7211005-1992_30_07.jpg
Digital In Arbeit

Aufgestanden, weg- und weitergegangen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Notiz stammt aus den sechziger Jahren und wurde im Nachlaß gefunden: „Sollte mir auf meinen Touren etwas zustoßen, bitte nicht zu Tal tragen, sondern an Ort und Stelle begraben; allerhöchstens am Friedhof in Asch, bei Abfaltersbach: Auf keinen Fall anderswo. F." Hat er etwas geahnt? Oder es sich so gewünscht? Jedenfalls: So geschah es. Am 15. August 1982 ist er zu einer Wanderung aufgebrochen und nicht mehr zurückgekommen. Erst neun Monate später wurde er, zugedeckt mit seinem Biwaksack, unter einem schützenden Stein entdeckt. Auf amtsärztliche Anweisung mußte er sofort begraben werden. Die Rede ist von dem Jesuitenpater Alfred Focke.

Sein „Testament" liegt nun abgedruckt vor im Juni-Heft der in Wien erscheinenden Jesuitenzeitschrift „Entschluss", das anläßlich des zehnten Todestages ganz dem Verstorbenen gewidmet ist. Auf 43 Seiten wird dem Grenzgänger Focke" nachgegangen. Das geschieht in drei eigenen, auszugsweise wiedergegebenen Beiträgen: aus einem biographischen Interview; aus einem Vortrag über Ingeborg Bachmann, Paul Celan und Karl Prantl; und aus einem Beitrag zum 60. Geburtstag der Christine Busta. Sodann in Beobachtungen und Erfahrungen, die Lebensgefährten um Pater Focke anstellten: der Bauer Josef Ortner; der Bildhauer Karl Prantl und dessen Frau Uta, eine Malerin; die Keramikerin Martina Funder sowie die künstlerisch tätige Dominikanerin Gertrud Kriebel.

In der FURCHE hat Focke regelmäßig berichtet von Dichterlesungen und -Versammlungen, von Publizistentagungen und von Veranstaltungen, bei denen Schriftsteller und Theologen aufeinandertrafen. Was Wunder, daß kein Geringerer als György Sebestyön den Nachruf schrieb (siehe Beitrag auf dieser Seite), dem Focke jahrelang auch als Juror der leider eingeschlafenen Literaturwettbewerbe zur Seite stand.

Mit Rilke zum Doktorhut

Alfred Focke war ein Christkind. Geboren am 24. Dezember 1916 in Teplitz-Schönau/Nordböhmen, kam er während des Zweiten Weltkriegs -wegen seiner Zugehörigkeit zum Jesuitenorden (seit 1937) aus der Wehrmacht entlassen - nach Wien. Zuvor hatte er schon in Beneschau und Prag Philosophie studiert und dabei Vorlesungen über Literatur und Kunst, seinem späteren Fachgebiet, belegt. In Abfaltersbach in Osttirol absolvierte er einen Arbeitsdienst. So geriet er an den Erbhof des Troger-Bauern, dem er zeitlebens verbunden blieb und wo er jahrzehntelang seine Urlaube verbrachte, Winter wie Sommer. München, Wien und Innsbruck waren weitere Studienorte. 1 947 promovierte er mit einer Arbeit über „Liebe und Tod - Versuch einer Auseinandersetzung mit Rainer Maria Rilke" zum Doktor der Philosophie.

Focke begann bescheiden als Religionsprofessor in Wien. 1953 erhielt er einen Lehrauftrag für Kunst und Philosophie an der Akademie der Bildenden Künste. Seit 1967 hatte er einen Lehrauftrag an der Universität Wien, dann auch in Innsbruck: für philosophisch-theologische Probleme in der modernen Literatur. In vielen Kreisen und Akademien war er Stammgast. Seine Vorträge führten ihn durch ganz Europa.

Der brummige Jesuitenpater wurde mit wichtigen zeitgenössischen Schriftstellern persönlich bekannt, darunter Ingeborg Bachmann und Christine Busta. Auch nahm er sich des Nachlasses von Albert Paris Gütersloh an. Fockes Sprachempfinden, seine literarische Sensibilität haben beeindruckt. Er hat sich nicht mit Saisonwörtern prostituiert. Gegen fromme Phrasendrescherei ist er vehement aufgetreten. An die Adresse der „Aktivisten pastoraler Redseligkeit" richtete er die Mahnung: „Mit dem Zeitgeist kokettierende Attrakti-vitätshascherei macht noch kein neues Christentum aus." In seinen assoziativ anmutenden Vorträgen - die Auswahl der zwei im „Entschluss" auszugsweise abgedruckten ist äußerst gelungen - reihte er oft sehr harte Zitate aneinander. Er sparte nicht mit beißender Ironie.

„...ich habe atmen können"

Eigenartig wie er war, galt er als Parade-Konservativer, weil er für das Latein als Sakralsprache eintrat -wider pseudomoderne Wortaufschüttungen seiner (priesterlichen) Zunftgenossen. Viele haben ihn nicht verstanden, konnten es vielleicht nicht. Im Orden galt er als Sonderling und Außenseiter. Sah er sich dem Vorwurf ausgesetzt, ein Priester, der sich mit Literatur beschäftige, sei unterbeschäftigt? Der Seelsorger Focke ist treffend und einfühlsam charakterisiert durch die Dominikanerin: „Er war sehr konkret und der Situation angepaßt. Raten ist ein schlechtes Wort - er hat irgendwie einen Raum aufgemacht... und alles war groß und weit, und man hat klar gesehen. Ich habe atmen können." So verwundert es auch nicht, daß Focke seit 1958 ordentliches Mitglied des Wiener Kreises für Tiefenpsychologie war.

Er selber war ein verschlossener Mensch mit tiefem, schwerem Gemüt. Er war geduldig und treu, auch dem Orden gegenüber, wie bewegend zum Ausdruck kommt. Er ist aus dem Milieukatholizismus seiner Zeit ausgebrochen und hatte doch eine große Sehnsucht nach barocker Frömmigkeit, in der er sich geborgen gefühlt haben muß. Gehemmt und ungeheuer herzlich zugleich, begegnet hier ein schüchterner, scheuer, an den Umständen leidender Mensch. „Nur ein liebendes Sichversenken in die schöne, verletzliche und verletzende Welt", glaubte er, „kann sich hindurchschweigen und zur Sprache gelangen." Die Sprache, die dieser außergewöhnliche Mensch suchte, die er selber sprach, kam von innen. Und das ist zutiefst die Intention seines Ordensvaters Ignatius von Loyola.

„Ich habe dieses Heft zusammengestellt in Ehrfurcht vor einem, der den Weg des Glaubens radikal gegangen ist in dieser Zeit, der weiterging, der an die Grenze ging", bekennt der Schriftleiter des „Entschluss", der Kunsthistoriker Pater Gustav Schörg-hofer SJ. Für ihn zählt Focke zu jenen Mitbrüdern, „die sich vorwagen an den Rand dieser Welt, dorthin, wo das Erkannte die Grenze zum Unerhörten hat, wo die beredte Zustimmung zum Anerkannten vor das Verstummen dem ganz anderen gegenüber gelangt." Das Heft - wahrlich eine kunstvolle Komposition - ist eine verdiente, wenn auch späte Dankesschuld des Ordens an Alfred Focke geworden, der Versuch der Aufarbeitung eines Erbes, das sonst in Archiven dahinschlum-mern würde. Es öffnet Einstiegsluken, um dem Menschen Alfred Focke SJ, dem einzelnen, auf die Spur zu kommen.

Wie schon vor zwei Jahren, als zehn Jesuiten Einblicke in ihren Lebensweg gaben (vergleiche FURCHE 38/ 1990), liegt uns hier ein Pilger-Bericht vor, Fragmente einer existentiellen Biographie - etwas, was Jesuiten nur ganz selten preisgeben. Diesmal sind es Erfahrungen von Nächsten, über die ein Gottsucher bekannt wird, und bezeichnenderweise sind darunter keine Mitbrüder. Das Lesen dieses Heftes mag Wehmut auslösen bei denen, die Focke gekannt haben. Die erst jetzt seine Bekanntschaft machen, werden fasziniert sein von einem „Kundschafter der Existenztiefe" (Karl Pfleger).

Geheimnisvolle „Heimkehr"

Fockes letzter Beitrag für den „Entschluss" - eine Sammelbesprechung, die in Heft 11/1982 erschien-trug den Titel: „Unterwegs wohin? Weit von wo?" Darin zitiert er Worte, die wie sein eigener Nachruf wirken: „Hier ist einer aufgestanden, weggegangen, weitergegangen." Für Alfred Focke waren Aussteiger Heimkehrer. Daß der Leichnam des Vermißten neun Monate nach seinem Verschwinden gefunden wurde - just am Geburtstag des alten Troger-Bauern, den er an diesem Tag immer besucht hat-mag ein kalendarischer Zufall sein. So bleibt auch seine „Heimkehr" geheimnisvoll.

Begraben liegt er, wie er gestorben ist: unter einem Stein aus der Werkstatt Karl Prantls.

" „Entschluss", 47. Jahrgang, Heft 6/l£92: Alfred Focke SJ - ein Grenzgänger. Die Zeitschrift erscheint seit Anfang dieses Jahres im Kulturverlag (6065 Thaur).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung