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Aufschwung im Glassturz

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Die hoffnungsfrohen Prognosen für dfe wirtschaftliche Entwicklung Österreichs in den nächsten 15 Monaten, das heißt bis Ende 1977, scheinen sich zu bestätigen: In diesem Jahr erwarten die Konjunkturanalytiker ein Wachstum des Bruttosozialprodukts in Höhe von vier Prozent real, eine Zunahme der Bruttoan-lageinvestitionen in gleicher Höhe und ein reales Wachstum der Exporte von 13,5 Prozent. Unter der Voraussetzung, daß die Lohnentwicklung den Unternehmengewinnen nicht davonläuft, ist im nächsten Jahr mit einer Fortsetzung der Aufschwungphase zu rechnen. Dann dürfte das Bruttosozialprodukt real um gar fünf Prozent und die Anlageinvestitionen um 8,5 Prozent real zunehmen. Sinken sollen zufolge erster Prognosedaten die Deviseneinnahmen des Exports, aber auch, und das ist ganz gewiß erfreulich, die Inflationsrate. Letztere soll in diesem Jahr immerhin knapp über sieben Prozent betragen, im nächsten Jahr dagegen „nur“ sechs Prozent.

Nach drei Jahren sowohl von der Arbeitnehmer- als auch von der Arbeitgeberseite offen zur Schau getragenem Wirtschaftspessimismus gibt es demnach wieder Anlaß, optimistisch in die nächste Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung Österreichs zu blicken. Denn die Konjunktur nimmt Kurs auf jenen Trend, den die Zukunftsforscher der heimischen Wirtschaft für die nächsten zehn Jahre vorausgesagt haben: auf ein jährliches Realwachstum von ungefähr fünf Prozent. Gelänge es, diesen Wachstumstrend tatsächlich zu halten, so hätten wir für die nächste Zukunft keine Arbeitsplatzprobleme zu befürchten, könnten auch mit steigenden Realeinkommen rechnen, wäre — als Folge davon — ein Klima der sozialen Spannungslosjgkeit sichergestellt.

Vor derlei Hoffnungen sei aber gewarnt. Der noch vor uns liegende Wirtschaftsaufschwung wird sich sehr zäh und mühsam entwickeln, er dürfte seinen Höhepunkt schon vor der üblichen Zeit, also etwa Mitte 1977, erreichen, und er dürfte — spätestens im Winter 1977/ 78 — in einen Abschwung münden. So wie der letzte Konjunkturzyklus die Spielregeln durchbrach — er währte nicht vier, sondern etwa sechs Jahre —, so wird sich auch der laufende Konjunkturzyklus nicht an empirische Erfahrungswerte halten. Selbst die größten Optimisten glauben nicht, daß er, inklusive der Vier-Phasen-Abfolge von Aufschwung, Höhepunkt, Abschwung und Rezession, länger als dreißig Monate dauern wird. Dann aber, etwa ab dem Jahresbeginn 1978, werden sich die konjunkturellen Nöte wiederholen. Selbst dann, wenn nicht gerade ein Öl-Schock auf den Kreislauf der Weltwirtschaft drückt, ist eine recht dramatische Situation der Weltwirtschaft ziemlich wahrscheinlich. Zu diesem Zeitpunkt dürften sich nur die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland von der vorvergangenen Depression erholt und Reserven für die Bekämpfung einer neuen Rezession geschaffen haben. Diese beiden Staaten werden, wie auch schon nach der letzten Depression, als erste imstande sein, mit den traditionellen Mitteln der bundesstaatlichen Konjunkturpolitik — also der Geld- und der Budgetpolitik — die Konjunktur anzukurbeln.

Aus eigener Kraft war dazu Österreich nur während der letzten Depression, und selbst das nur beschränkt, fähig. Das hat an den Reserven gezehrt, Substanz gekostet. Auch die ausgeklügeltsten Tarif- und Steuererhöhungspläne der Bundesregierung werden kaum imstande sein, Österreichs Staatsschuld bis Ende 1977 auf jenes Maß abzubauen, das die Neuaufnahme von Krediten im In- und Ausland zulässig machen würde. Denn erstmals seit 1945 wird die Republik Österreich im nächsten Jahr an Zinsen für aufgenommene Kredite mehr zu zahlen haben, als sie Kreditrückzahlungen leistet. Gerät ein privater Schuldner in diese Situation, so tut er am besten, den Konkurs anzumelden. Der Staat erspart sich derlei Eingeständnisse, indem er hurtig weiterinflationiert. Er begreift, wie das in den letzten Jahren geschah, die Steuerbe-lastunigsfähigkeit seiner Bürger als ein Faß ohne Boden und läßt sich von seinen Puplic-relations-Mana-gern ein Konzept ausarbeiten, das die „Geldillusion“ nährt: Von der Lohn- und Gehaltshöhe beeindruckt, soll der Steuerzahler vergessen, daß er damit kaum mehr Werte schaffen kann.

Die österreichische Wirtschaft leidet demnach an einem Finanzie-rungs- und Inflationsrisiko, das jedenfalls eine verhältnismäßig kurze Phase des Wirtschaftswachstums nicht aus der Welt schaffen kann. Diese Risken sind so groß, daß jede seriöse Konjunkturforschung und jede seriöse Bundesregierung vor überschäumendem Optimismus warnen muß. Auch das Regierungsorgan „Arbeiter-Zeitung“ hat das in Rechnung gestellt, als es in einem ersten Kommentar zu den hoff-nungsfrohen Prognosedaten über die Entwicklung der österreichischen Wirtschaft nur von einem „Optimismus mit Vorsicht“ sprach, denn sie „dürfen nicht zur Versuchung führen, daß nun alles wieder seinen gewohnten wirtschaftlichen Lauf nehmen kann“. Es wäre zu hoffen, daß dieser Ratschlag gerade von den in der Bundesregierung für die WirtschaftspolitikVerantwortlichen ernstgenommen wird.

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