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Aufnahmsprüfung und neuntes Jahr
Auch Minister Sinowatz und ÖVP-Bildungspoliti-ker stellten dieser Tage fest: Der echte Schul-Kompromiß steht noch aus, weitere Überlegungen sind nötig.
Auch Minister Sinowatz und ÖVP-Bildungspoliti-ker stellten dieser Tage fest: Der echte Schul-Kompromiß steht noch aus, weitere Überlegungen sind nötig.
Allmählich greift die Diskussion um die siebente Novelle zum Schulorganisationsgesetz (SchOG) auch auf andere Punkte über, nachdem sie zu lange allein auf den Komplex „Mittelschule" konzentriert war.
Trotzdem aber sind zwei Punkte aus dem Paket bisher völlig untergegangen, bei denen es schade wäre, sie zu übersehen: die beabsichtigte (endgültige) Abschaffung der Aufnahmsprüfung in das Gymnasium und dessen neuntes Jahr.
Erinnern wir uns: Im Zug der Drimmelschen Schulreform von 1962 war — nach deutschem Vorbild - ein neuntes Jahr für die neukonstruierte „Allgemeinbildende höhere Schule" vorgesehen gewesen. Es fiel der Ungeduld vieler Eltern zum Opfer, die vor den Ubergangsschwierigkeiten der Gesamtreform kapitulierten und hier den Ansatzpunkt für ein Volksbegehren fanden.
Damals, 1969, begannen die Arbeiten der Schulreformkommission, die als erste Maßnahmen die .Aussetzung" des neunten Gymnasialjahres und — auf Wunsch der Sozialisten — auch der Aufnahmsprüfung in die „AHS" anregte. Seither stehen beide Maßnahmen als „vorläufig sistiert" im Gesetz und sollen nun endgültig gestrichen werden.
Sollen sie wirklich? Für die Sozialisten von 1969 galt die Aufnahmsprüfung als die letzte Barriere, Arbeiterkinder vom Besuch der Mittelschule abzuhalten.
Daß sie dies nur in ihrer Einbildung tat, hat sich schon vor ihrer Sistierung bewiesen — allerdings war und ist auch der Einwand berechtigt, daß eine punktuelle Prüfung nur sehr ungenau über
die Begabung und die Fähigkeiten eines Zehnjährigen Auskunft geben kann.
Muß man sich deswegen aber gleich der Möglichkeit begeben, eine Auswahl zu treffen — eine Auswahl, wie man sie auch, selbstverständlich, für die Aufnahme in Schulen mit sportli-
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chem Schwerpunkt, später in die berufsbildenden technischen Schulen, dann — siehe Paragraph 105 SchOG nach der beabsichtigten Novelle - für die Bildungsanstalten für Erzieher treffen will. Ohne daß der Aufnahmswerber, der sie nicht besteht, sich als diskriminiert vorkommt.
Das Vollgymnasium bleibt bestehen — das steht auch in der SchOG-Novelle. Auch wenn man sich über Form und Inhalt noch streitet. Dann sollte es aber auch — selbst wenn die Sozialisten dies nicht gerne hören — wieder zur Eliteschule werden, die jenen 20 Prozent des Geburtsjahrganges, deren Begabung sehr wohl mit
zehn Jahren erkannt werden kann, auch die nötige frühzeitige Förderung geben kann. Und in diese ist eben eine gewisse — keineswegs soziale - Auswahl nötig, um Frustrationen falsch eingeschulter Kinder zu vermeiden.
Vorschläge hierzu, wie diese Auswahl besser als früher getroffen werden kann, hat der Verband der Professoren dieser Tage vorgelegt: Beobachtung durch den Grundschullehrer, ergänzt durch Tests — hierfür bessere Methoden zu entwickeln, wird man den Universitäts-Pädagogen und -Psychologen doch wohl zutrauen können.
Doch nun zum zweiten Thema: Neuntes Gymnasial-Jahr. Haben wir es wirklich nicht nötig?
In Osterreich steckt die Reform der Oberstufe des Gymnasiums noch in den Anfängen — daß sie kritisiert wird, ist nur natürlich. Daß die Gymnasial-Oberstufe zur Hochschule befähigen soll — sollte —, ist unbestritten. Wie weit sie es heute tut, ist eine andere Frage.
Aber nicht jeder, der die Oberstufe des Gymnasiums besucht, will, soll und kann auf die Universität weitergehen. Dementsprechend wurden in den vergangenen Jahren aufbauende Kollegs entwickelt, die direkt zum Beruf führen und großen Zulauf erleben. Sie werden nun — laut SchOG-Novelle - in das Regelschulwesen überführt.
Hier könnte ein neuntes Gymnasialjahr eine wertvolle Vertei-
lerfunktion erfüllen. Es könnte ergänzen, wo Lücken offen geblieben sind (über die sich die Universitätsprofessoren mit Recht aufregen). Es könnte die nötige Orientierung bieten, wie sie den Pflichtschülern im Polytechnischen Lehrgang, aber kaum den Maturanten geboten wird.
Es könnte in seiner Gestaltung auf die andersartige Methodik des universitären Lernens hinführen, Interessen abklären, Informationen bieten, die einen sicheren Einstieg ins Studium erlauben. Es könnte einen letzten Versuch unternehmen, Allgemeinbildung zu vermitteln.
Die Achtzehnjährigen haben genug von der Schule? Der starke Andrang zu den Kollegs widerlegt diese These. Auch die Hilflosigkeit, mit der so viele Studenten auf der Universität herumirren, ohne sich zurechtzufinden, beweist, daß ein Jahr der Einführung ihnen guttäte.
Der fertige Absolvent käme dann um ein weiteres Jahr später in den Beruf? Liegen nicht die viel zu hohen Durchschnittsstudienzeiten, die hohen Ausfallsraten auch — nicht nur — an der mangelhaften Einführung, an der fehlenden (Studien)reife der Studienanfänger? Müßte sich nicht dieses zusätzliche Schuljahr später auf der Universität wieder „einsparen" lassen?
Von den Auswirkungen auf den (Jugend-)Arbeitsmärkt soll „in Zeiten wie diesen" gar nicht gesprochen werden. Sie liegen auf der Hand.
Ein neuntes Gymnasialjahr könnte durchaus flexibel gestaltet werden. Der Besuch eines Kollegs könnte es ersetzen. Ob für Anwärter auf die Laufbahn im Staat darauf verzichtet werden könnte, wäre zu überlegen. Und für besonders begabte Schüler gibt es ja auch im bisherigen Schulsystem schon die Möglichkeit, eine Klasse zu überspringen. Nur streichen sollte man es jetzt nicht, bevor man sich diese Möglichkeiten überlegt hat.
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