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Aufklärung heute

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In gewohnt interdisziplinärer Vorgangsweise versuchte die 29. Steirische Akademie sich sowohl dem historischen Prozeß der Aufklärung zu nähern als auch die in dessen Tradition stehenden Grundsätze wie Fortschritt, Avantgarde und Freiheit auf ihre heutige Relevanz zu überprüfen.

Die Argumentationen in den Debatten bewegten sich zwischen zwei Polen. So wurde einerseits die Grenze beziehungsweise dag

Ende der Aufklärung postuliert, andererseits der Versuch unternommen, in einer „Aufklärung über Aufklärung“ deren Grundsätze kritisch zu reflektieren und dann zu modifizieren.

Max Thürkauf, Professor für physikalische Chemie, zog eine Linie vom Freiheitspostulat zur Gigantomanie der Naturwissenschaften, von der Freiheit zur Wertfreiheit, die glaube, ohne die Leitlinien des Dekalogs auskommen zu können. Thürkaufs Thesen vom „Gift der Aufklärung“ wurden von einem Großteil der Anwesenden stark akklamiert, jedoch wurde ihnen von philosophischer Seite — unter Hinweis auf die allzu starke Vergröberung von Kants Ethik - widersprochen.

Die Grenzen der Aufklärung versuchte der Grazer Philosoph Peter Strasser anhand der Auseinandersetzung mit dem Film ,Shoah', der im Rahmen der Akademie gezeigt wurde, zu verdeutlichen. Er lehnte den Begriff der „Trauerarbeit“ ab, da das Phänomen der Judenvernichtung die Möglichkeiten des Verstehens zerstört habe: Allein die Kunst habe die Chance, dieser „Begrif f s-losigkeit des Grauens“ gerecht zu werden.

Die Psychoanalytikerin Thea Bauriedl definierte die Aufklärung als „Bewußtwerdenlassen“. Das bedeute, vergangene Erlebnisse in ihrer Entstehung und Wirkung begreiflich zu machen, um so dem Wiederholungszwang zu entkommen.

Auf anderer Ebene griff Hermann Lübbe die Fehler der Fortschrittsgläubigkeit auf. Er stellte in seinem Vortrag über das .Ende des Avantgardismus in der Post-moderne' die Musealisierung unserer Umwelt und die Nichtak-zeptierung der Avantgardemodelle in einen direkten kausalen Zusammenhang.

Einen Abgesang der Aufklärung versuchte Paul Watzlawick und übte Kritik an ihrer allzu starken „Hinwendung zur Göttin Vernunft“. Dieser starr festgesetzten Definition setzten einige Redner jene Auffassung von der „Aufklärung über Aufklärung“ entgegen, die kritisch reflektiere und modifiziere. Jene Argumentationslinie verfolgte auch der Entwicklungsbiologe Alfred Gierer, der ausführte, daß gerade die Anwendung mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens die Grenzen der Erkenntnis sichtbar mache.

So war auch der schriftlich eingereichte Beitrag von Johann Baptist Metz zu interpretieren. Er warnte vor einer neuen Form der Unmündigkeit, an der der Unmündige nicht leide, weil er sie für seinen Vorteil hält. In einer Verbindung von abstrakten Aufklä-rungspostulaten und gelebtem Christentum sieht Metz die Chance, dieser Unmündigkeit zu entgehen.

Die vorgetragenen Überlegungen wurden in sehr unterschiedlicher Weise angenommen, die Dynamik der Akademie scheint etwas erlahmt zu sein. Dies mag auf der einen Seite an der geringen Griffigkeit des Themas liegen, auf der anderen an einer gewissen Vortragsübersättigung, die die Besucher nur noch bei den „Gu-rus“ des Vortragstourismus in die Säle strömen läßt. Zu viele Schlagworte wie „Postmoderne“, „Krise der Naturwissenschaften“, „Fortschrittsideologie“ wollte man in das Thema pressen — die Publikumsdiskussionen kreisten meist nur um das eine: Vergangenheitsbewältigung.

Die Autorin studierte Geschichte und Germanistik in Graz und arbeitet an einem Forschungsprojekt über Hermann Bahr.

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