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Aufstand der „Grünen“

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Die politische Szene ist in Bewegung geraten, weltweit und national. Gegensätze, durch die die Szene seit Jahrzehnten geprägt war, verlieren an Gewicht angesichts neu entstandener Trennlinien. Während Europa noch gebannt der Auseinandersetzung zwischen Ost und West folgt, ist diese global nicht viel mehr als ein Geplänkel gegenüber dem Nord-Süd-Interessenkonflikt.

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Die politische Szene ist in Bewegung geraten, weltweit und national. Gegensätze, durch die die Szene seit Jahrzehnten geprägt war, verlieren an Gewicht angesichts neu entstandener Trennlinien. Während Europa noch gebannt der Auseinandersetzung zwischen Ost und West folgt, ist diese global nicht viel mehr als ein Geplänkel gegenüber dem Nord-Süd-Interessenkonflikt.

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Chinas Drei-Welten-Theorie räumt radikal mit alten Vorstellungen auf, wenn sie die Entwicklungsländer -ungeachtet ihres politischen Standortes - den „Hegemonisten“ gegenüberstellt und dabei die alten Kontrahenten USA und Sowjetunion einträchtig der selben Kategorie zuordnet, und gleichzeitig das industrialisierte Europa - gleichgültig ob dies-oder jenseits des eisernen Vorhanges - zur Zweiten Welt erklärt.

Was Ost-West seit dem Zweiten Weltkrieg für die Welt, zumindest für Europa bedeutet, das ist schon viel länger rechts-links in den nationalen politischen Auseinandersetzungen. Doch auch hier sind neue Dimensionen aufgetaucht. Das Bild ist mehrschichtig geworden, schwieriger zu durchleuchten. Wie so oft, wenn neue politische oder sozialpolitische Konstellationen erscheinen, sind sie in Skandinavien am frühesten und am besten zu erkennen.

Die Auseinandersetzung zwischen links und rechts ist nicht veschwun-den, aber neben sie hat sich eine zweite politische Trennlinie geschoben. Sie ist am klarsten in der Energiepolitik auszumachen. Hier ziehen Industrie und Gewerkschaft an einem Strang, „grüne“ Umweltschutzgruppen haben sich dieser mächtigen

Konstellation in den Weg gestellt. Auf Parteiebene übertragen bringt das die in Skandinavien vor wenigen Jahren noch als utopisch betrachtete Sachkooperation zwischen Konservativen und Sozialdemokraten - gegen die Zentrumsparteien.

Die Trennlinie hier bürgerlich, da sozialistisch, hat in der Energiepolitik der neuen Scheidelinie „Arbeitsmarktparteien-grüne Parteien“ weichenmüssen. In Schweden verfolgen Sozialdemokraten und Konservative eine Atomkraftlinie, die auf Expansion zielt - gegen die „Zentrumspartei“. In Norwegen treten die gleichen Parteien für den progressiven Ausbau der ölproduktion ein - auch hier ist das Zentrum und - weniger radikal - auch die christliche Volkspartei dafür, die Bremse zu ziehen.

Industrie und Gewerkschaft sowie deren politische Vertreter in den konservativen und sozialdemokratischen Parteien verfolgen gemeinsame Interessen. Eine expansionsfreudige Energiepolitik ist Voraussetzung für eine Wirtschaft, die ein ständig steigendes Wachstum aufweisen soll. Wirtschaftswachstum aber garantiert Gewinne für Unternehmer und Lohnsteigerungen für die Arbeitnehmer.

In der Sozialdemokratie hat die

Überlegung „wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es den Arbeitern auch gut“, den Klassenkampfgedanken abgelöst. Er kommt dann bei einer anderen Tür wieder herein, wenn es darum geht, via Mitbestimmung und Miteigentumsrecht in der Wirtschaft die Produktionsmittel in die Hände der „arbeitenden Klasse“ überzuführen. Hier aber ist natürlich die Interessengemeinschaft zwischen links und rechts längst wieder zu Ende. Hier sind die Gegensätze zwischen Konservativen und Sozialisten so scharf wie eh und je.

Ein materialistisches, fortschrittsgläubiges Wohlstandsdenken ist die Gemeinsamkeit, die in verschiedenen Sachfragen in der Lage ist, die Gegensätze zwischen links und rechts zu überdenken. Es ist in Österreich durch die Politikergeneration geprägt, die den Wiederaufbau nach dem Krieg mitgemacht hat. Und die daher nicht verstehen konnte, daß die Jugend, die diese Zeit nicht miterlebt hat, nach neuen Werten sucht und glaubt, diese in den „grünen Bewegungen zu finden, die heute der einzige überlebende Ausläufer der Jugendrevolte von 1968 sind - auch wenn viele Ältere bei ihnen mitmachen.

Es war typisch, daß viele der spontanen Straßendiskussionen über die Atomkraft von der älteren Generation mit der an jugendlicher Atomgegner gerichteten Bemerkung: „Euch ist es ja nie schlecht gegangen“ beendet wurden. Wirtschaftswachstum als Wohlstandsversicherung verstanden, der gegenüber Bedenken gegen Atommüll und Strahlenverseuchung naiv und irrational erscheinen.

In der Energiepolitik sind in Skan-

Den großen Parteien auf den Fersen

dinavien die konservativen Parteien „progressiv“, weil sie an den Fortschritt glauben. Die „grünen“ Zentrumsparteien aber sind „reaktionär“, weil sie diesem Fortschritt einen Riegel vorschieben wollen. Weil sie nicht gewillt sind, für einen wachsenden Lebensstandard Werte wie Gesundheit, Naturschutz und Rücksichtnahme auf kommende Generationen aufs Spiel zu setzen. Mag sein, daß sie im Fall Atomkraft mit ihren Bedenken gerade das Gegenteil dessen erreichen, was sie wollen. Mag sein, daß die Verschmutzung durch verbrannte Kohle viel gefährlicher ist als ein Atomkraftwerk es je werden wird - Tatsache ist, daß die „Grünen“ in sensationell kurzer Zeit einen Rückhalt in der Bevölkerung gefunden haben, der in Österreich imstande war selbst einen mit voller Kraft kämpfenden Bruno Kreisky zu erschüttern. Und das ist in den letzten zehn Jahren sonst niemandem gelungen.

Der ÖVP aber tut man unrecht, wenn man ihr unterstellt, nur aus parteitaktischen Gründen und gegen besseres Wissen auf den Neinkurs geschwenkt zu sein. Die ÖVP ist

Karikatur Munz/Stuttgarter Nachrichten

mehr als eine konservative Wirtschaftspartei - als solche hätte sie Zwentendorf bejahen müssen.

Diese innerparteiliche Spannung die es der Volkspartei so schwer gemacht hat, ihren Atomkurs zu finden, erschwert auch die Suche nach der neuen Trennlinie. Wo in Skandinavien die Konstellation nun „Sozialdemokraten plus Konservative kontra Grüne vom Zentrum und von ganz links“ heißt, die nach wie vor im großen und ganzen bestehenden Parteigrenzen folgt, muß man in Österreich, wo es viel weniger Parteien gibt, diese Linie quer durch die Parteien ziehen.

Die ÖVP hat die Chancen, die die grüne Welle für sie bedeuten kann, am 5. November wohl deutlich gesehen. Aber auch die SPÖ ist mangels einer linken Alternative eine offenere Partei als es die sehr Arbeitsmarkt-und Gewerkschafts-orientierten skandinavischen Sozialdemokraten sind. Die „Grünen“ sind gekommen, um zu bleiben. Die Politik der nächsten Jahre wird sich um mehr als um Wirtschaftswachstum und Lohnerhöhungen drehen müssen.

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