfolgten.

Ich bekenne mich zum Schriftsteller als einem politisch denkenden und handelnden Menschen, der sich der gesamten Lebenswirklichkeit zu stellen hat, nicht bloß Fragen von ästhetischen Gestaltungskriterien. Darin liegt auch der Gedanke von der Verpflichtung zur Solidarität. Diese Sol-diarität ist nicht nur notwendig im Hinblick auf die immer wieder bedrohte Freiheit, sie ist nicht nur ein Gebot der Selbstachtung und des notwendigen Engagements, die Erfüllung dieser Aufgabe sind wir auch jenen unzähligen Menschen schuldig, die Opfer der Gewalt und der Unterdrückung geworden sind, die ihr Leben für diesen Freiheitskampf und für die Aufrechterhaltung der Prinzipien von Wahrheit und Gerechtigkeit geopfert und verloren haben. Wir haben diese Aufgabe aber auch für die Gegenwart und in Zukunft zu erfüllen, wenn wir davon überzeugt sind und daran festhalten wollen, daß menschenwürdiges Leben untrennbar mit den Prinzipien von Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit verbunden ist. Nur so und nur dann können und dürfen wir - nach Auschwitz-überdenMenschen,über das Leben, über die Welt schreiben. Nur so können und dürfen wir Schriftsteller sein und bleiben.

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